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Aachen: Hauptgeschäftsführer der IHK Aachen hört nach 16 Jahren auf

Aachen : Hauptgeschäftsführer der IHK Aachen hört nach 16 Jahren auf

Ob ihm der Abschied schwerfalle? Die Antwort ist typisch für Jürgen Drewes. Das könne er nicht beurteilen, sagt er, dafür stecke er noch viel zu tief drin in der Arbeit. Man darf davon ausgehen, dass sich das bis zu seinem letzten Tag als Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Aachen nicht wesentlich ändern wird.

Auch Dienstag, bei seiner letzten Jahresvollversammlung im Amt, entsprach er bei allen Lobreden und allem Händeschütteln nicht dem Bild eines Mannes, der in ein paar Tagen in Ruhestand geht. Meinungsfreudig und meinungsstark, ganz nah dran an den Themen, bestens informiert, viel unterwegs: So kennt die Region Jürgen Drewes.

 Ein Freund klarer Worte: Jürgen Drewes verlässt die IHK nach 16 Jahren als Hauptgeschäftsführer.
Ein Freund klarer Worte: Jürgen Drewes verlässt die IHK nach 16 Jahren als Hauptgeschäftsführer.

Die Sache mit der Balance

Und doch: Nach fast 16 Jahren gibt er den Posten Ende des Monats ab an seinen bisherigen Stellvertreter Michael F. Bayer. Dass die Vorstellung, sich schrittweise zurückzuziehen, nicht funktioniert habe, sei wohl auch ein persönliches Problem, hatte Drewes vor einigen Tagen beim Besuch in der Zentralredaktion unserer Zeitung konzediert. Im Krönungssaal des Aachener Rathauses formulierte er es gestern so: Eine „ausgewogene Work-Life-Balance zwischen Arbeit und Familie“ sei ihm nie gelungen. Der Dank an seine Familie und insbesondere an seine Frau, die dies „klaglos getragen“ hätten, war deshalb keine pflichtschuldige Angelegenheit.

Kann man sich Jürgen Drewes, der am vergangenen Samstag 65 Jahre alt wurde, ernsthaft als Rentner auf dem Golfplatz vorstellen? Wohl kaum. Er wird in die Anwaltskanzlei eines alten Studienfreundes in Aachen einsteigen, Wirtschaftssachen natürlich. Er wird „sechs bis sieben“ ehrenamtliche Funktionen behalten. Und er wird die Geschäfte der Innovationsregion Rheinisches Revier noch ein paar Monate weiter führen. Doch zuvor wird er am Ostermontag, dem 1. April, morgens aufwachen „in einem neuen Leben. Ich werde dann in Frankreich in Urlaub sein. Das ist auch ganz gut so.“

Doch genug davon, viel lieber als über private Dinge spricht er — auch das typisch — über die Arbeit, über seine Zeit als Hauptgeschäftsführer bei der IHK, die am 1. Juli 1997 begann, als er die Nachfolge von Prof. Otto Eschweiler antrat. Eine „irre dynamische Zeit“ sei das seitdem gewesen, sagt er, mit vielen Veränderungen bei der Kammer — sichtbar auf den ersten Blick und manchmal auch erst auf den zweiten oder dritten. „Wir sind moderner geworden, auch auf Druck hin von außen“, sagt Drewes und spielt damit nicht zuletzt auf die immer mal wieder aufflammende Diskussion über die Pflichtmitgliedschaft (das Wort „Zwangsmitgliedschaft“ hört er nicht gerne) der Unternehmen bei der Kammer an. Klare Verteilung der Aufgaben und der Verantwortlichkeiten innerhalb des Hauses, Qualitätsmanagement, Transparenz, Offenheit: So sei die IHK aufgestellt — was bei Unternehmern, die „heute kritischer sind als früher und auch unter einem größeren Druck stehen“, auch notwendig sei. Ein bisschen Nostalgie gönnt Drewes sich zwar („Es ist vielleicht nicht mehr so gemütlich wie früher“), er lässt aber keinen Zweifel daran, dass die neuen Zeiten seinem Naturell eher entsprechen.

