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Russland: Was der Gaslieferstopp für NRW bedeutet

Nach Liefer-Aus für Polen und Bulgarien : Was der Gaslieferstopp für NRW bedeutet

Russland stellt seine Lieferungen nach Polen und Bulgarien ein. Was sind die Folgen? Und droht der Lieferstopp für Deutschland? Anders als in Polen sind die Speicher bei uns nur gering gefüllt. Die Industrie bangt. Die Bundesregierung beruhigt Verbraucher.

Russland macht ernst und stellt seinen Gas-Export nach Polen und Bulgarien ein. „Der Hahn wurde zugedreht“, sagte Polens Klimaministerin Anna Moskwa. Durch die Jamal-Pipeline fließe kein russisches Gas mehr.

Welche Bedeutung hat die Jamal-Pipeline? Sie verläuft von Russland über Belarus und hat neben Polen lange auch Deutschland versorgt. Seit Anfang April kommt hierüber schon kein Gas mehr nach Deutschland. Die wichtigste Pipeline für Deutschland aber ist Nord Stream 1 in der Ostsee. Hierüber fließen laut Bundesnetzagentur aktuell 72 Prozent der russischen Gasimp orte für Deutschland. Die übrigen 38 Prozent kommen über die Ukraine-Tschechien-Pipeline am Knotenpunkt Waidhaus an. „Die Gaszuflüsse nach Deutschland liegen auf einem üblichen Niveau“, so die Behörde.

Wie begründet Russland den Schritt? Der Konzern Gazprom erklärte, man habe die Lieferungen eingestellt, weil Polen und Bulgarien ihre Rechnungen nicht in Rubel gezahlt hätten. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte bereits im März angekündigt, „unfreundliche“ Abnehmer würden nicht mehr mit Gas beliefert, falls sie nicht in Rubel zahlen. Damit will er westliche Sanktionen umgehen und den Verfall des Rubel stoppen. Polen hat zudem angekündigt, die Ukraine mit Panzern zu beliefern. Die EU-Kommission kritisierte das Vorgehen Moskaus als Erpressungsversuch. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warf Putin vor, „Energie als Waffe“ einzusetzen.

Was be deutet der Lieferstopp für Polen? Die Folgen sind überschaubar. Polen ist zwar auch abhängig von Russland, hat seine Gasspeicher aber zu 75 Prozent gefüllt, ein hoher Wert für das Frühjahr. Polens Klimaministerin Anna Moskwa erklärte, die Auswirkungen des Lieferstopps seien gering.

Wie wirkt sich das auf die Preise aus? Die Lage auf den Energiemärkten ist seit Wochen angespannt. Am Mittwochmorgen legte der Ölpreis leicht zu auf 105,36 Dollar für ein Barrel (159 Liter) der Sorte Brent. Das sind 37 Cent mehr als am Vortag. Der Gaspreis stieg auf ein Vier-Wochen-Hoch: Der Preis für künftige Lieferungen legte um 20 Prozent auf 118 Euro je Megawattstunde zu.

Ist die Versorgung in Deutschland gesichert? Noch ja. „Die Versorgungslage bei uns ist stabil und wir tun alles, damit dies weiter so bleibt. Ziel in der EU ist es, sich so schnell wie möglich unabhängig von russischen Energieimporten zu machen“, sagte Habeck. Auch die Netzagentur erklärte, die Versorgung sei derzeit gewährleistet. Deutschland hat seine Abhängigkeit von russischem Gas zwar bereits von 55 auf 35 Prozent der Importe reduzieren können, wie Habeck am Mittwoch sagte. Doch damit sind wir noch immer auf Lieferungen aus Putins Reich angewiesen. Und anders als in Polen sind unsere Gasspeicher ziemlich leer: Sie sind aktuell zu 33 Prozent gefüllt, der große Gazprom-Speicher im niedersächsichen Rehden gar nur zu 0,5 Prozent. Zum Vergleich: In Polen sind es 75 Prozent.

