Aachen : „e.GO Life“ aus Aachen rollt an die Startlinie
Aachen Elektroautos aus der Aachener Ideenschmiede: Das hat sich als Marke etabliert. Nach dem „StreetScooter“ steht nun also der „e.GO Life“ an der Startlinie, ein kompaktes Stadtauto, wie der „StreetScooter“ entwickelt auf dem RWTH Aachen Campus.
Die Fäden laufen dort im neuen Cluster Produktionstechnik bei Prof. Günther Schuh und seinem jungen Team zusammen. Der 58-Jährige, Inhaber des Lehrstuhls für Produktionssystematik an der RWTH, Direktor des Forschungsinstituts für Rationalisierung FIR, Mitglied des Direktoriums des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) und Geschäftsführer der RWTH Aachen Campus GmbH, hat einschlägige Erfahrungen: als Mitbegründer der StreetScooter GmbH, die Ende 2014 von der Deutschen Post gekauft wurde. Schuh ist Vorstandsvorsitzender der e.GO Mobile AG; er hat das Start-up 2015 gegründet. Mit Schuh sprach unser Redakteur Hermann-Josef Delonge.
Herr Prof. Schuh, wie viel Spaß macht es Ihnen, die großen Automobilkonzerne zu ärgern?
Schuh: Wir wollen die gar nicht ärgern. Im Gegenteil. Wir sind angetreten, Alternativen in der Entwicklung und Produktion aufzuzeigen. Wenn sich herausstellt, dass der Weg, den wir hier in Aachen nicht zuletzt mit dem „e.GO Life“ beschreiten, auch in der Breite funktioniert, dann verändert das viele Bereiche der Industrie, auch der Autoindustrie. Das wird dann auch ein Thema für die großen Konzerne. Die können sehen, wie das bei einem „Kleinen“ funktioniert. Wir sind Forscher, wir wollen der Industrie weiterhelfen, indem wir Ideen entwickeln und ausprobieren.
Es stimmt also, was in den einschlägigen Fachforen zu lesen ist: Die Automobilwelt schaut auf Aachen. Oder ist das zu hoch gegriffen?
Schuh: Vielleicht nicht die ganze Automobilwelt, aber doch ein großer Teil. Wir bekommen derzeit ganz viele freundliche, aber auch sehr interessierte Kommentare — auch von den großen Herstellern. Da wird sehr genau beobachtet, was wir tun. Die Automobilbranche ist immens wichtig, nicht nur für Deutschland. Wir als Forscher müssen ihr dabei helfen, notwendige Kurswechsel rechtzeitig einschlagen zu können.
Sie sind aber nicht nur Wissenschaftler und Dienstleister für die Industrie, sondern auch Unternehmer. Wirtschaftlicher Erfolg darf also bestimmt auch sein.
Schuh: Natürlich. Wenn man so weit ist, dass man eine Idee unternehmerisch umsetzen kann, dann soll das auch erfolgreich sein. Aber man muss realistisch sein: Wenn wir mit dem „e.GO Life“ erfolgreich sind und vielleicht sogar mehr als die avisierten 10.000 Autos pro Jahr produzieren, dann ist das immer noch ein verschwindend geringer Anteil an der Gesamtproduktion von Autos. Wir können aber Impulse setzen, von denen auch die anderen profitieren können.
Was fasziniert Sie mehr bei dem Projekt E-Mobilität aus Aachen: das Auto oder die Art und Weise, wie Sie es mit Ihrem Team entwickelt haben und produzieren wollen?
Schuh: Letzteres. Denn hier manifestiert sich die Vision, die wir für den Aachen Campus haben: in einer horizontalen Vernetzung Industriepartner, Technologen, Forscher, Wissenschaftler zusammenzubringen, um mit ihnen direkt und schnell Dinge auf den Weg zu bringen. Jetzt sehen wir: Diese Vision lässt sich praktisch umsetzen. Der „StreetScooter“ und jetzt der „e.GO“ sind der fahrende Beweis dafür. Mit einem Auto ist das leichter erklärbar als mit einem Durchlauferhitzer oder einem Triebwerk. Dass uns dieser Beweis gelungen ist, ist das Wichtigste. Ich will aber nicht verfehlen: Jetzt, wo wir so weit gekommen sind, möchten wir auch Erfolg damit haben.
