Aachen : Wie die RWTH Unternehmen in die Digialisierung helfen will
Aachen Digitalisierung, Vernetzung, Automatisierung: Die Industrie steht vor einem Umbruch. Man könnte auch sagen: Dieser Umbruch hat längst begonnen. Und: Er hat sogar einen Namen — Industrie 4.0. Damit kleinere und mittelständische Unternehmen dem Lauf der Zeit nicht hinterherrennen, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Förderinitiative „Mittelstand Digital — Strategien zur digitalen Transformation der Unternehmensprozesse“ auf den Weg gebracht. Die Koordination erfolgt durch die jeweiligen Bundesländer.
Das Ergebnis für Nordrhein-Westfalen trägt den Namen „Digital in NRW. Das Kompetenzzentrum für den Mittelstand“. Es besteht aus drei Standorten: Ostwestfalen-Lippe mit dem Schwerpunkt Automatisierung und technische Systeme, die Metropole Ruhr mit dem Schwerpunkt Logistik und Wertschöpfungsnetzwerke und die Region Rheinland mit seinem Schwerpunkt Produktionstechnologie.
Letzterer Standort hat seinen Sitz in Aachen, genauer gesagt am RWTH-Institut für Rationalisierung sowie am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH. Im Interview spricht WZL-Direktor Prof. Robert Schmitt über die Ziele des Kompetenzzentrums, die Herausforderungen für mittelständische Unternehmen und die Frage, ob der Mensch bald komplett durch den Roboter verdrängt wird.
Herr Prof. Schmitt, erst vor Kurzem wurde mit dem „Digital Hub“ in Aachen ein Digitalisierungszentrum auf den Weg gebracht. Und nun noch ein Kompetenzzentrum?
Schmitt: Die Finanzierung unterscheidet sich erheblich: Der „Digital Hub“ ist ein aus dem Mittelstand der Region heraus selbst geschaffenes und zum Teil selbst finanziertes Digitalisierungszentrum, das auf dem Weg zur Industrie 4.0 auch Infrastruktur schafft. „Digital in NRW — das Kompetenzzentrum für den Mittelstand“ wird vom Bund gefördert, das Zentrum in NRW allein mit insgesamt sieben Millionen Euro. Wenn uns nun die Vernetzung mit dem „Digital Hub“ gelingt, sind wir auf einem sehr guten Weg, nicht nur eine moderne, sondern auch in Sachen Digitalisierung hervorragend aufgestellte Region zu werden.
Was ist das Ziel des Kompetenzzentrums?
Schmitt: Wir wollen gerade kleinere und mittelständische Unternehmen auf ihrem Weg zur Industrie 4.0 als Berater zur Verfügung stehen, sie informieren, ihnen Experten vermitteln und sie auf ihrem Weg der Veränderung begleiten. Entlang der Kette „Informieren — Demonstrieren — Qualifizieren — Konzipieren — Umsetzen“ können mittelständische Unternehmen mit oder ohne Vorerfahrung im Bereich Industrie 4.0 unsere Angebote kostenlos nutzen.
Wie groß ist der Bedarf bei den Unternehmen?
Schmitt: Von den fast 700.000 Unternehmen in NRW haben mindestens 20.000 mittlere Unternehmen dringenden Bedarf. Aber die Digitalisierung existiert ja bereits. Jeder von uns hat zu Hause einen PC, so gut wie jeder nutzt ein Smartphone, und all diese Dinge haben auch bei Firmen längst Einzug erhalten. Es geht also vielmehr um neue Geschäftsmodelle, die auf Vernetzung beruhen. Entscheidend beim Thema Industrie 4.0 ist die Interaktion mit den Kunden, das ist die große Herausforderung.
Können Sie das im Detail erklären?
Schmitt: Nehmen Sie das Beispiel der Modebranche, die in einer Krise steckt. Der Grund für diese Krise ist ja nicht, dass die Ware plötzlich schlechter ist oder die Verkäufer auf einmal unfreundlich geworden sind. Das Problem entsteht aus den neuen Wegen, Ware an den Kunden heranzutragen. Wer sich lange nur auf seine isolierte Expertise verlassen hat, wird jetzt Schwierigkeiten haben zu verstehen, dass er im Verbund und vor allem sehr schnell auf individuelle Kundenanforderungen reagieren muss. Genau bei diesem Prozess, also den Kunden mehr in den Produktionsabläufen zu berücksichtigen, bieten wir eine Hilfestellung an.
Ist der Begriff „Industrie 4.0“ bloß ein geflügeltes Wort oder erleben wir sie sogar schon?
