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Übach-Palenberg: Keine Angst vor dem chinesischen Drachen

Übach-Palenberg : Keine Angst vor dem chinesischen Drachen

Wer von chinesischer Übernahme eines europäischen Konzerns hört, dürfte bestimmte Bilder im Kopf haben: Der staatskapitalistische chinesische Drache, der gnadenlos Technologie ausbeutet, um dann mit europäischem Knowhow in China Profit zu generieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

Was mit dem gekauften Unternehmen und den dortigen Arbeitsplätzen geschieht, sei den chinesischen Heuschrecken egal, so wohl die landläufige Vorstellung.

 Mehr als 1100 Menschen arbeiten am Standort Übach-Palenberg: Die großen Maschinen werden in einzelnen Produktionseinheiten montiert (oben) Die Technologie moderner Ringspinnmaschinen basiert in Teilen auf dem Prinzip des traditionellen Spinnrads (links). Schlafhorst bildet unter anderem Mechatroniker, Fachinformatiker und Fachlageristen aus und arbeitet eng mit der RWTH sowie der FH Aachen zusammen.
Mehr als 1100 Menschen arbeiten am Standort Übach-Palenberg: Die großen Maschinen werden in einzelnen Produktionseinheiten montiert (oben) Die Technologie moderner Ringspinnmaschinen basiert in Teilen auf dem Prinzip des traditionellen Spinnrads (links). Schlafhorst bildet unter anderem Mechatroniker, Fachinformatiker und Fachlageristen aus und arbeitet eng mit der RWTH sowie der FH Aachen zusammen. Foto: Markus Bienwald

Horrorszenarien, die Jan Röttgering und Jürgen Meyer allenfalls müde schmunzeln lassen. Die beiden sind General Manager bei Saurer Schlafhorst in Übach-Palenberg, dem traditionsreichen Unternehmen aus der Textilmaschinenbranche, das seit Mai 2013 Teil der chinesischen Jinsheng-Gruppe ist. Selbst, wenn es in der Belegschaft Befürchtungen vor der Übernahme aus China gegeben haben sollte, seien sie relativ schnell zerstreut worden.

Mehr als 1100 Menschen arbeiten am Standort Übach-Palenberg: Die großen Maschinen werden in einzelnen Produktionseinheiten montiert (oben) Die Technologie moderner Ringspinnmaschinen basiert in Teilen auf dem Prinzip des traditionellen Spinnrads (links). Schlafhorst bildet unter anderem Mechatroniker, Fachinformatiker und Fachlageristen aus und arbeitet eng mit der RWTH sowie der FH Aachen zusammen.
Mehr als 1100 Menschen arbeiten am Standort Übach-Palenberg: Die großen Maschinen werden in einzelnen Produktionseinheiten montiert (oben) Die Technologie moderner Ringspinnmaschinen basiert in Teilen auf dem Prinzip des traditionellen Spinnrads (links). Schlafhorst bildet unter anderem Mechatroniker, Fachinformatiker und Fachlageristen aus und arbeitet eng mit der RWTH sowie der FH Aachen zusammen. Foto: Markus Bienwald

„Spätestens der Neubau unserer 7000 Quadratmeter großen Logistikhalle war ein klares Bekenntnis der chinesischen Unternehmensführung zum Standort Übach-Palenberg“, sagt Röttgering. Und auch ein Signal dafür, dass der Investor nicht auf der Jagd nach Technologie ist, sondern in deutsches Know-how investiert.

 Halten bei Saurer Schlafhorst die Fäden in der Hand: die General Manager Jan Röttgering (links) und Jürgen Meyer.
Halten bei Saurer Schlafhorst die Fäden in der Hand: die General Manager Jan Röttgering (links) und Jürgen Meyer. Foto: Markus Bienwald

Das hat mit der Branche zu tun, in der Schlafhorst tätig ist, und mit dem Markennamen, den sich das 1884 in Mönchengladbach gegründete Unternehmen aufgebaut hat. Seit mehr als 50 Jahren gibt es das Werk in Übach-Palenberg, in dem Textilmaschinen konzipiert und zusammengebaut werden, die hochkomplex sind und mit dem alten Holz-Spinnrad nur noch wenig zu tun haben.

Auch, wenn die grundlegende Technik etwa beim Ringspinnen die gleiche ist. Mit den Maschinen von Saurer Schlafhorst werden aus dem sogenannten Vorgarn in verschiedenen Produktionsschritten Garne, die in der Textilproduktion eingesetzt werden.

Kulturelle Unterschiede

Das Ganze passiert wahnsinnig schnell und hochautomatisiert. Entdeckt etwa einer der tausenden Sensoren in den meterlangen Maschinen eine Fehlstelle im Garn, so wird der Prozess gestoppt, der Fehler herausgetrennt, und dann weiter gesponnen. „Das ist Hightech pur“, sagt Meyer, der in Aachen Maschinenbau studiert und auch promoviert hat, mit hörbarem Stolz.

Und diese „Ingenieurkunst vom Feinsten“ (Meyer) lässt sich eben nicht so einfach nach China verpflanzen, sondern lebe von den Fachleuten vor Ort. „Auch wenn das arrogant klingen mag: Ohne das deutsche Knowhow bekommen Sie bei der Komplexität unserer Maschinen die Produktion nur schwerlich verlagert“, sagt auch Röttgering.

Die aus einzelnen Produktionseinheiten bestehenden Maschinen werden in Übach-Palenberg montiert und getestet, bevor sie zum Kunden transportiert und dort von Schlafhorst-Mitarbeitern aufgebaut und justiert werden. Bis zu vier Wochen kann ein solcher Aufbau dauern.

