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Würselen: Würselener Fluglärm-Profis landen in aller Welt

Würselen : Würselener Fluglärm-Profis landen in aller Welt

Wenn es vom Flughafen Düsseldorf aus in die Ferien geht, dann herrscht am Boden keineswegs eitel Sonnenschein — jedenfalls bei den Menschen, die rund um den Flughafen wohnen. 15 Messstellen dokumentieren rund um Nordrhein-Westfalens größten Airport, wie jedes einzelne Flugzeug die Anwohner belastet, indem dort der auftretende Fluglärm rund um die Uhr erfasst wird.

„Es wäre fatal, wenn wir falsch messen würden“, sagt Bernd van Lier, Mitgründer und Geschäftsführer der Topsonic Systemhaus GmbH aus Würselen. Sein Unternehmen ist Hersteller der Fluglärm-Messanlage des Düsseldorfer Flughafens.

Anfang März hat dieser einen aktuellen Antrag beim zuständigen Ministerium des Landes NRW eingereicht, um in Zukunft mehr Flugzeuge abfertigen zu können — oder besser: zu dürfen. NRWs größter Flughafen (22,5 Millionen Menschen nutzten ihn 2015, 19.800 Arbeitsplätze sind direkt mit ihm verbunden) möchte die vorhandenen Start- und Landebahnen in kürzerer Taktung nutzen, 60 statt der aktuell möglichen 47 sogenannten Slots anbieten.

Eine Änderung der bestehenden Nachtflugregelung — sprich: des Nachtflugverbotes — ist nicht beabsichtigt, aber mehr Slots bedeuten mehr Flüge in gleicher Zeit und damit auch mehr Fluglärm in der Nachbarschaft. An dieser Stelle werden am Ende auch die erhobenen Daten seitens Topsonic in die Entscheidung einfließen. Am Ende geht es auch um den Lärmindikator LDEN (Level Day Evening Night), also die über den gesamten Tag vorliegende Lärmbelästigung der Nachbarschaft. Denn: Verkehrsflughäfen müssen den Lärm im Umfeld messen.

Solche Messungen sind in Deutschland wie auch in ganz Europa über Fluglärmgesetze vorgeschrieben. Rund um den Flughafen München sind es beispielsweise 18 stationäre und drei mobile Messstellen, die in Hörweite der An- und Abflugrouten eingerichtet wurden.

Permanent werden die erfassten (Lärm-)Daten in Verbindung mit Radar- und Wetterdaten dem Flughafen übermittelt — und sind über das „TraVis“-System von Topsonic (vor vier Jahren mit dem Frankfurter Flughafen eingeführt) mit einer Verzögerung von zehn bis 30 Minuten — je nach Flughafen — für Jedermann im Internet einsehbar und wird, so van Lier, von Flughäfen wie Fluglärmgegnern ebenso wie von Luftfahrtbegeisterten, Taxifahrern oder anderen Abholern genutzt, die unabhängig von den Lärmemissionen Flugrouten verfolgen.

In „TraVis“ kann nachverfolgt werden, wie ein Lufthansa-Airbus 319 über den Münchener Vororten unterwegs ist. Passiert er eine Messstelle, so steigt dort der Lärmpegel an — auf mehr als 70 Dezibel. Beim folgenden „Air Canada“-Dreamliner aus Toronto bis auf 74,8 Dezibel. Die Experten sprechen dann von einem Lärmereignis. Wird dabei ein Referenzmaß überschritten, wird im Flughafen sofort Alarm ausgelöst. Die Frage lautet dann: Wie konnte das passieren?

Zunächst einmal ist Flugzeug längst nicht gleich Flugzeug: Ein großer Jumbo wie der Airbus 380 sei verhältnismäßig leise, der ältere A340 hinterlasse, so van Lier, beim Start einen riesigen Lärmteppich, wie es die Experten nennen.

Die Liste der Lärmfaktoren in der Luftfahrt ist lang: Bei der Landung das Ausfahren von Fahrwerk und Klappen, beim Start die Geräusche der Triebwerke. Höhe und Geschwindigkeit, Wind und Temperatur, das gewählte Lande- und Startverfahren — alles wirkt sich auf besagten Lärmteppich aus. „Ich kann mit einem Golf ganz leise anfahren — oder ganz laut“, sagt van Lier.

