Start-ups in der Corona-Krise : Jung, innovativ und in Schwierigkeiten
Aachen Auch die Start-up-Szene kämpft mit den Folgen der Corona-Krise. Nur einige wenige können mit gefragten digitalen Ideen wirklich profitieren. Die anderen verbindet vor allem eines: Sie haben keine Kapitalreserven.
Das Start-up ist wie wohl kaum eine Unternehmensform der Inbegriff von Innovation und Kreativität. Nicht selten sind die jungen Firmen auch in Sachen Digitalisierung bestens aufgestellt. Eigentlich hervorragende Bedingungen um heil durch die Corona-Krise zu kommen. Sollte man meinen. Aber abgesehen von einigen glücklichen Gewinnern, die jetzt digitale Lösungen anbieten und sich vor Aufträgen nicht retten können, eint viele Start-ups ein Problem: Kapitalreserven sind in der Wachstumsphase eines solchen Unternehmens gleich null – oder noch akkurater im Minus.
Auch in der Aachener Gründer-Szene ist man besorgt. „Die Corona-Krise hat negative Auswirkungen auf die meisten Start-ups“, sagt Oliver Grün, Vorstandsvorsitzender des Digital Hub Aachen. „Ich befürchte, dass viele von ihnen auf der Strecke bleiben werden.“ Auch Lothar Mahnke, Geschäftsführer beim Aachner Wirtschaftsförderer Agit, rechnet damit, dass die meisten Start-ups einen Schaden davontragen werden. „Viele beliefern die Industrie. Die wiederum wird in den nächsten Monaten aber mit Sicherheit das ein oder andere Innovationsprojekt verschieben“, sagt er.
Das spürt gerade auch das Aachner Start-up Sonah. Das junge Unternehmen hat einen intelligenten Sensor entwickelt, der eingebaut in Ampeln oder Straßenlaternen Daten aus der Umgebung sammelt, die dann zum Beispiel genutzt werden können, um freie Parkplätze und unbesetzte Ladestationen für E-Autos zu finden. Die Sensor-Produktion in Aachen und Taiwan sei zwar noch nicht gefährdet, einige Aufträge wurden aber bereits abgesagt. „Aktuell sieht es noch alles sehr gut aus, aber wir merken definitiv, dass bestimmte Projekte doch nicht umgesetzt werden, was sehr schade ist“, sagt COO und Mitgründer Thomas Grimm.
Auch fehle jetzt die Möglichkeit, das Konzept ihrer Infrastruktur der nächsten Generation persönlich an den Mann zu bringen. Der Aufklärungsbedarf sei einfach zu hoch, um alles digital zu erläutern. Nichts desto trotz ist man bei „Sonah“ überzeugt, es durch die Krise zu schaffen. „Wir sind optimistisch gestimmt und rechnen mit dem schlimmsten“, sagt Grimm. Auch deshalb haben er und sein Team Krisenpläne für positive wie negative Szenarien durchgespielt.
Einen deutlich drastischeren Einbruch in ihrem Geschäft erleben gerade die Gründer von Eventbuddy. Denn sie arbeiten zwar ausschließlich digital, aber untrennbar Verknüpft mit der Außenwelt. Ihre Plattform bietet Dienstleistungen rund um Veranstaltungen, wie etwa den Verkauf von Tickets an. Und davon gibt es in Zeiten vom Coronavirus eben keine. Das heißt aber nicht, dass Geschäftsführer Timo König und Technischer Direktor Lucian Holtwiesche gerade nichts zu tun haben. „Wir hatten zuerst sogar mehr Arbeit“, sagt König. „Wir mussten ja die Rückgabe von Tickets und die Verlegung von Veranstaltungen organisieren.“
Trotz des drastischen Umsatzeinbruchs sei das Unternehmen gerade noch nicht in finanziellen Schwierigkeiten, da einige Angestellte über ein Gründerstipendium bezahlt werden. Doch in einigen Monaten läuft dieses aus. Mit Soforthilfen haben sich die Gründer deshalb bereits auseinander gesetzt, aber: „Klar es ist toll, dass es dieses Geld gibt. Aber der Umsatz ist jetzt weg und der kommt auch nicht mehr wieder“, sagt König. „Das wird die Eventbranche stark treffen.“
Die Gründer wünschen sich deshalb gerade in erster Linie keine Hilfen für sich, sondern für ihre Kunden. Um immerhin noch ein bisschen Geld zu verdienen, aber in allererster Linie, um den regionalen Unternehmen zu helfen, bieten sie ihre Plattform aktuell für den Verkauf von Gutscheinen an. Das soll ihren Kunden bei der Überbrückung helfen, ist aber keineswegs eine langfristige Lösung.
