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Energieversorgung in Deutschland: Was wäre, wenn Putin das Gas abdreht?

Energieversorgung in Deutschland : Was wäre, wenn Putin das Gas abdreht?

Deutschland will vorbereitet sein, falls Russland die Lieferungen stoppt oder der Westen ein Embargo verhängt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Vor einer Woche hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Frühwarnstufe des Notfallplans Gas ausgerufen, obgleich er betonte, dass die Versorgung aktuell gesichert sei. Wenn Russland den Gashahn aber zudrehen oder der Westen ein Embargo verhängen sollte, stellen sich Fragen. Russland stand bis vor kurzem für 55 Prozent der Gasimporte, nun sind es 40 Prozent.

Wie schnell merken wir den Mangel?

Das dauert ein paar Tage. Das meiste Gas erhält Deutschland durch die Pipeline Nord Stream 1. Falls Wladimir Putin in Wyborg den Hahn zudrehen lassen sollte, würde es ein paar Tage dauern, bis tatsächlich weniger Gas in Europa ankommt. Denn die Pipeline ist gut 1100 Kilometer lang. Das gibt Deutschland etwas Zeit zu reagieren.

Was ist das Hauptproblem?

Es gibt ein technisches und ein ökonomisches Problem: Das technische besteht darin, dass der Druck im gesamten Netz nicht zu stark sinken darf. Sonst würden sich Thermen und Brenner automatisch abschalten, Techniker müssten anschließend Millionen Haushalte aufsuchen, um die Anlagen wieder in Betrieb zu nehmen. Das ökonomische Problem besteht darin, dass bei einem Lieferstopp weniger Gas zur Verfügung steht als benötigt wird. Die Bundesnetzagentur wird dann zum „Bundeslastverteiler“ und muss das knappe Gas in Absprache mit Politik und Firmen rationieren.

Wie bereitet sich die Behörde vor?

Noch ist ihr Krisenstab nicht einberufen. Doch für den Fall der Fälle hat sie 65 Fachleute zusammengezogen, darunter Juristen, Ökonomen und Techniker. Sie können im Schichtbetrieb die Gasverteilung organisieren. Juristen sind dabei, weil die Behörde auch „Abschaltverfügungen“ gegen Firmen verhängen kann, die rechtlich einwandfrei sein müssen. Ebenso kann sie Firmen nur noch Teillieferungen genehmigen. In der Behörde in Bonn ist bereits ein Lagezentrum eingerichtet. „Dieses verfügt über eine eigene Stromerzeugung und Wasserversorgung und steht damit selbst bei einer dramatischen Ausweitung der Versorgungskrise gesichert zur Verfügung“, erklärt die Netzagentur. Auch Feldbetten stehen parat, damit Mitarbeiter übernachten können.

Wer bekommt noch Gas?

Als geschützte Kunden gelten private Haushalte, soziale Einrichtungen wie Kliniken und Gaskraftwerke, die Wärme für Haushalte erzeugen. Bei allen anderen Verbrauchern könnten Einschränkungen drohen, die Industrie steht für 37 Prozent des Verbrauchs. Es werde immer um Einzelfall-Entscheidungen gehen, betont die Behörde: „Die Bundesnetzagentur bereitet keine abstrakten Abschalte-Reihenfolgen vor.“ Aber schon werden sie und ihr neuer Chef Klaus Müller von Unternehmen bedrängt, die alle mit guten Gründen erklären, warum sie unverzichtbar seien. NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) hat Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie bereits als notwendig bezeichnet. Doch wegen der Verflechtungen wird es schwer, Firmen zu finden, die man unbedenklich abschalten kann. „Schäden werden in einer Notfallstufe kaum zu vermeiden sein, es gilt dann Schäden zu begrenzen“, warnt die Behörde schon mal. „Die Netzagentur unterstützt daher die Position der Bundesregierung, ein Gas-Embargo zu vermeiden.“

Wann droht der Notfall?

Habeck sieht im ausklingenden Winter und Sommer kein großes Problem. Aktuell sind die Speicher zu 26 Prozent gefüllt, es finden erste Einspeicherungen statt. Das große Problem wird der nächste Winter. Schon jetzt hat Habecks Haus den sogenannten „Marktgebietsverantwortlichen“, die Trading Hub Europe GmbH (THE), mit der Gas-Beschaffung auf Kosten des Bundes beauftragt. Die THE ist eine Tochter vieler Fernleitungsbetreiber wie Open Grid Europe (früher Ruhrgas) und Thyssengas, sie sitzt in Ratingen. Um Speicher-Betreiber wie Gazprom, Uniper und RWE zu zwingen, im Sommer ihre Speicher zu befüllen, hat der Bundestag zudem ein Speichergesetz beschlossen, das bestimmte Füllstände für bestimmte Daten (etwa: im Oktober 90 Prozent) vorschreibt.

Was wird aus den Gazprom-Speichern?

Der größte Betreiber ist die Gazprom-Tochter Astora, sie hält 25 Prozent der deutschen Kapazitäten und betreibt im niedersächsischen Rehden einen der größten Speicher Westeuropas. In 2000 Metern Tiefe wird das Gas gelagert, es würde theoretisch für zwei Millionen Einfamilienhäuser ein Jahr lang reichen. Das Problem: Der aktuelle Füllstand in Rehden liegt bei drei Prozent. Zudem hat der russische Konzern zum 31. März die Trennung von seiner deutschen Tochter Gazprom Germania verkündet. Habeck hat Szenarien durchspielen lassen, deutsche Töchter von russischen Konzernen zu verstaatlichen, um Zugriff auf die wichtige Infrastruktur zu behalten. Für die Öl-Versorgung von Ostdeutschland ist auch die Raffinerie PCK Schwedt wichtig, an der der russische Konzern Rosneft beteiligt ist.