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Mäurer und Wirtz zwischen Tradition und Innovation: Alle fünf Sekunden geht ein „Tabac“ über die Ladentheke

Mäurer und Wirtz zwischen Tradition und Innovation : Alle fünf Sekunden geht ein „Tabac“ über die Ladentheke

Das Parfüm 4711 ist in einigen Ländern Kult – und ein neuer Duft verkauft sich rasend via Internet. Das Stolberger Unternehmen Mäurer und Wirtz agiert zwischen Tradition und Innovation.

Neulich im Internet: Ein junger Mann namens Justin blickt vom Sofa aus in die Kamera. In der Hand hält er ein neues Parfüm, das er 20 Minuten lang anpreist. Sein eigenes, wie er sagt. Justin, der mit Nachnamen Fuchs heißt, ist nicht irgendwer. Er ist im Internet ein Superstar. Fast zwei Millionen – vorwiegend junge – Menschen haben seine Kanäle auf Youtube und Instagram abonniert.

Justin ist das, was man einen Influencer nennt. Grob übersetzen könnte man das mit Beeinflusser. Man könnte auch sagen: Er ist so etwas wie die moderne Version von Ariel-Tante Klementine oder O-Saft-Onkel Dittmeyer. Im Mode- und Lifestylebereich gilt Justin als einer der bedeutendsten Influencer überhaupt und hat auch ein eigenes Modelabel. Und nun will er also dieses „Orodion“ verkaufen. Kostenpunkt: 100 Euro für 50 Milliliter. 16 Stunden später ist kein Tropfen des Parfüms mehr zu haben. Ausverkauft. Unglaublich angesichts der Zielgruppe: 14- bis 25-Jährige.

Abgespielt hat sich das Mitte November. Justin hat dieses Parfüm natürlich nicht selber kreiert. Dahinter steckt vielmehr ein Unternehmen, das man zunächst eher mit Duftwasser-Tradition als mit Instagram-Influencern in Verbindung bringt: Mäurer und Wirtz.

 Führt das Traditionsunternehmen in die Zukunft: Stephan Kemen. Vom Wirtschaftsmagazin Capital ist er jüngst unter die Top-40-Manager unter 40 Jahren gewählt worden.
Führt das Traditionsunternehmen in die Zukunft: Stephan Kemen. Vom Wirtschaftsmagazin Capital ist er jüngst unter die Top-40-Manager unter 40 Jahren gewählt worden. Foto: dmp Press/Ralf Roeger

Hinter den Werktoren des über 170 Jahre alten Unternehmens aus Stolberg tut sich zwischen Tradition und Innovation so einiges. „Transformation“ nennt das jener, der als Gesicht und Name für diesen Weg in die Zukunft steht. Und er ist auch noch ziemlich jung: Stephan Kemen, gerade 39 Jahre alt geworden. Dennoch hat er bereits einen beachtlichen Karriereweg hinter sich.

Kemen wuchs in Alsdorf auf, studierte Betriebswirtschaft in Aachen, spezialisierte sich aufs Marketing. Zu seinen beruflichen Stationen zählen die großen Namen wie L’Oréal, Lancome, Armani, Dior. Zwei Jahre lang wechselte er die Branche und war Marketing-Manager beim TV-Sender Vox. Vor acht Jahren zog es ihn jedoch zum Lifestyle und speziell zum Mittelständler Mäurer und Wirtz zurück. „Es hat mich gereizt, dass bei einem solchen Local Player alles vor Ort gemacht wird.“ Zunächst übernahm er das internationale Marketing für die Lizenzmarke Baldessarini, dann für alle Produkte. Seit März 2020 ist er Chief Executive Officer (CEO), wie sich das heute nennt. Einfacher gesagt: Er ist jetzt der Chef vom Ganzen.

In der Öffentlichkeit ist Stephan Kemen weit weniger bekannt als sein Vater, der langjährige Aachener Polizeisprecher Paul Kemen. In der Wirtschaftswelt dafür umso mehr. Und das nicht erst, seitdem ihm im November eine besondere Ehre zuteil wurde. Für das Fachmagazin Capital gehört Kemen bundesweit zu den Top-40-Managern unter 40 Jahren des Jahres 2021 – und man kürte ihn mit dem entsprechenden Titel. „Das ist eine tolle Auszeichnung und zeigt, dass unsere Arbeit hier honoriert wird“, sagt Kemen dazu. Wobei er mit „uns“ das gesamte Team meint, denn: „Ich bin ein Freund des Teamgedankens.“ Rund 300 Beschäftigte umfasst dieses Team aktuell.

