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Preisexplosion bei Baustoffen: Wenn der Baupreis in einer Lotterie entsteht

Preisexplosion bei Baustoffen : Wenn der Baupreis in einer Lotterie entsteht

Ein Angebot für Bauleistungen hat heute nicht lange Bestand. Ein Aachener Baustoffhändler berichtet von wöchentlich wechselnden Preislisten. Das Bundesbauministerium reagiert und erlaubt für seine Bauten gleitende Preise als Klausel in den Verträgen.

Die alte Angebotspraxis am Bau funktioniert nicht mehr: Keiner kann heute mehr sagen, wann benötigtes Bauholz geliefert wird, geschweige denn, wie teuer es dann sein wird. Bei Metall, Zement, Bitumen, Erdölprodukten ist es nicht anders. Wer soll so seriös kalkulieren? Und wer trägt das Kostenrisiko? Der Bauherr? Das Bauunternehmen? Der Lieferant? Der Hersteller?

Der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) rechnet inzwischen damit, dass es zum Stillstand von Baustellen angesichts der Situation kommt. Ein Baustoffhändler aus Aachen weiß bereits von den ersten Baustellen, die brach liegen oder gar nicht mehr angegangen werden, weil den Bauherren das Risiko zu groß geworden ist. „Sie haben ihr Material nicht abgerufen“, sagt Klaus Kürten, geschäftsführender Gesellschafter von Boendgen-Baustoffe.

Der Baupreisindex ist früher, in schlechten Jahren, um zwei oder drei Punkte gestiegen. Manchmal, wie 2009, ist er sogar einfach stehengeblieben. Nach 2017 sieht man den Bauboom in einem minimal höheren Anstieg des Index. Doch dann kommt 2021. Das Jahr, das alle Vorstellungen sprengt: Der Index steigt innerhalb eines Jahres um 13,7 Punkte. Besonders der Blick auf die Preisentwicklung der Baustoffe ist für Bauherren geradezu gruselig. Produkte aus Holz und Stahl sind im Februar 2022 im Schnitt 50 Prozent teurer als ein Jahr zuvor, einzelne sogar bis zu 80 Prozent.

Und seit dem Krieg in der Ukraine, das spüren alle, galoppieren die Preise davon. Die Baustoffindizes für März, die im nächsten Monat herauskommen, werden dieses Gefühl mit hohen Werte darstellen. „Die übliche Risikorückstellungen von fünf bis zehn Prozent der Bausumme sind angesichts dieser Entwicklung schnell aufgefressen“, sagt Tilo Pfeiffer. Der Architekt beim integralen Baubüro SSP leitet den Neubau des Medienhauses Aachen.

„Wir erhalten inzwischen teils wöchentlich neue Preislisten von den Herstellern“, sagt der Boendgen-Geschäftsführer, der einen Baustoff-Handel mit 18 Millionen Euro Jahresumsatz und drei Filialen in Aachen und Niederzier führt. Üblicherweise kämen im ersten Quartal eines Jahres 50 neue Preislisten, die ins System eingepflegt werden müssten. In diesem Jahr seien es 220 gewesen. „Ein katastrophal hoher Aufwand“, sagt er. Und damit meint er nicht nur das Einpflegen ins System. Jede Erhöhung löst Diskussionsbedarf mit mindestens zwei Parteien aus: Erst mit dem Lieferanten – und dann mit dem Käufer. Im Raum steht immer die Frage: Muss das in dieser Höhe wirklich sein? Beim ZDB lautet die Antwort: „Die Angst vor Verknappung führt zu Spekulationspreisen.“

Der Aachener Baustoffhändler garantiert seinen Kunden den angebotenen Preis aktuell noch für eine Woche. Beim ZDB heißt es, das teils sogar nur noch Tagespreise aufgerufen werden. Auf die gestiegenen Spritkosten hat Boendgen vor einigen Tagen mit einem Rechnungsaufschlag von 1,3 Prozent bei Lieferung oder Abholung reagiert. Dieser Aufschlag soll wöchentlich transparent je nach Spritpreisentwicklung angepasst werden. Auch das löste Diskussionen aus. Und diese Diskussionen enden nicht beim Lieferanten. „Der Kommunikationsbedarf auf den Baustellen ist groß“, sagt Tilo Pfeiffer, der im Medienhaus-Neubau gerade die letzten Arbeiten im Innenausbau und auf dem Außengelände regelt.

Durch den Anstieg des Dieselpreises nach Kriegsbeginn sei aktuell etwa der Einsatz von großem Gerät auf dem Außengelände mehrere Euro pro Stunde teurer als geplant. „Das ist höhere Gewalt“, sagt Tilo Pfeiffer. Den Beginn des Krieges habe niemand voraussehen können. Pfeiffers Devise: „Man muss miteinander sprechen.“ Es gehe darum, eine für beide Seiten faire Lösung zu finden, also die Baufirma nicht allein auf den gestiegenen Kosten sitzen zu lassen. Der Baustoffhändler geht in Diskussionen mit Kunden einen ähnlichen Weg: „Wir sind doch Vertragspartner – also Partner, die sich vertragen.“

Pfeiffer wundert sich ein wenig über Firmen, die angesichts der Entwicklung im letzten Jahr bei privaten Bauvorhaben noch keine Preisgleitklausel im Vertrag haben. „Damit kann man unerwartete Preissprünge während des Bauprojekts auffangen, ohne gleich einen sehr hohen Preis im Angebot aufrufen zu müssen“, sagt Pfeiffer, „das ist ein faires Miteinander.“ Beim öffentlichen Bauen aber lehnen viele Vergabestellen laut ZDB solche Gleitklauseln noch ab.

Seit dem 10. März hatte sich der Bundesverband mittelständischer Bauunternehmen mit drei Brandbriefen an die Regierung gewandt, um auf den Ernst der Lage aufmerksam zu machen. Nun erkennt die Bundesregierung die Realität der „sehr, sehr, sehr volatilen Preise“, wie eine ZDB-Sprecherin das nennt, an. Seit wenigen Tagen darf bei Bauprojekten des Bundes von Preisgleitklauseln Gebrauch gemacht werden. Zu diesem Instrument ist in der Vergangenheit nur in Ausnahmefällen gegriffen worden. Und dieses Mal ist eine Anwendung sogar möglich, wenn nur ein einziger Monat zwischen Auftragsabgabe und Lieferung liegt. Sogar rückwirkend werden erhöhte Kosten anerkannt.

Der entsprechende Erlass von Bundesbau- und Bundesverkehrsministerium gilt zunächst bis zum 30. Juni. „Dadurch werden die Bauunternehmen überhaupt erst wieder in die Lage versetzt, Angebote abgeben zu können“, heißt es beim ZDB. Der Erlass zitiert bei bestehenden Verträgen Urteile, wobei teils ab 10 Prozent, teils erst ab 20 ein Festhalten an den alten Preisen als unzumutbar angesehen wird. „Eine Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten wird jedenfalls regelmäßig unangemessen sein“, heißt es im Erlass. Der ZDB fordert nun, dass Länder und Kommunen die Regelung übernehmen. Nur dann könne sie eine breite Wirkung entfalten.