1. Wirtschaft

Aachen: Wie man gute Ideen in die Welt bringt

Aachen : Wie man gute Ideen in die Welt bringt

Glücklich darf sich schätzen, wem es gelingt, unbefriedigte Nachfrage zu erkennen. Denn die Nachfrage bestimmt das Angebot — jeder Unternehmer kann diese Binsenwahrheit der Marktwirtschaft im Schlaf aufsagen. Das passende Geschäftsmodell aus dem Hut zu zaubern, ist dann allerdings eine andere Sache. Malte Brettel gelang dieses Kunststück 1999.

Damals hob er mit mehreren Partnern Just Books aus der Taufe: Eine Plattform, auf der sich im herkömmlichen Handel vergriffene Fachbücher erwerben lassen — und Antiquare ebendiese an den Mann bringen können.

Just Books hat Brettel längst an Amazon verkauft, mittlerweile heißt das Unternehmen AbeBooks. Dass er aus der Selbstständigkeit zurück an die Uni gegangen ist, bereut der 45-Jährige nicht. Im Gegenteil: „Einerseits darf ich lehren, andererseits beraten und ausbilden. Das ist das Schöne an meiner Aufgabe.“

Seit 2003 leitet Brettel das Gründerzentrum der RWTH, seine Aufgabe dort sieht er im Herbeirufen eines Perspektivenwechsels: „Als technische Hochschule sind wir naturgemäß auf die technische Sicht gepolt. Was wir leisten, sollten wir aber auch in die Welt bringen.“ Das gelingt offenbar immer besser. Als Brettel vor zehn Jahren die Leitung des Zentrums an der Aachener Kackertstraße übernahm, entstanden rund 20 Unternehmen pro Jahr ausgehend von der RWTH in der Region. Mittlerweile sind es 40. Und Brettel ist sicher, dass noch Luft nach oben ist: Auf 60 Unternehmensgründungen pro Jahr beziffert er das erklärte Ziel des Gründerzentrums.

Brettels Arbeit gewährt ihm Einblicke in die verschiedensten Bereiche der RWTH — mit denen man sich auch als studierter Wirtschaftsingenieur nicht durch die Bank selbst auskennen kann. Ein Hindernis sei das nicht: „Wenn man ehrlich ist, gucken die Kapitalgeber sich doch auch vor allem den Typen an, der mit einer Idee kommt.“ Soll heißen: Wer als Berater die richtigen Fragen stellt, der steigt auch ohne vertiefte Kenntnisse dahinter, ob die Geschäftsidee seines Gegenübers Hand und Fuß hat — oder doch noch mal gründlich durchdacht gehört.

Finanziell unterstützt werden Brettel und sein Team vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie. Mit der erfolgreichen Teilnahme am Hochschulwettbewerb „Exist Gründerkultur“ hat das Gründerzentrum sich für die kommenden fünf Jahre insgesamt 3,5 Millionen Euro Förderung gesichert. Als „Meilenstein“ wird das auf der Internetseite des Gründerzentrums gefeiert. Kostspieliges High-Tech kommt an der RWTH anderswo zum Einsatz, der einzige wesentliche Posten des Hauses ist das Personal. So lässt auch Brettel keine Zweifel daran aufkommen, dass die Fördersumme eine mehr als ordentliche Hausnummer bedeutet.

Rein monetär betrachtet sollte dem Knacken der Marke von 60 Gründungen in einem Jahr also nichts mehr im Wege stehen. Ganz so einfach gestaltet die Praxis sich natürlich nicht. Das Augenmerk wird ganz darauf liegen, diejenigen Fakultäten zu erreichen, an denen das Angebot des Gründerzentrums bislang eher vorbeilief. Während die Wirtschaftsingenieure in erfreulichem Maße Notiz vom Gründerzentrum nähmen, sieht Brettel Nachholbedarf beispielsweise in den Bereichen Mathematik und Informatik.

Ganz unabhängig von der Fakultät muss die Lust auf die Selbstständigkeit stets aufs Neue geweckt werden. Brettel: „Viele Ingenieure sagen: Siemens ist doch ein toller Arbeitgeber, und BMW auch“ — warum also ein Risiko eingehen, wenn man sich anderswo ins gemachte Nest setzen kann?

Ob es für den komplizierteren Weg ein schlagendes Argument gibt, muss im Endeffekt jeder für sich selbst entscheiden. Keine Diskussion gibt es für Brettel hingegen, wenn es um den Mehrwert für die Region geht. Jede von der RWTH ausgehende Gründung bedeute durchschnittlich 23 Arbeitsplätze. Und wer nach dem positiven Effekt für die Hochschule sucht, der solle einen Blick in die USA riskieren: „Stanford lebt auch von den vielen Gründungen um den Campus herum. Das müssen wir auch hinkriegen“, sagt er auch mit Blick Richtung Campus Melaten.

Er und sein Team (acht Festangestellte sowie eine große Zahl an ehrenamtlichen Mentoren) wollen dafür das passende Handwerkszeug anbieten — und die richtigen Kontakte herstellen. So ist die Industrie- und Handelskammer (IHK) fest in das Konzept des Gründerzentrums integriert, gleiches gilt für das Forschungszentrum Jülich. Das Netzwerk an potenziellen Geldgebern wird ständig ausgebaut. Denn ein solcher ist das Gründerzentrum wohlgemerkt nicht. Es fungiert als Berater, Kontaktbörse und Anbieter von Workshops. Mitbringen müssen Interessierte die richtige Idee. Den nötigen Schwung verleihen ihr Brettel und sein Team.

Doch wie erklärt man einem Hochschulangehörigen eigentlich möglichst elegant, dass seine Idee absolut nicht markttauglich ist? „Da würde ich dann so lange Fragen stellen, bis derjenige das selbst merkt“, sagt Brettel. Allerdings sei stets Vorsicht dabei geboten, einen Einfall als Humbug abzutun. Das habe vor Jahren ein junger Mann namens Frederick Smith bewiesen. Nachdem der Yale-Absolvent partout niemanden finden konnte, der sich für sein Geschäftsmodell begeistern wollte, habe er die Sache schließlich entnervt selbst durchgezogen und sei Gründer geworden. Der Name seines Unternehmens: FedEx.