Nun ist die Aufgabe, die der 39-Jährige in Stolberg hat, nicht gerade einfach. Denn es ist durchaus ein Spagat zu bewältigen. Da ist zum einen die tief verwurzelte Tradition des Unternehmens. Das bezieht sich auch auf viele der Marken. Insgesamt sind es derzeit 13, die am Firmensitz an der Zweifaller Straße produziert und vermarktet werden. Darunter sind Namen wie die Herrenserie Tabac von 1951 und der Damenduft Nonchalance von 1950. Die Enkelgeneration – etwa 50 plus – bringt mit diesen Namen noch den Geruch von Opa und Oma in Verbindung. Aber man fragt sich: Wer will das denn heute noch kaufen? Stephan Kemen lächelt und sagt: „Alle fünf Sekunden wird weltweit ein Tabac-Produkt gekauft.“ Anders gesagt: Über sechs Millionen Mal geht Tabac im Jahr über die Ladentheken oder in den Versand.

Dennoch räumt Kemen ein, dass besagte Enkelgeneration eher nicht wie ihre eigenen Großeltern duften möchte. Weswegen sich bei solch einer Marke der Imagewandel – im Fachdeutsch der Turnaround – auf anderer Ebene vollzieht. Man geht beim Marketing auf die Generation zu, die die Produkte eben nicht aus besagten Zusammenhängen kennt. Nämlich die unter 30-Jährigen. „Das geschieht über die Sozialen Medien oder auch über Smart TV, also Streamingdienste“, erklärt Kemen. Auch das ist ein Teil dieser Transformation.

 Auf Expansion- und Transformationsskurs: Bei Mäurer und Wirtz in Stolberg wird nach dem Motto Tradition und Innovation gearbeitet. Bis 2030 will man weltweit zu den Top 10 der Dufthersteller gehören. Unser Bild zeigt das Firmengelände von Mäurer und Wirtz und Dalli an der Zweifaller Straße.
Auf Expansion- und Transformationsskurs: Bei Mäurer und Wirtz in Stolberg wird nach dem Motto Tradition und Innovation gearbeitet. Bis 2030 will man weltweit zu den Top 10 der Dufthersteller gehören. Unser Bild zeigt das Firmengelände von Mäurer und Wirtz und Dalli an der Zweifaller Straße. Foto: Mäurer & Wirtz

Ein anderes Beispiel ist das Ururaltprodukt 4711. Um die 230 Jahre wird das „Echt kölnisch Wasser“ schon auf die Haut geträufelt. Doch auch hier dreht sich die Zeitgeist-Uhr weiter. Und bei Mäurer und Wirtz macht man sich Gedanken, wie solch ein Klassiker weiterentwickelt wird, ohne seinen Klassikerstatus zu verlieren. Wie so etwas gelingen kann, zeigt beispielsweise der Ableger „4711 Remix Cologne“, bei dem seit einigen Jahren Duftnoten hinzugefügt werden. Orange oder Zitrone zum Beispiel. Dafür gab es ebenfalls hohe Auszeichnungen, nämlich gleich zwei Mal den Deutschen Parfümpreis „Duftstars“. Kemen dazu: „Mutig sein zahlt sich aus.“ Wobei 4711 an anderen Ecken der Welt noch einen ganz anderen Status hat als in der Heimat. In China etwa sei 4711 eine Ikone, eine Top-30-Marke mit unglaublichem Wachstum. Die Internationalität lässt sich auch in der Kölner Glockengasse belegen, wo das 4711-Stammhaus steht, das allerdings gar nicht mehr das Originalgebäude ist. Dennoch lockt es wahre Ströme von Touristen an.

Auf der anderen Seite wagt man sich auch mit ganz neuen Serien in den Markt. Dazu gehört „Les Destinations“. Auf den Flacons sind unterschiedliche Koordinaten abgedruckt. Sie stehen für Orte rund um die Welt von Montreux bis Costa Rica und von Kuba bis Oman. So wird dann gleich ein Stück Fernweh bedient – zum durchaus luxuriösen Preis von 120 Euro pro 50 Milliliter.

Verkauft werden die Produkte über Distributionsnetze in insgesamt 135 Ländern. Fokussieren will man sich insbesondere auf einige Märkte, die am stärksten wachsen. Dazu gehören vor allem Russland und China, Osteuropa und der mittlere Osten, wo es Wachstumsraten von bis zu 25 Prozent pro Jahr gebe. Denkbar ist, dass dort auch eigene Vertriebsgesellschaften gegründet werden, wie es bereits seit langem eine für die Benelux-Staaten gibt. Dabei, so sagt Stephan Kemen, kommt eine Stärke des Local Players zum tragen, der ein Global Player wird. So hat man beispielsweise eigens für den russischen Markt einen Duft kreiert. So etwas sei von den Großen der Branche in der Art nicht zu leisten.

