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Frankfurt/Aachen: Bauern besorgt: EU setzt Pflanzenschutz Grenzen

Frankfurt/Aachen : Bauern besorgt: EU setzt Pflanzenschutz Grenzen

Die Himbeere hat es in sich. Sie enthält 14 verschiedene Säuren, 32 Alkohole, drei Kohlenwasserstoffe und 34 Aldehyde und Ketone — Verbindungen, von denen man irgendwann im Chemieunterricht gehört hat. Trotzdem lässt sich der Verbraucher den Geschmack auf Himbeeren nicht verderben. Wollte man aus ihren Inhaltsstoffen aber ein Pflanzenschutzmittel gewinnen, bekäme es für den europäischen Markt keine Zulassung. Paradox?

Verantwortlich für diese Situation ist ein 2009 in Kraft getretenes neues europäisches Pflanzenschutzrecht. „Seither erleben wir bei der Zulassung von Wirkstoffen einen Paradigmenwechsel“, erklärt Volker Koch-Achelpöhler, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes Agrar (IVA). Es gehe nicht mehr um die Bewertung des Risikos, das von einem Wirkstoff ausgehe, sondern um dessen generelle Gefahr. „Da ist die Himbeere ein gutes Beispiel: Ihre Inhaltsstoffe sind als solche sehr giftig, und deshalb würde sie als Wirkstoff in einem Pflanzenschutzmittel generell abgelehnt. Auch wenn die Konzentration tatsächlich so verschwindend gering ist, dass sie für den Menschen völlig unbedenklich ist.“

Von dem Satz „Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“, den der Salzburger Alchemist Paracelsus im 16. Jahrhundert prägte, wolle heute in Brüssel keiner mehr etwas wissen. „Wir kümmern uns nur noch um das Gift“, sagt der Experte. Das Horrorszenario: In wenigen Jahren könnten kaum noch wirksame Lösungen im Pflanzenschutz zur Verfügung stehen.

Noch im Oktober soll auf europäischer Ebene die Entscheidung über weitere Wirkstoffverbote fallen. Was im ersten Moment wie ein weiterer Schritt in Richtung Verbraucherschutz aussieht, entwickelt sich aus Sicht des IVA zu einem riesigen Problem für die Landwirte in Deutschland. „Uns brechen ganze Wirkstoffgruppen weg, weil die EU ihnen die Zulassung verweigert“, kritisiert Koch-Achelpöhler.

Anfang der 1990er Jahre gab es fast 1000 Pflanzenschutzwirkstoffe, heute sind es noch 300. Dabei sei gerade beim Pflanzenschutz die Wirkstoffbreite wichtig, weil ansonsten die Gefahr der Resistenzbildung bei den zu bekämpfenden Schädlingen steige, erläutert der Hauptgeschäftsführer. Der Agrarverband befürchtet, dass in Brüssel noch strengere Definitionen formuliert würden — „dann verlieren wir weitere Wirkstoffe“.

Bekanntestes Beispiel ist die EU-Richtlinie zum Bienenschutz, nach der der Großteil der gängigen Insektizide bereits nicht mehr zum Einsatz kommen darf.

In der aktuellen EU-Wirkstoffprüfung geht es um Mittel gegen Pilzbefall an Getreide. Neun der zehn meistverkauften Getreidefungizide sollen nach Angaben des IVA verboten werden. „Das ist gerade für die Kölner und Aachener Bucht, die in Deutschland für den Getreideanbau sehr wichtig sind, eine Katastrophe“, meint Koch-Achelpöhler und spricht von einem „Schlag ins Gesicht der Bauern“. Schon heute gebe es die Situation, dass es gegen einige Schädlinge wie zum Beispiel die Kohlfliege im Raps keine Pflanzenschutzmittel mehr gebe.

Probleme bereitet auch die Kartoffel, die gerne von der Krautfäule befallen wird: Bleibt es bei den von der EU vorgeschlagenen Streichungen der nötigen Wirkstoffe (sogenannte Cut-offs), wird sich nur jedes zweite Pflanzenschutzprodukt am Markt halten. Neue, genehmigungsfähige Wirkstoffe sind nach Angaben Koch-Achelpöhlers nicht in Sicht. „Wegen der Krautfäule ist einmal halb Irland in die USA ausgewandert.“

Dramatisch sei derzeit die Situation für Winzer in Baden-Württemberg. Dort befalle die Kirsch-Essig-Fliege Obst und Weinstöcke. Koch-Achelpöhler: „Das Obst können sie wegschmeißen.“ Es gebe kein von der EU zugelassenes Mittel gegen diesen Schädling. „Wir hoffen aber auf eine Notfallgenehmigung aus Brüssel, sonst ist eine ganze Ernte hin.“

Der IVA-Geschäftsführer sieht die konventionelle Landwirtschaft nicht als Konkurrenz zum Ökoanbau. „Ohne konventionelle Landwirtschaft geht es nicht. Die Bevölkerung wächst pro Jahr ungefähr um die Einwohnerzahl von Deutschland. Und die Menschen wollen alle essen.“

Dass die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Bevölkerung immer noch argwöhnisch beobachtet werde, sei auch schuld der Verantwortlichen. „Da müssen wir uns an die eigene Nase packen. „Rückstände von Pflanzenschutzmitteln sind in ganz Europa kein Thema mehr.“ Nicht zuletzt ein Verdienst des EU-Pflanzenschutzrechts von 2009.