Auch Agit-Geschäftsführer Mahnke machen die langfristigen Folgen für Start-ups die meisten Sorgen. „Bei diesem Aspekt merken wir aktuell einen deutlich höheren Beratungsbedarf“, sagt er. „Muss etwa der Businessplan angepasst werden?“ Für das Team von Eventbuddy ist das gerade ein Wettlauf gegen die Zeit. „Wir müssen rechtzeitig genug Umsatz kreieren, um unsere Mitarbeiter finanzieren zu können“, sagt Holtwiesche. „Aber auch die Investoren halten sich gerade zurück.“
Zu den Investoren gehören auch Bernhard Kugel und Harald Heidemann, beide Vorstand bei der S-UBG Gruppe, die mit ihren Fonds Mittelständler und Start-ups betreut. Während die einen mit wegbrechenden Umsätzen, der Vermeidung von Corona bedingten Schließungen von Fertigungshallen und unterbrochenen Lieferketten kämpfen, fürchten die anderen um ihre nächste Finanzierungsrunde. „Man kann als Start-up nicht sicher gehen, dass man die nächsten Gelder, die man schon sicher geglaubt hat, auch bekommt“, sagt Kugel. „Gerade auch wegen Meilensteinen, die vielleicht nicht erreicht werden.“ Er und seine Kollegen versuchten jetzt, die „Investorenreihen geschlossen zu halten“, Finanzierungsrunden zu sichern und auch mit eigenen Mitteln zu helfen.
Auch eine Aufstockung ihres TechVisionFonds, der aktuell ein Investitionsvolumen von 40 Millionen Euro umfasst, wäre denkbar. Aber, betont Kugel: „Wir sind auch jetzt schon absolut Leistungsfähig.“ Durch interne Vernetzung und individuelle Unterstützung der Unternehmen unter anderem bei Anträgen für Hilfen und Kredite versucht die Gruppe, die Krise so gut es geht gemeinsam zu überbrücken.
Aber die Investoren sehen auch Chancen für die Zukunft. Zum einen für das eigene Geschäft (Heidemann: „Wir sind überzeugt, dass für das Eigenkapital eine Boom-Phase kommen wird.“), zum anderen auch für digitale Ideen. Deshalb hat der TechVision Fonds trotz Krise erst in dieser Woche in ein Düsseldorfer Start-up investiert, das an der Entwicklung von Digitalkonzepten arbeitet.
Langfristig von der Corona-Krise profitieren will auch das Aachener Start-up Polarstern. Die Gründer haben das Glück, genau in dem Markt aktiv zu sein, der gerade absolut gefragt ist: Sie bauen digitale Lernplattformen und beraten ihre Kunden bei der Erstellung von E-Leearning Angeboten. Die Nachfrage sei rapide angestiegen: „Ende vorletzter Woche haben wir gemerkt, dass viele Kunden, die vorher gezögert haben, schlagartig ihre Aufträge bestätigt haben“, sagt Geschäftsführer Patrick Neubert. „Normalerweise haben wir Akquise-Zyklen von einem halben bis eineinhalb Jahren.“
Um diese Nachfrage zu bedienen hat Neubert kurzerhand zwei neue Vollzeitkräfte angestellt und die Stunden aller studentischen Hilfskräfte – die ja gerade weder Prüfungen noch Vorlesungen haben – auf eine Vollzeitstelle aufgestockt. Er hofft, dass durch die Corona-Krise die Digitalisierung in der Bildung an Fahrt aufnimmt. „Wir haben gegründet aus Frustration, dass die Digitalisierung nicht schnell genug vonstatten geht“, sagt er. „Wir wollen dieses Wissen teilen, gerade jetzt, wo es besonders gebraucht wird. Wenn wir es in Zeiten von Corona nicht schaffen, schaffen wir es – glaube ich – gar nicht mehr.“
Auch deshalb bietet Polarstern jetzt auch kostenlose Videos zum Thema digitale Bildung an. Kurz: Lehrvideos, die erklären, wie man Lehrvideos und Co. produziert. Denn, davon ist Neubert überzeugt, Video-Konferenzen und Webinare reichten nicht aus, um erfolgreich digital zu unterrichten, sowohl inhaltlich als auch wegen der Kapazitäten der technischen Infrastruktur.
Auf letztere müssen sich jetzt alle mehr denn je verlassen. Die Unternehmen, die in diesem Beitrag zu Wort gekommen sind, arbeiten gerade fast ausschließlich aus dem Homeoffice. Beim Digital Hub sind nur noch einzelne Co-Working Plätze unter strengen Hygieneauflagen geöffnet. Die Agit und die S-UBG Gruppe führen Beratungsgespräche ausschließlich per Video. Dass man gerade auch in Sachen der eigenen Digitalisierung auch positive Impulse für die Zukunft mitnehmen kann, darüber sind sich alle einig.