Aachen : CHIO verliert mit AM wichtigen Hauptsponsor
Aachen In Köln konnte Christoph Schmallenbach von seinem Büro aus den Dom sehen. In Aachen muss er dafür in ein Projektbüro auf einer der oberen Etagen des AM-Komplexes an der Borngasse. Von seinem Schreibtisch aus sieht der Vorstandsvorsitzende der AachenMünchener dagegen die große Treppe, die mitten durch den Komplex verläuft.
Er sieht die Menschen, die sich hier treffen, die tollkühnen Mountainbiker, die sich die Stufen hinabstürzen. „Hier ist ganz viel Leben, das gefällt mir“, sagt. Weniger gefällt ihm die aktuelle Zinspolitik der Europäischen Zentralbank, die die Arbeit einer Versicherung nicht leichter macht.
Über die Anforderungen, vor denen seine Branche steht, und wie sich der Umbau der Generali in Deutschland auf die AachenMünchener auswirkt, spricht der 53-Jährige im Interview mit unseren Redakteuren Hermann-Josef Delonge und Thorsten Karbach.
Herr Schmallenbach, die AachenMünchener-Mutter Generali stellt sich in Deutschland neu auf und wird ihren Hauptsitz von Köln nach München verlagern. Rund 1000 Stellen sollen bis 20018 abgebaut werden. Wie wird sich das auf den Standort Aachen und die AachenMünchener-Versicherungen auswirken?
Schmallenbach: Die Generali in Deutschland zielt auf die Stärkung der Wettbewerbsposition der Gruppe im deutschen Markt. Dabei setzt sie auch auf eine verschlankte Verwaltung: Sie wird deshalb Stäbe und Abteilungen, die es in mehreren Unternehmen der Gruppe gibt, zusammenlegen. Wir haben zum Beispiel vier Lebensversicherer in der Gruppe, da braucht es keine vier unternehmenseigene Rechts-, Personal oder Kommunikationsabteilungen.
Das kann man auch zentral in einem Unternehmen bündeln. Wobei das nicht automatisch bedeutet, dass alle Abteilungen nach München verlegt werden. Aber die Steuerung wird zentral von München aus erfolgen. Das ist also ein sehr differenzierter Prozess, der in jeder Abteilung anders aussehen kann, aber sicher Einfluss haben wird auf Aachen, was Mitarbeiteranzahl, Standorte und Funktionen angeht.
Bitte konkret: Wie wird sich die Mitarbeiterzahl in Aachen verändern?
Schmallenbach: Bis Ende 2018 wollen wir rund 100 Stellen in Aachen abbauen. Das soll möglichst sozialverträglich abgefedert werden. Dazu haben wir die passenden Instrumente entwickelt.
Die AM war in den vergangenen Jahren in der Stadt auch als Sponsor präsent. Was ist da in Zukunft zu erwarten?
Schmallenbach: Die Richtschnur ist klar: Wir sind ein bundesweit agierendes Unternehmen. Deshalb müssen wir uns immer fragen, ob uns das Sponsoring in der Fläche hilft. Das war in Zeiten, als Alemannia Aachen höherklassig spielte, einfacher zu beantworten. Ich muss jedes Engagement vor unseren Versicherten verantworten können. Selbstverständlich sehen wir eine lokale und besondere Verantwortung der AM für Aachen, aber wir sind ja auch mit großen Standorten in Nürnberg, Köln, Hamburg, Karlsruhe und Stuttgart vertreten.
Ihnen bleibt ja das CHIO.
Schmallenbach: In diesem Jahr endet der dreijährige Sponsoringvertrag. Wir werden ihn nicht verlängern. Die Werbefläche CHIO ist eher für Unternehmen geeignet, die europa- oder weltweit unterwegs sind und die auf internationaler Ebene eine Marke platzieren möchten. Das trifft auf die AM nicht zu. Deshalb spricht vieles gegen eine Fortsetzung des Engagements.
