Konzept der IHK : Wie die Innenstädte wieder aufblühen sollen
Aachen Wie können die Innenstädte in der Region attraktiver werden? Wie lässt sich leeren Ladenlokalen neues Leben einhauchen? Was erwartet ein älterer Mann von einem Stadtbummel zum Beispiel in Aachen – und was eine junge Familie?
Dass die Innenstädte nach drei Jahren Pandemie und angesichts von Online-Shopping dringend eine Revitalisierung brauchen, ist eine Binse. Die Industrie- und Handelskammer Aachen (IHK) versucht nun, mit einem Positionspapier der Sache neuen Schwung zu geben. Als Ergebnis mehrerer Workshops hat der Handelsausschuss der Kammer auf 22 Seiten aufgeschrieben, wie es besser laufen könnte – im Oberzentrum Aachen, in Mittelzentren wie Düren oder Unterzentren wie Aldenhoven. „Wir wollen lebendige und attraktive Innenstädte, gedacht aus Kundensicht“, sagt Gisela Kohl-Vogel.
Klar ist: Die eine Idee von einer attraktiven und lebenswerten Innenstadt gibt es nicht. Je nach Alter und Lebenssituation seien die Vorstellungen sehr verschieden, sagt die IHK-Präsidentin. Dem einen ist der gut erreichbare Parkplatz wichtig, der andere will mehr Freiluftkonzerte, wieder andere wünschen sich mehr Spielmöglichkeiten für Kinder, weniger Autos, mehr Radwege, schicke Lokale – oder, gar nicht banal, mehr öffentliche Toiletten oder Wickelmöglichkeiten für Babys.
Um diese unterschiedlichen und teils sich widersprechenden Anforderungen unter einen Hut zu bringen, haben die Autoren vier idealtypische Kunden skizziert:
Der Vertreter der „bürgerlichen Mitte“ ist leistungsorientiert, anpassungsbereit, aber nicht frei von Abstiegsängsten. Er oder sie sucht ein hochwertiges Angebot, schätzt Familienfreundlichkeit und Einkaufen mit Erlebnischarakter, häufigere Wochenmärkte, flächendeckendes WLAN, Theater, Kinderkonzerte, mehr Service, Angebote für Gäste aus dem Ausland – und Sicherheit und Sauberkeit.
Der Typ „konservativ-etabliert“ hat ein ausgeprägtes Statusbewusstsein, erhebt einen Führungsanspruch und grenzt sich ab. Er bleibt gerne auch einmal länger in der Stadt, wenn sie denn leicht erreichbar und das Angebot hochwertig ist. Für Menschen dieser Gruppe werden laut dem IHK-Papier ausreichende Ladesäulen für E-Autos immer wichtiger, ein einheitliches Ticket für den ÖPNV, aber auch Angebote wie Business-Clubs oder mehr Sicherheit durch eine intelligente Straßenbeleuchtung.
„Traditionell“ ist das Etikett für die dritte Gruppe: Sie ist meist älter, sparsam, bodenständig. Immer öfter beschleicht sie das Gefühl, gesellschaftlich und technologisch abgehängt zu werden. Ihre Erwartung: Kurze Wege, eine gute Anbindung mit Bus und Bahn und Gelegenheit zum Treffen mit anderen, eine ausreichende medizinische Versorgung, altersgerechtes Wohnen in der Innenstadt, aber auch Flohmärkte und Gratis-Konzerte.
Der Typus „adaptiv-pragmatisch“ ist flexibel, weltoffen, sucht in der Stadt Spaß, Komfort und Unterhaltung, wünscht sich ebenfalls kurze Wege und ein „dem Zeitgeist entsprechendes Umfeld“, gerne auch mehr Co-Working-Spaces zum mobilen Arbeiten. Weiter wichtig: Möglichkeiten zum Kurzzeitparken, schicke Sitzgelegenheiten, mehr Plätze zum Verweilen („Katschhof-Flächen“), Erstattung der Parkgebühren bei einem Einkauf in der City.
So verschieden die Wünsche sind, zwischen allen vier Gruppen gibt es Schnittmengen, schreibt die IHK in ihrem Papier. Und leitet daraus eine Reihe von Forderungen und Vorschlägen ab. Beispiele:
Mobilität. Die IHK fordert unter anderem einheitliche Konzepte, die Auto, Bus, Bahn, Fahrrad und Fußwege berücksichtigen und auch Sharing-Lösungen im Blick haben. Auch wenn sich die Mobilität gerade massiv verändert, komme dem Pkw weiterhin „eine besondere Bedeutung“ zu. Dies gelte vor allem für Mittel- und Unterzentren. Wichtig sei es, den Individualverkehr mit ÖPNV, Fahrrad und E-Roller zu verknüpfen. Das Neun-Euro-Ticket habe im vergangenen Sommer gezeigt, dass mehr Menschen zum Umsteigen bereit sind. Auch wenn das keine Dauerlösung sein konnte, macht sich die Kammer für kostengünstigere, regional übergreifende Tarife stark. Beim Abstellen des rollenden Blechs fordert das Papier ein intelligentes Parkleitsystem, den Ausbau des Echtzeitparkens (Handyparken) und einheitliche Tarife, zumindest in den Kommunen der Aachener Region. Zudem sollte die Zahl der Ladestationen spürbar steigen, etwa in Parkhäusern. Denkbar sei, dass der Händler beim Einkauf die Kosten fürs Aufladen übernimmt. Und mehr E-Tankstellen sei auch ein Thema für mittlere und kleinere Kommunen.