Ein Lärmereignis an einer der Messstellen muss dabei aber keineswegs von einem Flugzeug ausgelöst worden sein. Bisweilen sind die Gründe viel irdischer: in Form eines Presslufthammers an einer Baustelle. Oder natürlicher: in Gestalt der Vögel, die sich morgens auf den Blitzableiter der Messstation setzen und den Frühling besingen — mit mehr als 90 Dezibel.

Oder gar kurioser Natur: Es gab da nämlich den Fall eines Landwirts, der seinen Traktor als bekennender Fluglärmgegner direkt neben einer Messstelle parkte und bei jedem nahenden Flugzeug kräftig die Traktorhupe drückte.

Um solche Störungen der Messdaten zu filtern werden die aufgezeichneten Geräusche vor Ort schlichtweg angehört. Der hupende Traktor, die singenden Vögel und der Presslufthammer entlarvt. Und dann sind da noch die Hubschrauber! „Die machen jede Statistik kaputt“, sagt van Lier und lacht. Denn Hubschrauber seien laut und würden sich nicht an die normalen Flugrouten halten.

Bei einem früheren Arbeitgeber wurde van Lier erstmals mit dem Thema Fluglärmmessung konfrontiert. Daraus entwickelte sich die Idee, sich mit zwei Mitstreitern in diesem Metier selbstständig zu machen. Vor 20 Jahren wurde dann die Topsonic Systemhaus GmbH gegründet.

Belächelt wurde er damals ob dieses Vorhabens. Klar, Fluglärmmessung war damals nicht mehr als ein Nischenmarkt. Doch die Gründer sahen einen großen Markt, vorhandene Anlagen waren alt, sie mussten erneuert werden. „Es gab einen großen Bedarf, aber das Risiko war auch sehr groß“, berichtet er 20 Jahre später. Ein halbes Jahr nach der Gründung hatte Topsonic mit dem Flughafen Erfurt den ersten Kunden gewonnen und es dauerte nicht mehr lange, da kamen die Airports Köln/Bonn und Düsseldorf hinzu. Die Firma war offensichtlich in ihrem Nischenmarkt erfolgreich gelandet.

Mit ihrem Windows-basierten System traf Topsonic den Nerv der Zeit und erfüllte die steigenden Ansprüche der Flughäfen. 44 von ihnen umfasst der Kundenstamm mittlerweile — und das weltweit. Sämtliche großen deutschen Flughäfen sind darunter — von Hamburg bis München — aber auch solche im Baltikum und in der Türkei, in Norwegen wie Bulgarien, London-Luton und London-City, Belfast, Basel und auch Tel Aviv, Bangkok, New Delhi sowie seit dem vergangenen Jahr Santiago de Chile.

350 Messstellen — mit sechs Meter hohem Mast, Mikrofon und Wettersensor — wurden weltweit eingerichtet und arbeiten rund um die Uhr, ein paar sind mobil unterwegs. Übrigens: Rund um den Hauptstadtflughafen Berlin wurden bereits Messstellen eingerichtet — doch gibt es auf der neuen Startbahn noch keine Flugzeuge. Zwölf feste (davon sieben Ingenieure) und sechs freie Mitarbeiter arbeiten für Topsonic, die Messtechnik wird von einem norwegischen Partner bezogen.

Die Topsonic-Systeme wurden ständig weiter entwickelt, die Datenübertragung erfordert allerhöchste Sicherheit. Wer nun die Flugbewegungen auf „TraVis“ etwa für den Düsseldorfer Flughafen verfolgt (http://dus- travis.dus.com), der kann auf eine gewaltige Datenmenge zurückgreifen. Wer will, kann sich ein kleines Häuschen auf (s)einen tatsächlichen Wohnort setzen — das System kann dann die theoretische Lärmbelastung eines Flugzeugs für diese Adresse berechnen.

Als Dienstleister für Kommunen, die nicht im Messbereich eines Flughafens liegen, sowie mit dem „Airport Radar“ hat die Firma weitere Standbeine. In letzterem Fall sind die Würselener laut eigenen Angaben gar Marktführer. Abseits von Flughäfen misst die Firma den Lärm an Baustellen oder in der Industrie sowie am Hockenheimring. Van Lier hat dort die Formel 1 erlebt. „Das lauteste, was ich je gemessen habe“, sagt er. Es waren 120 Dezibel. Die wurden am Düsseldorfer Flughafen so seit Beginn der Messungen jedenfalls noch nicht erreicht.