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Aachen: Medizintechnik aus Aachen : 50-jährige Erfolgsgeschichte

Aachen : Medizintechnik aus Aachen : 50-jährige Erfolgsgeschichte

Wenn Raymund Heiliger (61), Geschäftsführer des Aachener Medizintechnik-Experten Vygon, erzählt, spürt man die große Begeisterung des Ingenieurs für alles, was dort möglich ist — und das ist eine Menge.

Seit 50 Jahren gibt es in Deutschland das weltweit tätige Familienunternehmen mit inzwischen 25 Niederlassungen in Europa, Nord- und Südamerika. 1962 gründet der Belgier Pierre Simonet Vygon als Hersteller von Kathetern, Drainagen und Absaugkathetern aus Kunststoff in Écouen, rund 20 Kilometer nördlich von Paris. Bereits 1968 gelingt Simonet gemeinsam mit dem deutsch-französischen Kaufmann François Briolant der Aufbau einer ersten ausländischen Niederlassung — der Vygon GmbH in Deutschland. Sie wird zunächst ins Handelsregister von Ratingen-Breitscheid eingetragen. 1972 ist der Neubau in Aachen fertig und man zieht ins dortige Industriegebiet. Es besteht heute noch der damalige Eintrag ins Handelsregister: 20 000 D-Mark.

Handarbeit: Die Herstellung läuft bei Vygon teils noch manuell, etwa bei Produkten für Neugeborene.
Handarbeit: Die Herstellung läuft bei Vygon teils noch manuell, etwa bei Produkten für Neugeborene. Foto: Vygon

Die Entwicklung der Produkte ist seitdem rasant vorangeschritten, Patente konnten angemeldet werden. Die Zusammenarbeit mit RWTH und Fachhochschule Aachen ist vielfach entscheidend, denn es geht um Kunststoffe, deren Beschichtung und „Ausrüstung“ — ideale Forschungsfelder für das Institut für Kunststoffverarbeitung, das Deutsche Wollforschungsinstitut und das Helmholtz Institut für Biomedizinische Technik. „Alles, was mit Kathetern zu tun hat, ist höchst sensibel. Sie kommen meist bei Patienten auf der Intensivstation, bei frühgeborenen und sehr kleinen Kindern zum Einsatz“, berichtet Heiliger.

Mit einem Katheter steigt zudem das Infektionsrisiko — die Hauteintrittsstelle ist der Ort, wo Bakterien eindringen könnten. „Seit über 20 Jahren beschäftigen wir uns deshalb mit der Polymermodifikation, also der Verbesserung der Kathetermaterialien“, versichert Heiliger.

Inzwischen werden Silberzeolithe in das Kathetermaterial gemischt. Im gesamten Material verbreiten sich hierdurch Silberionen, die bei Kontakt mit Flüssigkeit (etwa Blut) die Bakterienbesiedlung bekämpfen. Inzwischen ist sogar die Beschichtung mit einem Antibiotikum und einem Anti-Pilzmittel (Fungizid) möglich. „Mit Medikamenten, die Patienten in der Klinik erhalten, gibt es keine Probleme“, sagt Heiliger. „Um eine Resistenz zu vermeiden, verwenden wir nur, was im Krankenhaus nicht eingesetzt wird.“

Vygong hat zahlreiche klinische Studien auf den Weg gebracht, pflegt Kontakte mit Ärzten weltweit, diskutiert mit ihnen neue Ansätze und baut seinen Homecare-Markt aus — der Bedarf bei Pflegediensten steigt.

Der Gummischlauch, mit dem Operateure in den 30er Jahren erste Selbstversuche gestartet haben, hat sich stark verändert. Feinste Katheter gelangen zum Herzen. Durch sie wurde moderne Herzchirurgie unter anderem durch Entwicklung von Stimulations- und Ballonkatheter erst möglich. Winzige Kunststoffschläuche (Außendurchmesser 0,3 Millimeter) helfen winzigen Babys beim Überleben.

„Es geht unsnicht nur um Patientensicherheit, es geht zugleich um den Schutz von Pflegepersonal und Ärzten“, greift der Vygon-Geschäftsführer einen weiteren Aspekt auf. Und wieder eine Erfindung: Nach einer Blutentnahme kann die Spitze der Injektionsnadel, die beim Herausziehen ein Verletzungs- und Infektionsrisiko für den Behandler birgt, durch einen Nadelschutz („Seldisafe“) sofort sicher „verpackt“ werden. Der Name erinnert an den schwedischen Radiologen Sven-Ivar Seldinger, der Anfang der 50er Jahre entscheidende Methoden entwickelt hat, um arterielle Gefäßzugänge und zentrale Venenkatheter zu legen.

Längst ist Robotertechnik in Aachen im Einsatz, wo 300 Mitarbeiter beschäftigt sind und besonders bei Produkten für Neugeborene noch von Hand produzieren. Die Sterilisation geschieht seit 2007 in einer zentralen Anlage in Frankreich. Bis zu 750000 Katheter verlassen jährlich das Werk, das weiter wächst. 2019 soll der neue Bauabschnitt fertig sein und die Vertriebskapazität um 35 Prozent erhöhen.