Schmitt: Industrie 4.0 hat schon begonnen, aber in den Branchen unterschiedlich. Schauen Sie sich den Einzelhandel an, da ist der Digitalisierungsgrad sehr hoch. Und dann gibt es Branchen, die hängen noch hinterher, zum Beispiel besteht in der Medizin noch hoher Veränderungsdruck. Aber auch die Produktionstechnik liegt weit hinter den absehbaren Möglichkeiten.
Ist am Ende des Tages vielleicht gar nicht jede Branche für so eine radikale Veränderung geeignet?
Schmitt: Fakt ist: Jede Branche muss sich damit auseinandersetzen. Ob am Ende auch wirklich jede Branche dadurch radikal verändert wird, weiß ich nicht, aber das kann man erwarten. Ich könnte mir auch gut vorstellen, dass die zunehmende Digitalisierung Universitäten und Professoren bisheriger Prägung infrage stellt.
Wie meinen Sie das genau?
Schmitt: Nun ja, man fragt sich ja oft scherzhaft, wie viele Professoren man für jedes Grundlagenfach eigentlich noch braucht, um alle Ingenieur-Studenten auf der Welt zu versorgen. Und es gibt ernstzunehmende Stimmen, die behaupten, wir brauchen für jedes Fach nur fünf Professoren: Einer, der spanisch spricht; einer, der englisch spricht; einer, der chinesisch spricht, und die anderen machen Urlaubsvertretung. Sie sehen: Auch meiner eigenen Zunft stehen erhebliche Veränderungen bevor.
Das würde bedeuten, durch die Industrie 4.0 wird der Mensch als Arbeitskraft zunehmend überflüssig.
Schmitt: Der Arbeitsmarkt ist in jedem Fall in einem Umbruch. Prozesse verändern sich, Arbeitsprofile verändern sich, die Qualifizierung der Mitarbeiter ist daher entscheidend. Sicherlich werden sich Arbeitsplätze im Zuge der Industrie 4.0 verändern. In vielen Bereichen wird die Automatisierung von Arbeit und Entscheidungsfindung die Arbeitswelt der Menschen verändern und vielleicht sogar ersetzen.
Eine beängstigende Vorstellung.
Schmitt: Ich gehöre nicht zu den Skeptikern, die glauben, dass der Roboter alle Menschen grundsätzlich verdrängen wird. Denn in all den Bereichen, in denen komplexe Produktionsnetzwerke organisiert werden müssen, ist die Bedrohung, dass der Mensch verzichtbar wird, geringer. Dem Mensch hilft seine Flexibilität. Und wir sollten uns mehr auf die positiven Veränderungen der Industrie 4.0 fokussieren, zum Beispiel eine deutliche Entlastung von ermüdenden und gesundheitsschädlichen Tätigkeiten.
Wo steht Deutschland in diesem Zusammenhang im internationalen Vergleich?
Schmitt: Es gibt drei große Initiativen, die die Welt bewegen: „unsere“ Industrie 4.0, das Internet of Things des Industrial Internet Consortiums in den USA und die Strategie „Made-in-China-2025“. Die Amerikaner erkennen an, dass sie das Internet haben und wir in Deutschland die Dinge. Die starke Produktionstechnik in unserem Land ist ein riesiger Wert. Denn die mittelständischen Unternehmen haben die direkte Rückkopplung an den Kunden. Während in Amerika also die Geschäftsmodelle schneller entwickelt werden, fehlt dort die industrielle Basis der Produktionstechnik. Die Googles dieser Welt stellen fest, dass sie die Daten und Algorithmen haben. Aber ihnen fehlt das Objekt, auf das sie diese abbilden können. Die USA kann von unserer sehr guten, mittelständisch geprägten und hervorragend ausgebildeten Produktionstechnik profitieren, und wir in Deutschland von der Geschwindigkeit der Unternehmen in den USA.
Blicken wir abschließend zurück in die Region: Laut Auskunft der IHK Aachen fühlt sich nur jedes fünftes Unternehmen für die Veränderungen der Industrie 4.0 gut aufgestellt. Ist das beunruhigend?
Schmitt: Das muss man nicht überbewerten, ich werte die Selbsterkenntnis eher als positives Signal. Wenn so viele Firmen sagen, sie fühlen sich nicht gut aufgestellt, ist das ja für mich ein Zeichen, dass vielen Leuten klar ist, dass sie einem tiefgreifenden Wandel entgegensehen. Natürlich gibt es noch kaum fertige Lösungen. Aber für deren Entwicklung haben wir nun das Kompetenzzentrum Digital in NRW. Und wir an der RWTH als universitärer Standort wollen zu dieser Entwicklung der Lösungen einen entscheidenden Beitrag für die Unternehmen leisten.