Wie viele Partner waren eingebunden?
Schuh: Beim „StreetScooter“ haben wir rund 80 Partner eingebunden, überwiegend Zulieferer. Beim „e.GO“ sind wir mit weniger gestartet, weil wir in den Clustern auf dem Campus schon einfachen Zugang zu so vielen Unternehmen hatten und haben, ohne dass die als offizielle Partner firmieren müssen. Das war beim „StreetScooter“ noch nicht in diesem Maße möglich, wie es das heute ist. Um das aber klarzustellen: Wir haben die Entwicklungskosten ohne öffentliche Mittel gestemmt. Zuerst haben wir selbst Geld eingelegt und dann um Investoren geworben. Die Leistungen der Industriepartner und Institute haben wir ganz normal beauftragt und bezahlt.
Von 30 Millionen Euro Entwicklungskosten ist die Rede. War es sehr schwer, dieses Geld einzuwerben?
Schuh: Beim „StreetScooter“ war es jedenfalls schwerer. Jetzt wussten die potenziellen Geldgeber, dass wir es können. Das hat uns sehr geholfen. Wir konnten die Finanzierung direkt und ohne Vermittler organisieren. Das Interesse war international groß.
Was hat der „e.GO Life“ seiner Konkurrenz voraus?
Schuh: Wir haben im Vorfeld genau analysiert, wo der Bedarf liegt: im städtischen Bereich bei einem emissionsfreien, für seine Größenordnung überdurchschnittlich sicheren Fahrzeug für Menschen, die Spaß am Auto haben. Und ganz wichtig: Das Verhältnis von Preis und Leistung muss stimmen. Die geringe Reichweite muss also durch einen sehr günstigen Preis kompensiert werden.
Wie bedienen Sie den Spaßfaktor?
Schuh: Vor allem natürlich durch die knackige Beschleunigung. An der Ampel kann der „e.GO Life“ einen Porsche abhängen — jedenfalls auf den ersten Metern (grinst).
In Deutschland spielen Elektroautos noch keine große Rolle, trotz der staatlichen Kaufprämie. Was machen andere Länder, etwa China, besser, was läuft hier falsch?
Schuh: In China sind die regulatorischen Auflagen viel strenger. In Metropolen bekommen die Autofahrer nur eine Lizenz, wenn sie ein Elektroauto kaufen. Und die staatliche Förderung ist wesentlich größer.
Also nur ein Problem des Geldes?
Schuh: Letztlich ja. In Deutschland gilt bei den Elektroautos im Vergleich zu den Verbrennern: doppelter Preis bei halbem Nutzen. Dieses Missverhältnis kann in der Breite kein noch so großes ökologisches Bewusstsein wettmachen.
Und da kommt dann der Ingenieur Schuh mit seinem Team und sagt: Wir zeigen euch einen Weg, wie man ein Elektroauto viel günstiger herstellen kann.
Schuh: Na ja, so ähnlich. Wir sind ja von Haus aus Produktionsingenieure. Und wir werden meistens erst gefragt, wenn der Entwickler fertig ist. Wir sollen dann zeigen, wie man das kostengünstig produzieren kann. Dann ist es aber meistens schon zu spät. Wir haben uns gesagt: Wir versuchen es einfach mal selbst. Wir machen den ersten Entwurf. Dann können wir anschließend auch produktionstechnisch alle Register ziehen. So haben wir es gemacht. Wobei wir selbstverständlich auch erfahrene Entwickler an Bord hatten. Ich selbst bin übrigens nicht nur Produktionstechniker. Ich habe auch Fahrzeugtechnik studiert.
