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Continental in Aachen: Offener Brief der Belegschaft an den Aufsichtsrat

Continental in Aachen : Offener Brief der Belegschaft an den Aufsichtsrat

In einem offenen Brief hat sich die Belegschaft des Reifenwerks in Aachen an den Aufsichtsrat der Continental AG gewandt. Die Betriebsräte kritisieren die Entscheidung und sprechen von einem „Schließen um des Schließens Willen“.

Der Brief im Wortlaut:

„Wir, die Arbeitnehmervertreter des Reifenwerks in Aachen, wenden uns heute in großer Not mit einem offenen Brief an Sie persönlich. Wir sind verantwortlich für 1800 Kolleginnen und Kollegen im Aachener Reifenwerk, das laut den aktuellen Plänen des Continental-Vorstands geschlossen werden soll. Das können, wollen und dürfen wir so nicht hinnehmen. Wir hier in Aachen sind ein hochprofitabler Standort mit exzellenten Produkten und qualifizierten Mitarbeitern, deshalb ist das kürzlich bekanntgewordene Vorhaben des Vorstands für uns nicht nur völlig überraschend, sondern vor allem unverständlich – auch aus unternehmerischer Sicht.

Eines vorweg: Uns Arbeitnehmervertretern ist ebenso wie unseren Kolleginnen und Kollegen im Werk durchaus bewusst, dass es die Aufgabe des Vorstandes ist, den Konzern auch in wirtschaftlich anspruchsvollen Zeiten erfolgreich und zukunftsorientiert zu lenken. Wir wissen, dass das Management dabei gezwungen sein kann, unbequeme und schwierige Maßnahmen zu erarbeiten, um den Fortbestand des Gesamtkonzern zu sichern, etwa Produkte, die sich nicht mehr verkaufen, aus dem Portfolio zu entfernen, Standorte, die nicht mehr wirtschaftlich sind, zu restrukturieren, oder Unternehmensbereiche strategisch neu auszurichten, wenn es notwendig wird.

Das alles ist bei unserem Reifenwerk in Aachen aber nicht der Fall: Wir verdienen mehr als ordentliches Geld. Sogar jetzt, in diesen schweren Corona-Zeiten, die die Branche und die gesamte deutsche Wirtschaft durchrütteln und unter Druck setzen, erzielen wir hier Gewinnmargen, von denen andere Firmen selbst in guten Zeiten nur träumen können. Hier gibt es keine veralteten Produkte, die keiner mehr kaufen will, ganz im Gegenteil. Die 1800 Kolleginnen und Kollegen am Standort stellen High-Tech Produkte her, die bei unseren Premium-Kunden wie BMW, Mercedes, Audi und vielen anderen Unternehmen aus der Automobilbranche heiß begehrt sind. Insbesondere unsere Qualität und Verlässlichkeit haben uns immer wieder ausgezeichnet. Der Continental-Standort Aachen steckt voller Kompetenz und Knowhow, Innovationen und intelligenten Ideen für die Zukunft. Hier arbeiten 1800 Menschen jeden Tag engagiert daran, unsere Produkte perfekter und besser zu machen. So konnten in Aachen Projekte verwirklicht werden, die an anderen Standorten der Welt einfach nicht realisierbar waren.

Doch statt diesen Erfolg zu honorieren, werden uns von Seiten des Managements die hohen Produktionskosten am Standort sogar noch vorgeworfen. Dabei ist es gerade unser anspruchsvolles Produktportfolio mit seinem hohen Grad an Komplexität, das diese Kosten verursacht – aber eben auch für satte Gewinne mitten in der Corona-Pandemie sorgt, die die Konzernbilanz zumindest ein bisschen aufhellen. Diese Korrelation unterschlägt der Vorstand in seiner Argumentation nur allzu gern und leichtfertig.

Auch andere Informationen, die unseren Standort betreffen, werden offenbar nicht transparent an den Aufsichtsrat kommuniziert. Um ein Beispiel zu nennen: Entgegen der Aussagen der Business-Unit-Leitung sind die künftigen Erweiterungsmöglichkeiten des Reifenwerks sogar sehr gut. In direkter Nachbarschaft unserer Produktionsstätten stehen geeignete Industrieflächen in mehr als ausreichender Menge bereit. So hat die Stadt Aachen uns bereits vor zwei Jahren signalisiert, dass sie in der Lage wäre, angrenzend an unser Werk weiteres Gelände zur Verfügung zu stellen.

