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Aachen: Karriere geht auch ohne Studium

Aachen : Karriere geht auch ohne Studium

Alexander Wengrzik (21) freut sich, eines Tages ausgebildeter Verfahrensmechaniker zu sein. Er ist in seinem Element, wenn er von seiner Ausbildung erzählt. Dabei ist er ein eher untypischer Auszubildender: Er hat die Allgemeine Hochschulreife, das Abitur, in der Tasche.

Folgten seinem Beispiel mehr Abiturienten, dann könnte das den Fachkräftemangel, unter dem immer mehr Unternehmen in Deutschland leiden, abmildern. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) weist in seinem diesjährigen Arbeitsmarktreport unter „Handlungsempfehlungen“ an erster Stelle darauf hin, dass eine Berufsausbildung „auch leistungsstarken Schulabsolventen attraktive Fach- und Führungskarrieren alternativ zum Hochschulstudium“ bietet.

Wenn sich die Situation nicht auf absehbare Zeit bessert, befürchten viele Unternehmen bei Innovationen nicht mehr mithalten zu können. Zudem: fast die Hälfte der 24.000 Unternehmen, die der DIHK für seinen Report befragte, müssen wegen des Fachkräftemangels Aufträge ablehnen.

Änderung ist nicht in Sicht: Das Problem verschärft sich von Monat zu Monat, wie Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung belegen. Dem Institut zufolge sind besonders stark das verarbeitende Gewerbe und die Baubranche betroffen.

Alexander durchläuft sein zweites Ausbildungsjahr bei der Schwermetall Halbzeugwerk GmbH & Co. KG in Stolberg. Das Werk produziert Kupferwalzbänder für die Herstellung von Dachrinnen, Druckknöpfen und elektronischen Bauteilen wie sie etwa in Smartphones Verwendung finden. Auch die Münzprägebänder für Euro-Münzen und viele weitere internationale Münzen stammen aus dem Stolberger Werk. Etwa 1000 Tonnen Walzbänder verlassen täglich das Werk, zwischen 220.000 bis 250.000 im Jahr.

Der junge Auszubildende hat schon in den Schulferien bei der Schwermetall Halbzeugwerk gearbeitet. „Da habe ich entdeckt, dass ich gerne anpacke.“ Anzupacken hat er ständig, denn Warmwalze, Kaltwalze, Öfen, Beize und Fräse müssen ständig kontrolliert, gewartet und gereinigt werden.

Den Maschinen mit unterschiedlichen Mess- und Prüfmethoden auf die Schliche zu kommen, wenn sie nicht so funktionieren, wie sie es sollen, das gefällt ihm. „Als Verfahrensmechaniker überlege ich, welche Aussagekraft die Messergebnisse haben, welche Bedingungen ich für die Maschinen schaffen muss, damit sie optimal laufen.“

Überlegen, wie sie junge Leute als Auszubildende gewinnen können, ist die Aufgabe von Dr. Rolf Bünten, Geschäftsführer Technik sowie Ausbilder für technische Berufe, und Hubert Brock, seit zwei Jahren Personalleiter im Werk. Pro Jahr stellen sie vier technische und einen kaufmännischen Auszubildenden ein. Nur einer von ihnen hat in der Regel Abitur. Bünten bildet seit 17 Jahren technische Fachkräfte aus.

Seitdem beobachtet er: „Schüler für einen Industrieberuf zu gewinnen, wird von Jahr zu Jahr schwieriger.“ Anfangs erhielt er 70 Bewerbungen im Jahr. Heute sind es circa 30. Um die Werbetrommel zu rühren, ist er lange Zeit mit Modellen von ihren Maschinen und einigen Azubis in die Schulen gegangen. Ohne Erfolg.

Bei den Eltern ansetzen

Als eine der Ursachen für das Desinteresse macht er das Vorurteil aus, Arbeiter und Angestellte verdienten unterschiedlich viel — Arbeiter weniger als Angestellte. Durch das Entgeltrahmenabkommen, das IG Metall und Metallarbeitgeberverbände abgeschlossen haben, gilt das jedoch nicht mehr. Er hat herausgefunden, dass er und Hubert Brock bei den Eltern ansetzen müssen. Denn sie sind es, die ihren Kindern meistens zu akademischen Berufen raten. „Wir sollten ihnen vermitteln, dass Industrieberufe nichts Schlimmes sind“, meint er. „Nur wie?“

Darauf hat Personaler Brock eine Antwort. Arbeitsagenturen und Schulen veranstalten Projektwochen, zu denen auch Eltern, Großeltern und Geschwister eingeladen werden. „Es ist wichtig, auch mit den Familien der Schüler ins Gespräch zu kommen“, schildert Brock. So ließen sich Vorbehalte bei denen abbauen, die die Schüler bei ihrer Berufswahl meistens stark beeinflussen. Wie das Arbeitsamt, so veranstaltet auch die Volkshochschule Stolberg zweimal jährlich ähnliche Treffen.

Alexanders Mutter hatte ihm geraten, Abitur zu machen. So stünden ihm alle Türen offen. Nun, er hat sich entschieden und weiß genau, wie er sich seine Zukunft vorstellt. „Meine Ausbildung hier ist sehr gut. Mit ihr habe ich mir einen Grundstein gelegt, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Ich möchte später Kinder haben. Und ein schönes Auto kaufen“.