„StreetSooter“ und jetzt der „e.GO Life“ sind reine Nischenprodukte. Ist das die Lösung? Müssen wir uns damit abfinden, dass Elektromobilität in Deutschland nur in der Nische bestehen kann?
Schuh: Dauerhaft nicht, aber für den Moment ist das der naheliegende Weg. Das Missverhältnis von Kosten und Nutzen bleibt für die universellen ersten Autos mit großer Reichweite und damit für den Massenmarkt zu groß. Wir sind davon überzeugt: Es gibt heute schon zehn bis zwölf Nischen, die man mit reinen Elektroautos besetzen könnte. Zu- und Auslieferer, Pflege- oder Shuttledienste, alle im städtischen Umfeld, wo man Emissionen dringend vermeiden sollte.
Umso verwunderlicher, dass die großen Konzerne nicht dringlicher einsteigen.
Schuh: Ich muss die Großen in Schutz nehmen. Das, was wir hier in extremer Konsequenz machen können, ist für einen etablierten Konzern sehr schwer umzusetzen. Es ist in dieser Branche sehr schwer, mit 12 000-Euro-Fahrzeugen Geld zu verdienen. Wenn Hersteller sie anbieten, um das gesamte Spektrum abzudecken, dann geschieht das in der Regel quersubventioniert durch größere Fahrzeuge. Wenn ein Quereinsteiger wie wir aber zeigt, dass man durch ein bestimmtes Angebot einen entsprechenden Markt entwickeln kann, dann ist es durchaus möglich, dass ein Großer aus seinem Baukasten auch solche Nischenfahrzeuge entwickelt und lanciert.
Oder aber ein Konzern klopft bei Ihnen an und macht ein Kaufangebot für die ganze e.GO Mobile AG — wie die Post beim „StreetScooter“.
Schuh: Es wäre nicht der schlimmste Fall, wenn jemand anklopfen würde. Das ist aber ausdrücklich nicht unser Ziel. Wir haben es nicht darauf angelegt, die e.GO Mobile AG irgendwann zu verkaufen.
Der nächste Schritt ist nun der Start der Produktion in einer neuen Fabrik auf dem alten Philips-Gelände in Aachen. Wie kann man sich diese Fabrik vorstellen?
Schuh: Wir planen eine Industrie 4.0-Fabrik, in der die Informationslogistik weitgehend automatisiert ist. Es gibt also kein Suchen oder Warten. Die Chassisfabrikation wird voll automatisiert sein, weil das ein noch so guter Schweißer dauerhaft so nicht hinbekommt. Bei der Montage sieht das aber überwiegend anders aus. Dort wird es relativ viele Mitarbeiter geben. Übrigens wird das Ganze wie eine kleine Showfabrik funktionieren — mit Tour in einer Bimmelbahn, bei der wir die Besonderheiten der Produktion erklären.
Gehört die Fabrik der e.GO Mobile AG?
Schuh: Nein. Der Immobilienentwickler, die TRIWO AG, der das alte Philips-Gelände komplett übernommen hat, baut die Fabrik. Wir werden Mieter. Da die Fabrik nicht sonderlich speziell ausgestattet wird, kann der Besitzer sie auch anderweitig verwenden, wenn wir unterwegs scheitern würden — oder ausziehen, weil wir uns vergrößern wollen. Der e.GO Mobile AG gehören nur die Produktionsanlagen. Die Investition dafür ist abgedeckt, bis zum Serienstart sind wir durchfinanziert. Und das Land hat sich bereiterklärt, im Anlaufjahr der Fabrik die 2,5 bis drei Millionen Euro an höheren Kosten gegenüber einem Standort in Tschechien zu übernehmen.
Wann geht es los?
Schuh: Die Produktion beginnt am 1. April 2018. Die ersten Autos können dann Ende Mai ausgeliefert werden. Der „e.GO“ kann übrigens jetzt schon auf unserer Homepage vorbestellt werden. Das Interesse ist sehr groß. Das freut uns außerordentlich.