Dazu gehört auch: vor Ort sein, Kontakte pflegen, Probleme früh erkennen. Drewes hat in seiner Zeit eine Standortinitiative der Kammer gestartet, mit Besuchen bei mittlerweile über 1000 Betrieben in der Region. „Ein IHK-Chef muss sich kümmern. Nur so erfährt man, welche Themen anstehen und wo Probleme auftauchen. Nur so können wir helfen und als Mittler zu Land und Bund fungieren.“ Es sei zu wenig bekannt, was eine IHK alles bewirken kann. „Eine Kammer ist wie eine Versicherung. Man zahlt ein, ohne zu wissen, ob man irgendwann Hilfe braucht. Aber wenn es so weit kommen sollte, erkennt jeder, welchen Nutzen er hat.“

Drewes hat deutliche Worte nie gescheut, das war für ihn immer Teil der Glaubwürdigkeit. „Es gehört zum Job des IHK-Chefs, sich einzumischen, Haltung zu zeigen, auch mal anzuecken — aber immer um der Sache willen“, sagt er. Das unterscheidet ihn von denen, die er etwas abschätzig der „Powerpoint-Generation“ zuordnet — Beliebigkeit und Anbiederung sind seine Sache nicht.

Also dann, klare Worte. Thema Bildung: „Ich kann den von der OECD verbreiteten Unsinn, wir hätten zu wenige Akademiker in Deutschland, nicht mehr hören. Das System der dualen Ausbildung in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, die weitergeschrieben werden muss. Das beginnt unten bei der Vermittlung schwächerer junger Arbeitsloser und endet bei unserer Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie.“

Thema euregionale Zusammenarbeit: „Die Bilanz ist ernüchternd. Wir haben in den vergangenen 20 Jahren wenig erreicht. Der große institutionelle Wurf fehlt. Aber das ist kein Grund zur Resignation.“

Thema Außenwirkung der Region: „Die Aachener Region ist nach außen hin nicht so positiv besetzt, wie viele glauben. Wir brauchen im Wettbewerb mit anderen Regionen Verbündete, deshalb müssen wir die Kooperation mit der Rhein-Schiene da, wo es sinnvoll ist, intensivieren. In diesem Verbund sind wir beim Thema Technologie Vorreiter. Das können wir ausspielen. Wer aber glaubt, die Region Aachen kann alles allein, der macht sich etwas vor. Wir sind ein 1b-Standort, das sollten wir akzeptieren.“

Thema Wirtschaftsförderung: „Die Bündelung der Kräfte war uns mit der Gründung der Agit vor knapp 30 Jahren bereits geglückt. Dann ist das in der Folge etwas aus dem Ruder gelaufen. Mit der Gründung des Zweckverbands Region Aachen hat die Agit nun wieder die Chance, sich auf ihre Kernaufgaben zu konzentrieren.“

Thema Alemannia: „Wir können es uns als Region nicht leisten, sie kaputtgehen zu lassen. Die Alemannia ist ein wesentlicher Teil der Marke Aachen.“ Und das sagt nicht nur der Tivoligänger Drewes.

Nur mit Ratschlägen an seinen Nachfolger hält sich der scheidende IHK-Hauptgeschäftsführer doch lieber zurück. „Michael Bayer muss das machen können, was er für richtig hält, ohne Einfluss des Vorgängers. Er hat das Recht, mindestens so viele Fehler machen zu können, wie ich sie gemacht habe.“ Ein klarer Schnitt: Das passt zu Jürgen Drewes.

Standing Ovations für Drewes bei der Jahresvollversammlung der IHK

Es ist nicht verwunderlich, dass Jürgen Drewes die Standing Ovations bei seiner letzten Jahresvollversammlung der Kammer gestern im voll besetzten Krönungssaal des Aachener Rathauses fast unangenehm schienen. Ein bisschen Rührung war dann aber doch zu beobachten.

In seiner Abschiedsrede ging es, auch das nicht verwunderlich, weniger um ihn selbst, sondern um die Themen, die ihn in seiner Zeit bei der IHK (insgesamt 36 Jahre, davon 16 als Hauptgeschäftsführer) begleitet und bewegt haben.

IHK-Präsident Bert Wirtz hatte zuvor Drewes und seine Arbeit gewürdigt und vor allem dessen „Fairness, Ehrlichkeit, Beharrlichkeit, großen Fleiß und die klare Positionierung seiner Meinung“ hervorgehoben. „Wenn er einen Fehler hat, dann den, dass er nicht Nein sagen kann, wenn man ihn um etwas bittet.“

In seiner Jahresrede hatte Wirtz die Wirtschaftsleistung Deutschlands und der Region hervorgehoben, zugleich aber einige Sorgen der Wirtschaft formuliert. Er konstatierte eine „große Fantasie aller Parteien, wenn es um die Einführung neuer Steuern geht — obwohl die Steuereinnahmen alle Rekorde brechen“; er beklagte eine „Welle von Steuererhöhungen in den Kommunen des Kammerbezirks“, forderte europäische Standards bei den Klimaschutzgesetzen und mahnte schließlich „klare und stabile Rahmenbedingungen“ für die Unternehmen bei der Bewältigung der Energiewende an.