Was passiert, wenn der Lieferstopp für Deutschland kommt? Falls Putin in Wyborg den Hahn von Nord Stream 1 zudrehen sollte, würde es ein paar Tage dauern, bis tatsächlich weniger Gas in Deutschland ankommt. Denn die Pipeline ist gut 1100 Kilometer lang. Das gibt Deutschland etwas Zeit zu reagieren. Die deutsche Wirtschaft warnt seit Woche n vor einem Embargo des Westens, dessen Folgen würden auch für einen Lieferstopp gelten. Unternehmen müssten ihren Betrieb einstellen, Lieferketten brächen zusammen, Kurzarbeit und Entlassungen drohten.

Müssen Verbraucher nun frieren? Nein. „In jedem Fall sind Haushaltkunden und Einrichtungen wie Krankenhäuser durch gesetzliche Bestimmungen besonders geschützt“, sagte Kerstin Andreae, Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Würde Habeck die Notfallstufe ausrufen, würden Industriebetriebe abgeschaltet oder umgestellt, um die Gas-Nachfrage zu drosseln. Die Industrie steht für 37 Prozent des Gas-Verbrauchs. „Bundesregierung und Branche bereiten sich intensiv vor, damit alle Beteiligten für den Fall einer Lieferunterbrechung einen klaren Fahrplan zu ihren Rechten und Pflichten haben “, so Andreae.

Welche Firmen werden als erste abgeklemmt? Es werde immer um Einzelfall-Entscheidungen gehen, betont die Netzagentur, die im Notfall für die Verteilung des knappen Gases zuständig ist. „Die Netzagentur bereitet keine abstrakten Abschalte-Reihenfolgen vor.“ Gleichwohl bedrängen Unternehmen seit Wochen die Behörde, um ihre Unverzichtbarkeit zu erklären. Doch wegen der Verflechtungen wird es schwierig, Firmen zu finden, die man ohne Bedenken abschalten kann. Eine BDEW-Analyse zeigt, dass sich 50 Prozent des russischen Erdgases kurzfristig einsparen oder ersetzen lassen. Das sind 20 Prozent des Jahresbedarfs. Daher könnte Deutschland einen Stopp noch nicht verkraften.

Was wären die Folgen eines Lieferstopps für NRW? In Nordrhein-Westfalen entfallen laut Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) 40 Prozent des Gasverbrauchs auf die energieintensive Industrie wie Stahl-, Alu-, Glas- und Chemie-Hersteller. Hier sind 440.000 Mitarbeiter beschäftigt. Viele Betriebe könnte man nicht abstellen, darunter Glashersteller, da sie rund um die Uhr laufende Prozesse haben. Die Abstellung eines Schmelzofens bedeute dessen Verschrottung, so Pinkwart. Am Mittwoch ergänzte er: „Wenn die dritte Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen wird, muss die Bundesnetzagentur den nicht geschützten Energieverbrauchern, das sind im wesentlichen Unternehmen, mitteilen, wer noch wie viel Gas verbrauchen darf. Hält ein Abnehmer sich nicht daran, müssen wir landesseitig eingreifen. Das würden wir dann auch tun, darauf bereiten wir uns vor.“ Zugleich forderte er, die Atomkraft-Nutzung mittelfristig zu prüfen, um unabhängig von russischem Gas zu werden. Der Bund habe dies bisher nur als kurzfristige Lösung geprüft - und verworfen.

Was sagen Wirtschaftsexperten? Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm forderte die Bundesregierung und die EU auf, den Forderungen Russlands nach einer Bezahlung der Gaslieferungen in Rubel nicht nachzugeben. „Russland testet mit dem Lieferstopp wieder einmal den Zusammenhalt in der EU. Es ist klar: was immer wir tun, um die Zahlungen für Energielieferungen an Russland zu beschränken – wir müssen bereit sein, derartige Drohszenarien auszuhalten“, sagte Grimm unserer Redaktion. „Russland hatte ja schon vor einiger Zeit angekündigt, nur noch Zahlungen in Rubel zu akzeptieren. Dadurch könnte es für Russland etwa einfacher werden, einige der aktuellen Sanktionen zu unterlaufen“, sagte die Erlanger Ökonomin. „Jetzt stellt sich für Deutschland die Frage, ob man auf die Forderung, in Rubel zu zahlen, eingeht oder die Bemühungen, von russischem Öl und Gas schnell unabhängig zu werden vorantreibt. Russland erhöht durch den Lieferstopp den Druck auf die deutsche Politik und die EU. Wichtig ist es nun, dass die EU zusammensteht“, betonte Grimm.