1. Wirtschaft

Aachen: Muschel als Vorbild für ausrollbare Bildschirme

Aachen : Muschel als Vorbild für ausrollbare Bildschirme

Diese Muschel ist ein glänzender Ausgangspunkt für die Wissenschaftler. Buchstäblich, denn die Perlmuttschicht im Innern der Abalone — um genau zu sein der Meeresschnecke Haliotis laevigatra — schimmert in prächtigen Farben, wenn Andreas Walther sie in den Händen wiegt.

Die Pazifik-Muschel, das Exemplar in seinen Händen hat Walther bei einem Kalifornien-Urlaub nahe San Francisco gefunden, hatte auf Anhieb eine hohe Anziehungskraft auf den Chemiker, der am DWI Leibniz-Institut für Interaktive Materialien (Ehemals Deutsches Wollforschungsinstitut) forscht.

Walther, 36, ist der Natur auf der Spur, um Strukturen wie die der Perlmuttschicht in der Abalone mit künstlichen Materialien nachzubauen. Denn die Natur entpuppt sich als großer Lehrmeister an dieser Stelle: Perlmutt ist gleichermaßen steif und bruchfest. Würde sich Walther auf einen Perlmuttohrring stellen, er würde weder brechen noch verbiegen oder sich anders deformieren. Künstliche Materialien würden sich entweder — wie Gummi — verformen oder — wie Keramik — reißen und brechen.

„Die sehr hohe Steifigkeit und die sehr hohe Bruchfestigkeit der Abalone ist einmalig. Die Natur hat hier ein Problem gelöst, beide Eigenschaften in einem Material zu vereinen“, sagt Walther. Dann greift er zu einer dünnen, durchsichtigen Folie. Tatsächlich: Den Aachener Leibniz-Forschern um Andreas Walther ist es gelungen, ein Perlmutt-Imitat mit vergleichbaren Eigenschaften herzustellen.

Die Industrie schaut genau hin, denn die Entwicklung ist für viele Branchen interessant. Die Perlmuttschicht ist unbrennbar, in Japan werden Abalone einfach auf den Grill gelegt — um verzehrt zu werden. Die schwermetall- und halogenfreie Schicht kann also feuerschützend auf Kleidung aufgetragen werden, entsprechende Verfahren wurden bereits entwickelt.

„Da kann man einen richtig starken Brenner draufhalten“, sagt Walther. Auch Wände können unbrennbar versiegelt werden. Weil sie noch dazu gasundurchlässig ist, könnten Pipelines oder Gastanks mit einer Schicht ausgekleidet werden. „Sie ist eine super Gasbarriere“, sagt Walther — was beispielsweise auch bei der Verpackung von frischem Fleisch praktisch wäre, insbesondere weil sie sehr viel reißfester als handelsübliche Folien ist.

Mit Glas undenkbar

Bis hin zu einem solchen Massenprodukt mag der Weg noch weit sein, an anderer Stelle ist die Perspektive klarer: Mit der künstlich hergestellten Perlmuttfolie ließe sich luftempfindliche (organische) Elektronik luftdicht verkapseln, was (aus)rollbare Displays (Bildschirme) oder auch Fernseher plötzlich in greifbare Nähe rückt. Mit Glas wäre das undenkbar, denn Glas bricht bekanntermaßen. In fünf bis zehn Jahren sieht Walther hier erste Modelle. Der Muschel sei Dank! Das leichte Material ließe sich noch dazu in Elektroautos verbauen, wo leichtgewichtige Werkstoffe essenziell sind und derzeit glasfaserverstärkte Bauteile domnieren.

Holz, Spinnennetze, Krustentierpanzer — es gibt eine ganze Reihe von Stoffen aus der Natur mit phänomenalen Eigenschaften, denen die Wissenschaftler nachjagen. Der Lotuseffekt kann bei Wandfarben bereits nachgeahmt werden. Das Haftprinzip von Geckofüßen wird kopiert. Walther faszinieren solche Themen seit er als junger Wissenschaftler, er hatte gerade an der Universität Bayreuth promoviert, bei einer Konferenz zum Thema war. Seitdem legt er immer mal wieder ein Stück Natur auf das Elektronenmikroskop — etwa den Schwimmkörper eines kleinen Tintenfisches, den er am Strand gefunden hatte.

Denn der ist gleichermaßen leicht und hochporös, kann aber mit den Finger dennoch nicht zusammengedrückt werden. „Eine sehr interessante Struktur, es ist uns aber noch kein Konzept eingefallen, wie wir diese Struktur sinnvoll nachbauen können“, sagt Walther, der für seine Forschung jüngst einen der begehrten „Starting Grants“ des Europäischen Forschungsrats (ERC) einwerben konnte.

Bei der Perlmuttschicht der Abalone galt es zunächst, den Aufbau zu verstehen. Tatsächlich hat die Perlmuttschicht eine backsteinmauerartige Struktur. Kleine Kalziumcarbonatplättchen sind wie die Backsteine einer Mauer angeordnet, sie haben einen Durchmesser von einem Hundertstel Millimeter und sind ein 2000-stel Millimeter dick.

Verbunden werden die Plättchen von einer Art Biomörtel (unter anderem aus Proteinen), wie Walther erläutert. „Diese Struktur hat fantastische Eigenschaften“, sagt Walther. Mit synthetischen Materialien hat er begonnen, die Muschel-Mauer-Struktur nachzubauen — allerdings „multifunktional“, wie er erklärt. Die Folie, die er vorführt, ist anders als das Muschelperlmutt transparent und leitfähig — gerade das macht sie für die Unterhaltungselektronik so interessant.

Letztlich gab es zwei Ansätze, die Perlmuttschicht nachzubauen: wie ein Maurer eine Backsteinmauer wäre denkbar gewesen, hätte angesichts der winzigkleinen „Steine“ aber Ewigkeiten gedauert. Die Leibniz-Forscher haben stattdessen „Backsteine“ und Mörtel (aus synthetischem Polymer, also Kunststoff) in Wasser gelöst, das sie wegfiltern. Die Bestandteile fügen sich dabei selbstständig zu einem dünnen Perlmuttpapier zusammen. Am Ende steht oder besser liegt die dünne Folie. Mit der Muschel hat sie auf den ersten Blick nichts mehr gemein — ihre Eigenschaften hat sie dennoch.