Für Lebensversicherer und ihre Kunden sind die Zeiten gerade nicht leicht. Es wird immer schwieriger, die Beiträge lukrativ anzulegen. Die Europäische Zentralbank flutet die Märkte weiter mit extrem billigem Geld und hat zuletzt den Leitzins sogar auf 0,0 Prozent gesenkt. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Schmallenbach: Die Politik der EZB ist sicherlich gut gemeint, doch sie hat nicht nur positive Auswirkungen. Denn klar ist auch: Das alles geschieht geht zu Lasten der Sparer und der Menschen, die private oder betriebliche Altersvorsorge betreiben. Und sie wirft bei den Bürgern die Frage auf, ob Sparen überhaupt noch sinnvoll ist. Das tut vielleicht nicht heute weh, sondern dann, wenn man die jetzt anzusparende Altersvorsorge in zehn, 20 oder 30 Jahren unbedingt braucht.
Das Prinzip der Lebensversicherung basiert ja auf einer langjährig angelegten, sicheren Kalkulation für beide Seiten. Unsere Kunden brauchen langfristige Garantien. Die wollen wir als Versicherer ihnen gerne geben, aber dafür brauchen wir entsprechende Rahmenbedingungen. Dies verträgt sich aber nicht mit dem kurzfristigen Hakenschlagen der EZB.
Für Sie ergibt sich ganz grundsätzlich das Problem, dass Sie einem Neukunden erklären müssen, dass es tatsächlich noch sinnvoll ist, eine Lebensversicherung als Altersvorsorge abzuschließen.
Schmallenbach: Das gelingt uns, weil wir flexibel strukturierte Produkte haben und mit der Deutschen Vermögensberatung einen exklusiven Vertriebspartner, der auf den jeweiligen Kunden zugeschnittene, persönliche Beratung anbietet. Hinzu kommt, dass wir in der Sachversicherung einen Rundumschutz für alle Risiken anbieten können. Diese Kombination von erstklassiger Beratung und bedarfsgerechten Produkten gibt uns Rückenwind — und schlägt sich ja auch in den erfreulichen Zahlen unserer Bilanz nieder.
Sie betonen die persönliche Beratung. Widerspricht das nicht der Tendenz, dass viele Menschen sich vor allem im Internet informieren?
Schmallenbach: Ich glaube, dass viele Kunden, die im Internet recherchieren, schnell erkennen, dass die Themen doch viel komplizierter sind, als sie zunächst dachten. Sie erkennen: Ich brauche Rat, einen Helfer, der mich wie ein Coach berät. Eine Rentenversicherung, in die man 40 Jahre einzahlt, um dann 20, 25 Jahre lang Privatrente zu beziehen, verlangt sogar dauerhaftes Coaching. Denn wenn man da einen Fehler macht, kann das ganz üble Auswirkungen haben.
Das erkennen die Kunden nach sehr kurzer Zeit. Und dann suchen sie kompetenten Rat. Ich bin davon überzeugt, dass dies auch in der digitalen Welt bei einem überwiegenden Teil der Bevölkerung so bleiben wird. Denn der Beratungsbedarf ist existenziell und fundamental. Ich sehe unser Geschäftsmodell also auf sehr lange Sicht nicht gefährdet.
Aber Ihre Kunden und deren Bedürfnisse verändern sich doch permanent. Die Generation der heute 20-Jährigen hat ganz andere Anforderungen an eine Lebensversicherung als die Generation ihrer Eltern.
Schmallenbach: Das stimmt absolut. Deshalb brauchen wir Produkte, die im Laufe eines Lebenszyklus anpassbar sind. Und wir brauchen Transparenz. Denn für die heute 20-Jährigen ist klar: Sie wollen wissen, was sie in einem Vertrag mit einem Lebensversicherer abgeschlossen haben und ob das ihren Bedürfnissen entspricht. Und sie wollen, dass man ihnen das in fünf Sätzen erklären kann. Natürlich verändern sich auch die Anforderungen an das Handling. Gerade die großen Onlinekonzerne wie Amazon setzen da Maßstäbe, denen wir uns nicht entziehen können.
