Aachen/Moskau : Frische Luft fürs Bolschoi
Aachen/Moskau Die ersten Vorstellungen von Michail Glinkas Oper „Ruslan und Ljudmila” sind schon über die Bühne gegangen - zwischen Blattgold beschichteten Wänden, edlem Stuck und him- beerrot bezogenen Holzstühlen.
Ende Oktober hat das weltberühmte Moskauer Bolschoi-Theater nach sechs langen Sanierungsjahren wieder eröffnet. Herausgekommen ist ein pompöser Musentempel, an dem auch deutsche Ingenieure ihren Anteil hatten. Auch eine Firma aus Aachen hinterließ ihre Fingerabdrücke am neuen alten Bolschoi.
Die Niederlassung von YIT Germany in Richterich-Uersfeld, Inhaber des Alt-Aachener Maschinenbau-Unternehmens Krantz, plante und entwickelte die Belüftung für das legendäre Theater in Blickweite des Kremls und lieferte auch die entsprechenden Teile, sogenannte Luftdurchlässe. Denn YIT ist Spezialist für Raumklima - also die Luftführung und Klimatisierung in großen Hallen und Gebäuden sowie die Luftfilterung in Reinräumen. So waren die Aachener nicht nur für das Eurogress und das hiesige Uniklinikum tätig, sondern auch für die Kölnarena, die Messe Hannover oder das Luxor-Theater in Rotterdam.
Viel Erfahrung
„Wir liefern unser Know-how und unsere Teile weltweit aus”, erklärt Bernd Nickel, Leiter von Krantz-Komponenten bei YIT. „Auch mit Theatersälen haben wir schon viel Erfahrung. Deshalb fragten die Planer aus Moskau bei uns an.” Sein Bereich ist die produzierende Sparte des Unternehmens, die einzige, die den alten Aachener Namen nach der Integration in den finnischen YIT-Konzern behalten durfte. In den Werkhallen werden unter anderem Kühldecken und eben Luftdurchlässe gefertigt.
Letztere spielen im Moskauer Bolschoi eine Rolle. Rund 900 von diesen unscheinbaren Düsen sind unter den Theatersitzen in den Boden eingelassen worden. Etwa 40 Kubikmeter Luft dringen pro Stunde durch die schmalen Düsen-Schlitze. Das gesamte Theater wird so stündlich mit 140 000 Kubikmetern Frischluft versorgt.
Diese Menge gaben die Planer in Moskau vor. Für die genaue Berechnung der Zahlen war Detlef Makulla zuständig. Der Ingenieur ist Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung von YIT, die ebenfalls in Aachen ansässig ist. In Uersfeld untersuchten Makulla und sein Team im Auftrag des Bolschoi-Büros, wie das Moskauer Theater am besten belüftet werden kann.
Wie also die Luftmengen in den Bereichen Parkett, Bühne und Logen aufgeteilt werden müssen. Ein ständiges Hin- und Herfliegen zwischen Aachen und Moskau war für diese Aufgabe nicht nötig. „Die Planer haben uns alle wichtigen Daten übermittelt”, sagt der Ingenieur. „Anhand dieser Informationen haben wir an unseren Prüfständen hier in Aachen die Luftströmung simuliert und das optimale Konzept entwickelt.”
Optimal, das hieß beim Bolschoi vor allem, das Problem einer ansteigenden Temperatur zu lösen. Makulla: „Durch die große Menschenanzahl und die Beleuchtungstechnik erwärmt sich die Luft im Theater relativ schnell.” Makulla und seine Kollegen standen also vor der Herausforderung, das sechsstöckige Haus gleichmäßig mit Frischluft zu versorgen und obendrein eine angenehme Raumtemperatur zu schaffen.
Die Belüftung durch die runden Durchlässe im Boden stellte sich nach Modellversuchen als die beste Lösung heraus. „Warme, verbrauchte Luft steigt bekanntermaßen nach oben. Oben an der Decke kann sie dann einfach abgesaugt werden”, erklärt Makulla. Das Von-unten-Prinzip sei am effektivsten. „Andere Möglichkeiten, wie eine Klimatisierung von oben, bei der sich dann Raumluft und Außenluft im Inneren mischen, waren für das Bolschoi nicht so sinnvoll.” Auch wegen der Akustik. „Von oben müsste die Luft mit mehr Energie eingelassen werden. Das verursacht unerwünschte Geräusche.”
Bei einem Staatstheater wie dem Bolschoi durfte das natürlich nicht sein. Schließlich sollen sich die rund 1700 Besucher, die in das neue Haus passen, voll und ganz auf Glinka, Tschaikowsky oder Strauss konzentrieren. Das können sie nun - auch dank des Aachener Unternehmens. Bei angenehmen Temperaturen und stetig frischer Luftzufuhr.
4,5 Kilogramm Gold bei der Sanierung verbaut
Offiziell hat die sechsjährige Rundumsanierung des Bolschoi eine halbe Milliarde Euro gekostet, inoffiziell ist von einem doppelt so hohen Betrag die Rede. 3500 Arbeiter und Restauratoren waren mit der Rettung beschäftigt und verarbeiteten unter anderem 4,5 Kilogramm Gold
Das Haus von 1856 war Ende Oktober mit einer pompösen Gala wiedereröffnet worden. Neben YIT war übrigens ein weiteres deutsches Unternehmen beteiligt: BBM-Müller (München) überwachte den Bau der ton- und videotechnischen Anlagen im Bolschoi.