Attraktivität. In den Unterzentren geht es vor allem darum, die Versorgung mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs sicherzustellen, aber auch mehr Angebote für Familien und regionale Märkte können die Anziehungskraft kleinerer Kommunen erhöhen. Die gilt laut IHK umso stärker für mittelgroße Städte wie Düren, Heinsberg oder Jülich. Hier komme es darauf an, auch den Bedarf an „periodischen Waren“ befriedigen zu können. Heißt konkret: Es ist wichtig, auch künftig vor Ort Schuhe oder hochwertige Bekleidung kaufen zu können. Im Oberzentrum Aachen wiederum kommt es bei der Verweildauer nach Sicht der IHK auch davon an, wie das Angebot an Geschäften von den Menschen im Umland beurteilt wird, wie attraktiv die Gastronomie beurteilt wird oder ob aktuelle Ernährungstrends aufgegriffen werden. Grundsätzlich ist das Einkaufen für immer weniger Menschen Anlass, in die Stadt zu gehen. Nicht nur bei den Jüngeren wird der Faktor „Erlebnis“ immer wichtiger. Hier können die Städte einiges tun: Die Palette reicht von Straßentheater über Musik bis zu Aktionstagen. Verweilzonen, Wasserspielplätze und ausreichende Sitzmöglichkeiten tun ein Übriges.
Digitalisierung. Hier liegt nach Einschätzung der Kammer ein großes Potenzial im hybriden Einkaufen, bei dem sich das Shoppingerlebnis mit den Stärken des Online-Handels verbindet. Corona und der Trend zum Homeoffice haben die Pendlerströme in die Wirtschaftszentren verringert. „Darauf muss sich der Einzelhandel mit speziellen Lieferangeboten auch in benachbarte Kommunen einstellen“, heißt es in dem Papier.
Leerstände. Verwaiste Geschäftslokale vergraulen Besucher und senken im Umfeld auch die Umsätze der noch verbliebenen Händler. Immobilieneigentümer hätten diesen Aspekt zu wenig auf dem Schirm und seien in erster Linie an einer Neuvermietung interessiert. Der Spielraum der Verwaltungen, hieran etwas zu ändern, sei allerdings begrenzt, schreibt die Aachener Kammer. Und schlägt deshalb vor, die Kommunikation zu verbessern. Eine der Ideen: Ein Jour fixe aller Beteiligten bei der Oberbürgermeisterin oder dem Bürgermeister; eine andere: ein „Ansiedlungscoach“, der zwischen potenziellen neuen Händler, der Stadt und Immobilienbesitzern makelt. In dem Papier findet sich aber auch die Forderung nach Mietsenkungen, Staffelmieten oder einer „Leerstandsabgabe“ für Immobilien, die aus Spekulationsgründen jahrelang vor sich hingammeln.
Gastronomie. Vielfalt, die unterschiedliche Geschmäcker und unterschiedlich dicke Portemonnaies berücksichtigt, das Aufgreifen neuer Trends, mehr Wochenmärkte mit Ausschank und Probierecken und großzügige Regelungen für die Außengastronomie: alles zusammen kann nach Überzeugung der IHK-Handelsexperten wieder mehr Menschen in die Städte locken.
Gewerbesteuer. Die IHK hält die Höhe der Gewerbesteuer für einen entscheidenden Hebel – und führt in ihrem Konzept das Beispiel der Gewerbesteueroase Monheim an. Die Stadt am Rhein hat den Hebesatz, Grundlage für die Berechnung der zu zahlenden Gewerbesteuer, von 2009 an schrittweise gesenkt. Folge waren eine Vielzahl von Neuansiedlungen, oft auch auf Kosten von Nachbarkommunen. Mit 250 Prozent erhebt Monheim die niedrigste Gewerbesteuer in NRW, weniger als halb so viel wie die „teuerste“ Kommune im Land, Oberhausen mit 550 Prozent. In Aachen werden aktuell 475 Prozent fällig.
Aber für die IHK geht es nicht ums Geld allein. Die Verwaltungen müssten schneller entscheiden, kürzere Genehmigungszeiten seien eine „vordringliche Aufgabe.“ Und es könnte helfen, ein gemeinsames Leitbild zu entwickeln – eine „Vision 2030plus“, die Teil des Stadtmarketings werden kann.