Um es mit einem Beispiel konkret zu machen: Schadentracking bei einem Autounfall, nach dem Vorbild der Paketverfolgung. Der Versicherer schickt einen Link, über den der Kunde nachvollziehen kann, wie weit die Abwicklung gediehen ist: Ob das Auto schon begutachtet worden ist, ob die Reparatur schon begonnen hat, wie und wo man später den Leihwagen wieder abgibt und so weiter. Für unsere Kinder wird das einmal eine ganz normale Serviceleistung sein.
Von ihrem Versicherer werden sie erwarten, dass er ihnen das bietet. Und sie wollen selbst und ganz situativ entscheiden, wann und wie sie Kontakt zu ihrem Versicherer aufnehmen, um eine Antwort auf ihre Fragen zu bekommen.
Die Kunden werden also anspruchsvoller?
Schmallenbach: Auf jeden Fall verändern sich die Anforderungen. Andere Dinge werden dafür weniger wichtig und fallen irgendwann weg. Wir beobachten jetzt schon, dass die Anzahl der eingehenden Anrufe oder Briefe zurückgeht, einfach weil es andere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme gibt. Die Anzahl der eingehenden E-Mails steigt dafür kontinuierlich.
Für den Unternehmer bedeutet das, dass sich irgendwann die Frage nach einem Abbau der Komplexität stellt. Das ist, als würden wir zu Hause den Keller aufräumen und alte Dinge ausmisten. Macht wohl niemand gerne, muss aber sein. Das gilt natürlich auch für unser Produkt-Portefeuille.
Wo wir bei elektronischen Kommunikationswegen sind: Da geht es in Ihrer Branche oft um sehr sensible Informationen. Welche Rolle spielt da der Datenschutz?
Schmallenbach: Selbstverständlich eine zentrale. Wir Versicherer haben es mit besonders schützenswerten, personenbezogenen Daten zu tun. Würden wir damit fahrlässig umgehen, könnten wir hinter Schloss und Riegel kommen. Und das ist auch richtig. Deshalb sind wir hier sehr sorgfältig. Das führt allerdings auch dazu, dass wir unseren Kunden bestimmte Informationen oder Dokumente nicht einfach zumailen dürfen, obwohl sie das wollen und auch ausdrücklich erlauben.
Das ist in vielen Bereichen auch gut so. Andererseits ist es erlaubt, die Steuererklärung mit sehr persönlichen Angaben per Elster ans Finanzamt zu schicken. Es ist jedoch nicht erlaubt, per Zuruf eine Haftpflichtversicherung abzuschließen oder zu ändern. Wer das macht oder als Anbieter erlaubt, befindet sich in einer gesetzlichen Grauzone. Wir haben gesetzliche Zwänge, die uns in Richtung Papier drängen. Unsere Kunden verlangen aber einen anderen Service und andere Angebote.
Mein Vorschlag: Wir sollten die Menschen fragen, welchen Schutz sie überhaupt haben wollen und ob sie überzogene Vorschriften nicht auch ablehnen.
Wie verträgt sich die zunehmende Digitalisierung mit dem Geschäftsmodell der persönlichen Nähe bei der Beratung?
Schmallenbach: Persönliche Nähe muss ja nicht in jedem Fall zwangsläufig physische Nähe bedeuten. Die Kunst wird sein, die Chancen der Digitalisierung zu verbinden mit der Gewissheit beim Kunden, dass er zum Beispiel in persönlichen Kontakt zu seinem Vermögensberater treten kann, wenn er es möchte und wenn es das Thema gebietet. Er muss wissen, dass sich jemand um ihn kümmert. Das wird unsere unternehmerische Herausforderung sein. Und das wollen wir vorantreiben.