Beamtenbund-Chef über Digitalisierung : „Es ist mehr als ein PDF herunterzuladen, um es dann von Hand auszufüllen“
Interview Berlin Der Chef des Deutschen Beamtenbunds, Ulrich Silberbach, lehnt eine Impfpflicht ab, fordert eine zusätzliche Corona-Prämie für die Beschäftigten und mehr Tempo bei der Digitalisierung.
Herr Silberbach, die Pandemie fordert den Staat heraus. Ist er gewappnet?
Ulrich Silberbach: Die Pandemie und die Flutkatastrophe im Sommer haben die Probleme des Staates offen gelegt: Schon jetzt fehlen 330.000 Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. In den nächsten zehn Jahren werden 1,3 Millionen in den Ruhestand gehen. Es ist beschämend, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt im Ländervergleich zur Ausstattung des öffentlichen Dienstes im unteren Drittel liegt.
Die neue Bundesregierung stellt an den Anfang ihres Koalitionsvertrags das Bekenntnis, einen modernen Staat schaffen zu wollen. Macht Ihnen das Angst?
Silberbach: Überhaupt nicht. Das ist auch unser Ziel. Doch dann muss der Staat endlich Tempo bei der Digitalisierung machen und als Arbeitgeber attraktiver werden.
Wie unattraktiv ist er denn?
Silberbach: Unser Wettbewerbsvorteil ist die gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Doch Berufseinsteigern zahlt der Staat wenig, für 3500 Euro fangen Juristen in der Wirtschaft gar nicht erst an. Hinzu kommt das geringe Ansehen der „Staatsdiener“: Polizisten und Feuerwehrleute haben ein hohes Ansehen, doch der allgemeine Beamte gilt vielen als bräsig. Realität und Klischee klaffen weit auseinander.
Nun soll die Digitalisierung kommen. Fürchten Sie einen Stellenabbau? Die Arbeitgeber erhoffen sich große Einsparungen als Digitalisierungs-Dividende.
Silberbach: Dann verstehen sie den Sinn der Digitalisierung falsch. Wenn Computer Routine-Aufgaben übernehmen, hat der Beamte mehr Zeit für anspruchsvolle Arbeit und Beratung. Beispiel: Wenn der Steuerbescheid automatisch erstellt wird, können mehr Beamte als Betriebsprüfer arbeiten und so die Steuergerechtigkeit erhöhen.
Corona zeigt die Mängel der digitalen Verwaltung. Wie geht es weiter?
Silberbach: Der Staat muss mehr Geld und Eifer in die Digitalisierung stecken. Mit dem Online-Zugangsgesetz sollen Bürger künftig 575 Leistungen online abrufen können. Eine gute Sache. Ich sehe aber nicht, dass das wie geplant bis Jahresende gelingt. Digitalisierung heißt ja mehr als ein PDF herunterladen zu können, das man dann von Hand ausfüllen muss.
Wie kann man die Digitalisierung beschleunigen?
Silberbach: Wir brauchen zentrale Zuständigkeiten statt eines IT-Stabs in jedem Ministerium. Die Fitko, die Föderale IT-Kommission, braucht eigenes Personal und eigene Finanzmittel, um die Digitalisierung zentral durchzusetzen. Wir müssen weg vom Kleinklein.
Aber kann der Staat dem IT-Experten, der auch in der Wirtschaft gefragt ist, genug bieten?
Silberbach: Die Tarifverträge sind flexibel. Bayern etwa zahlt IT-Experten eine monatliche Zusatzprämie von 1000 Euro und bietet vergünstigten Wohnraum. Davon können andere Länder lernen.
Wirtschaftsweisen sind erstaunt über den bescheidenen Tarifvertrag, den Sie und Verdi unlängst für die Beschäftigten der Länder abgeschlossen haben. Haben Sie zu lasch verhandelt?
Silberbach: In der Krise haben wir eine maßvolle Forderung erhoben. Dann kam im Herbst der Inflationsschub, und wir waren so fair, die Forderung nicht zu erhöhen. Fairness haben wir auch von den Ländern erwartet. Leider vergeblich. Ich habe noch nie einen so hartleibigen Verhandlungsführer wie den niedersächsischen Finanzminister erlebt. Dennoch konnten wir einiges erreichen: Bis März erhalten zum Beispiel alle Landesbediensteten einen steuerfreien Corona-Bonus, das sind 1300 Euro netto für jeden.
Das ist das Prinzip Gießkanne, obwohl längst nicht alle Mitarbeiter durch die Pandemie belastet sind. Wäre es nicht sinnvoller, gezielt Pflegekräfte zu belohnen?
Silberbach: Alles greift ineinander. Die Klinik funktioniert nur, wenn der allgemeine Staatsdienst läuft. Daher die Prämie für alle. Für Pflegekräfte, Ärzte und andere fordern wir nun einen zusätzlichen Corona-Bonus: Eine Milliarde Euro will Gesundheitsminister Karl Lauterbach in die Pflege stecken. Davon soll er den Mitarbeitern, die die Pandemie stemmen, einen spürbaren Bonus zahlen. Den Sonntagsreden müssen endlich Taten folgen.
Im Kampf gegen den drohenden Personalmangel durch die Omikron-Welle hat der Bund die Quarantäne-Fristen verkürzt. Finden Sie das sinnvoll?
Silberbach: Das ist ein Vabanque-Spiel. Ich höre dazu zu wenig vom neuen Expertenrat. Er müsste erstmal klar sagen, was medizinisch vertretbar ist, und dann müssen die Politiker abwägen, was für Wirtschaft und Gesellschaft notwendig ist und entsprechende Entscheidungen treffen.
Wie gut ist die Impfquote im öffentlichen Dienst?
Silberbach: Ich war zunächst erstaunt über teil unterdurchschnittliche Impfquoten, etwa bei der Polizei. Polizisten sind doch gerade bei Querdenker-Demos besonders gefährdet. Mit dem Schlingerkurs in der Coronavirus-Politik hat die Politik eben auch viele Staatsdiener verunsichert. Doch inzwischen ist die Impfquote auch bei der Polizei deutlich gestiegen.
Was halten Sie von einer allgemeinen Impfpflicht, über die gerade heftig diskutiert wird?
Silberbach: Wir müssen den Druck auf Impfunwillige erhöhen, sie nehmen uns in gewisser Weise doch alle in Geiselhaft. Doch das muss ohne Impfpflicht gehen. Denn der Staat wird sie am Ende nicht durchsetzen können. Es wird Bußgeldbescheide, Widersprüche, Gerichtsverfahren geben. Das bringt aber keine zusätzliche Impfung. Eine allgemeine Impfpflicht würde nur die Schwäche des Staates offenbaren. Besser ist es, 2G-Regeln auszuweiten und auf Impfangebote zu setzen.
Am Montag spricht die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei der Jahrestagung des Beamtenbunds. Was erwarten Sie von ihr?
Silberbach: Wir wollen wissen, wie der Staat seine großen Aufgaben – Klimawandel, Pandemie-Bekämpfung, Digitalisierung – finanzieren will. Die Schuldenbremse darf nicht dazu führen, dass der Staat die Zukunft verspielt. Wenn Bund, Länder und Kommunen den öffentlichen Dienst kaputt sparen, wird es nicht mehr so ruhig bleiben. Dann werden die Beamten auf die Barrikaden gehen.