Neue Düfte werden übrigens nicht in Stolberg „erfunden“. Es ist so ziemlich das Einzige, das man nicht selber macht. Dafür bedient man sich der Expertise der führenden Parfümeure, die – wo sonst – in Paris sitzen. Durchaus möglich, dass einer von ihnen eben noch ein neues Chanel-Parfüm kreiert hat und nun an einer Duftnote von Mäurer und Wirtz arbeitet. „Nur ganz wenige Hersteller haben heute noch einen eigenen Parfümeur“, erzählt Kemen.

Mit Blick auf die Zukunft gibt es eine klare Firmenstrategie bei Mäurer und Wirtz, das in fünfter Generation in Familienhand geführt wird und zur Dalli-Gruppe gehört, an deren Spitze Hermann Wirtz agiert. Wobei sich Stephan Kemen mit Taktik und Strategie durchaus auskennt, war er doch auch ein sehr guter Fußballer mit Stationen wie Germania Dürwiß, Borussia Brand, Westwacht und Alemannia Aachen. Seine Position war im Mittelfeld.

Beruflich gesehen ist Mittelfeld nicht sein Ziel. Das Unternehmen soll ganz nach oben. Spätestens 2030 soll Mäurer und Wirtz weltweit zu den Top 10 der Branche gehören. Das wäre gleichbedeutend mit der Verdopplung des heutigen Umsatzes. 2020 lag dieser bei 176 Millionen Euro. Stellenweise hat man es schon an die Spitze geschafft. In China sei die Marke Baldessarini zeitweise die Nummer eins vor solchen Größen wie Chanel und Dior. In Deutschland gehört Mäurer und Wirtz zu den drei größten Duftherstellern. Gelingen soll das alles weiterhin von Stolberg aus. Da gibt es trotz der Expansionsgedanken ein Bekenntnis zum Standort: „Die Ressourcen dafür reichen hier“, so Kemen.

Wachstum hat es indes auch bei Mäurer und Wirtz gegeben. In den vergangenen Jahren sei es kontinuierlich aufwärts gegangen, und die Belegschaft sei entsprechend mitgewachsen, so Kemen. Dann kam Corona. „2020 gab es einen enormen Verlust“, so Stephan Kemen. Gerade im Weihnachtsgeschäft, wo die Parfüms ganz besonders dufte verkauft werden, seien die Städte 40 Prozent leerer gewesen als sonst. Und es kam die Flut, die auch das Mäurer und Wirtz/Dalli-Firmengelände schwer getroffen habe. „Es gab keinen Strom, die Produktion fiel aus“, so Kemen. Anderthalb Meter hoch stand das Wasser. Rundherum waren zudem die Straßen derart zerstört, dass bereits produzierte Ware nicht ausgeliefert werden konnte. Was auch für das Lager in Eschweiler gilt. „Die Nachwirkungen spüren wir heute noch“, so der Manager.

Neben der besagten Internationalisierung steht das Thema E-Commerce weit oben auf der strategischen Prioritätenliste. Gemeint ist der Onlinehandel. Die Aktion mit Influencer Justin war für Mäurer und Wirtz der Einstieg in den D2C- Hype. D2C steht für Direct to Consumer und boomt insbesondere in den USA. Dabei werden die Produkte direkt vom Hersteller an die Verbraucher vermarktet und verkauft. Das wird auch Direktvertrieb genannt. Zwischenhändler gibt es nicht. Und das Pilotprojekt war bereits ein Knaller. Wie viele „Orodion“-Flaschen über Justin in besagten 16 Stunden verkauft wurden, sagt Stephan Kemen aus strategischen Gründen nicht. Aber zumindest soviel: „Wir sprechen hier nicht über 500 oder 1000, sondern über eine große Auflage.“ Übrigens: Zwei Stunden, nachdem alles ausverkauft war, sei „Orodion“ auf Verkaufsplattformen aufgetaucht. Zum doppelten Preis.

Anzunehmen ist, dass dieses Projekt keinesfalls eine Eintagsfliege bleibt. Stephan Kemen kennt sich mit dieser Welt bestens aus. Er selber hat bis vor vier Jahren einen Lifestyle-Kanal auf Instagram betrieben – mit 120.000 Abonnenten. Transformation und Innovation eben. Zu der aber halt auch gehört, die Tradition mit in die Zukunft zu nehmen. Bei Mäurer und Wirtz ist man überzeugt, diesen Spagat wie so vieles in der langen Firmengeschichte bestens hinzubekommen.