Das alles macht es für uns völlig unverständlich, dass der Vorstand plant, diesen überaus erfolgreichen, profitablen und innovativen Reifenstandort zu schließen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass es nur ums Schließen um des Schließens Willen geht. Was die ganze Angelegenheit aber nahezu unerträglich macht, ist die jüngste Aussage der Geschäftsleitung zu der geplanten Abwicklung des Werks: „Wir Aachener haben alles richtig gemacht, uns kann man nichts vorwerfen.“ Das bedeutet in unseren Augen: Wir haben – alle zusammen, lokales Management und Belegschaft – fette Gewinne erwirtschaftet, alle Erwartungen erfüllt, sogar übererfüllt – und werden dennoch reinen Renditeerwartungen geopfert, weil die Produktion im Ausland etwas günstiger sein könnte, die Marge noch eine Spur höher. Ohne die Aachener Erfolge wäre es gar nicht möglich gewesen, diese Produktionskapazitäten im Ausland derart massiv auszubauen. Und jetzt sollen 1800 fleißige, qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre langjährige Leistung abgestraft werden.

Sie als Mitglieder des Aufsichtsrats haben es nun in der Hand zu entscheiden, was passiert. Es ist Ihre vornehmste Aufgabe als Kontrolleure des Unternehmens, die Pläne des Vorstands kritisch zu hinterfragen und zu bewerten, und dabei das Wohlergehen des gesamten Konzerns im Blick zu behalten. Es ist Ihre Aufgabe, geplanten Maßnahmen zuzustimmen – oder eben Ihre Stimme zu verweigern, wenn bestimmte Maßnahmen keinen Sinn ergeben. So wie die Schließung des Reifenwerks Aachen aus unserer Perspektive keinerlei Sinn ergibt. Denn hier wird nicht nur ein profitabler Standort und all das hier vorhandene Knowhow vernichtet. Hier sind 1800 Menschen beschäftigt, die alle Familie haben. Sehr viele von ihnen würden ihren mühsam erarbeiteten Lebensstandard verlieren, den Beschäftigten drohen Arbeitslosigkeit und Hartz IV nach teils jahrzehntelanger Tätigkeit für dieses, für „unser“ Unternehmen.

Liebe Mitglieder des Aufsichtsrats, was sagen Sie, was sagen wir unseren Kindern und Jugendlichen angesichts einer solchen Herangehensweise? Auch wenn ihr im Leben alles richtig macht – ihr werdet dafür bestraft? Fleiß, Rechtschaffenheit, Treue und Verbundenheit mit einem Unternehmen sind am Ende wertlos? Ist das die Botschaft, die Sie vermitteln wollen? Sind das die Werte, mit denen Continental verbunden werden soll? Ein Konzern, der seit Jahren darum bemüht ist, sich als sozial verantwortungsvoller, nachhaltig denkender Arbeitgeber darzustellen?

Wir bitten Sie inständig: Prüfen Sie objektiv, ob das die Werte sind, für die Sie stehen wollen. Sie können auch anderes bewirken: Sie können mit Ihrer Entscheidung gegen eine Schließung des Reifenwerks zeigen, dass in einer sozialen Marktwirtschaft nicht ausschließlich Rendite und Kapitalbewertung zählen, sondern auch der Mensch eine Rolle spielt. Ihr Votum kann auch diese Botschaften senden:

Vertrauen und die Verbundenheit der Beschäftigten mit Continental lohnt sich! Hier werden Fleiß, Treue und Rechtschaffenheit gewürdigt und anerkannt! Wir erkennen die Profitabilität des Werkes an! Wir lassen unsere Beschäftigten auch in schweren Zeiten nicht hängen!

Treten Sie den Beweis an, dass Eigentum zu Verantwortung verpflichtet. Stimmen Sie gegen die Schließung des Aachener Werkes, gegen reine Renditefixierung und absolute Gewinnmaximierung. Stimmen Sie für die Zukunft des Werks, der Mitarbeiter und des Konzerns!

Die Betriebsräte des Aachener Werkes“