Wichtig sei dabei der technologische Vorsprung gegenüber der Konkurrenz, der sich nur durch Innovation halten lasse. In den vergangenen zehn Jahren habe man viel Energie in Kostenreduktion gesteckt, um den Wettbewerbern aus Asien Paroli bieten zu können. Darunter habe die Innovationskraft des Werks durchaus gelitten, räumt Röttgering ein.

Mit dem neuen Investor habe sich das aber geändert. „Wir setzen massiv auf Innovation, um den Vorsprung auszubauen“, so Röttgering. Knapp 20 neue Ingenieure habe man im vergangenen Jahr einstellen können. Hier zahle sich die Nähe zu RWTH und FH Aachen sowie zur FH Niederrhein in Krefeld aus. Auch im Bereich der Ausbildung setzte man voll auf Fachkräfte aus der Region.

Die Freude über den neuen Eigentümer hängt wohl auch mit der jüngsten Geschichte des Werks zusammen. Röttgering und Meyer, die sich selbst als Schlafhorst-Urgesteine bezeichnen, haben in ihrer Zeit neben Hochs eben auch Tiefs mitbekommen. 1991 in den Saurer-Konzern integriert, gab es Ende der 90er Jahre Umsatzrückgang und Personalabbau zu beklagen.

Von 2007 bis 2013 — dann als Teil von Oerlikon — lief es ebenfalls nicht sorgenfrei. Der Schweizer Anlagenbauer war stark finanzgetrieben und hatte kein nachhaltiges Interesse an der Textilbauindustrie. Ganz anders die Jinsheng-Gruppe, mit der die Saurer-Gruppe bereits seit 2005 ein Joint Venture hatte. Die Chinesen sind selbst in der Textilindustrie tätig.

„Jinsheng kennt den Markt und weiß, wie die Kunden ticken“, sagt Meyer. Da müsse man nicht lange erklären. Hinzu komme, dass der Investor gute Geschäfte bringe. „Wir kommen nun an Aufträge heran, an die wir früher nicht herangekommen wären. Unsere Produktion ist derzeit mehr als ausgelastet“, sagt Röttgering.

Dafür sprechen auch die Beschäftigtenzahlen. 2300 Menschen sind nach Unternehmensangaben derzeit weltweit für Saurer Schlafhorst tätig. Mehr als 1100 davon am Standort Übach-Palenberg. Auch in China, Indien und den USA ist Saurer Schlafhorst präsent, weil das die Hauptabnehmerländer für die Produkte des Werks sind. Dennoch gebe es von Jinsheng ein klares Bekenntnis zu Übach-Palenberg als ein Hauptquartier der Gruppe

Und die kulturellen Unterschiede? Die gebe es natürlich, allerdings seien sie weniger groß, als man annehmen würde. „Chinese Way“ nennt Meyer die Art wie in China Entscheidungen getroffen werden. Man orientiere sich an Plänen, sei aber auch in der Lage, sehr flexibel und schnell Entscheidungen zu treffen. „Das ist für eine stark fluktuierende Branche wie die unsrige gut“, sagt Meyer.

Überhaupt beeindruckt die „Langnasen“ die visionär ausgerichtete Industriepolitik Chinas. „Wir schaffen es nicht, einen Flughafen in Berlin zu bauen, da hat China längst einen Hochgeschwindigkeitszug an der gesamten Küste errichtet“, sagt Röttgering, der bei Saurer Schlafhorst für das Geschäftsfeld „Rotorspinning“ zuständig ist.

Dabei seien auch Fortschritte im Bereich Demokratie erkennbar. Massenhafte Umsiedlungen etwa, um große Bauprojekte durchzuziehen, ließen sich inzwischen zumindest in den Ballungsräumen nicht mehr so einfach durchziehen. Da habe sich ebenso wie beim Umweltschutz einiges getan.

So stand etwa einem großen Bauprojekt eine vom Aussterben bedrohte Orchideenart im Weg. Die Funktionäre stoppten kurzerhand das Projekt und veranlassten die Umsetzung der bedrohten Pflanzen. „Das hat mich schon überrascht“, sagt Röttgering.

Ein weiterer Grund, warum der Kulturschock bei Schlafhorst nach der Übernahme eher klein ausfiel, ist die Tatsache, dass die Übach-Palenberger bereits über asiatische Erfahrungen verfügen. Der Textilmarkt ist vor allem im Massensegment stark asiatisch geprägt, was dazu führt, dass eben auch der Hauptmarkt für Textilmaschinen dort liegt. Einfühlungsvermögen in den „Chinese Way“ kann in der Textilbranche also ohnehin nicht schaden.

Ein deutsches Traditionswerk also, dass mit Investorenhilfe aus China den Sprung in die Zukunft fortsetzt. Zu dieser Zukunft gehört auch das Stichwort Industrie 4.0, also die zunehmende Informatisierung in der industriellen Produktion.

„Unsere Maschinen sind bereits mit hochmoderner Datentechnik ausgestattet“, erklärt Meyer. Deshalb sei die Branche prädestiniert dafür, so etwas wie ein Fahnenträger für die Industrie 4.0 zu sein. „Wir müssen das jetzt umsetzen in Anwendungen, die unsere Kunden überzeugen“, sagt Meyer.

Womit wir wieder beim Thema Innovation wären. Solange es die gibt, den Eindruck vermitteln zumindest die beiden General Manager Röttgering und Meyer, braucht auch ein so traditionsreicher Standort wie Schlafhorst in Übach-Palenberg keine Angst vor dem chinesischen Drachen zu haben.