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Berlin: Tränen des Glücks statt flotter Sprüche bei Gina Lückenkemper

Berlin : Tränen des Glücks statt flotter Sprüche bei Gina Lückenkemper

Das hatte sie noch nie. Einen Lauf, an den sie keine Erinnerung hat. „Ich weiß von dem Rennen gar nichts mehr“, erzählt Gina Lückenkemper. In 10,98 Sekunden holte die Sprinterin am ersten Abend der Leichtathletik-Europameisterschaften die erste Medaille für das deutsche Team. Farbe Silber. Was sie definitiv weiß: „Das ist ein geiles Gefühl.“

Die sonst so kesse Lückenkemper musste sogar ein paar Tränen des Glücks verdrücken. Feiern stand erst einmal nicht auf der Tagesordnung: „Ich bin weiterhin im Wettkampf.“ Denn am Sonntag stehen noch die 4 x 100 Meter an. „Ich denke, dass uns das allen noch mal einen ordentlichen Push gibt“, schaut Lückenkemper Richtung Wochenende. Ihre potenziellen Staffelkolleginnen Tatjana Pinto und Lisa-Marie Kwayie verpassten in 11,16 und 11,36 Sekunden den Finaleinzug.

Knappes Rennen

„Das Letzte, das ich von dem Rennen weiß? Bevor es losging, als ich im Block saß, hat irgendjemand im Stadion noch mal ‚Lückenkemper‘ gebrüllt, und ich dachte nur ‚yeah‘. Und das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich über die Ziellinie gelaufen bin und gehofft habe, dass es noch reicht“, erinnert sich Lückenkemper. Hinter der britischen Siegerin Dina Asher-Smith, die nach 10,85 Sekunden im Ziel war und deren Sieg im Jubel über die erste deutsche Medaille unterging, wurde es eng. Nur 0,01 Sekunden lagen zwischen Lückenkemper (10,98) und der Niederländerin Dafne Schippers (10,99).

Ronald Stein, beim Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) als Bundestrainer für den Frauensprint zuständig, bescheinigt Lückenkemper ein hohes Maß an „Wettkampfkompetenz“, also die Fähigkeit, auch bei Stress und gegen stärkere Gegner ihre Leistung abrufen zu können. „Vergangenes Jahr im WM-Halbfinale hat sie es nicht hinbekommen. Das ist ein Entwicklungsprozess. Das ist eine neue Qualität im Vergleich zum vergangenen Jahr.“ So kann Lückenkemper mittlerweile gegen internationale Topsprinterinnen bestehen. Das Niveau bei der Europameisterschaft sei, sagt Stein, „absolute Weltklasse“. Die Schwäche der 21-Jährigen bleibe die Reaktionszeit beim Start, meint der Bundestrainer.

„Manchmal kriegt sie es hin, im Halbfinale ging es“, sagt Stein. „Sie hat auf jeden Fall noch Reserven.“ Lückenkemper kommentiert ihre Schwäche so: „Ist doch geil, dass man noch was hat, was man verbessern kann.“ Bei der Erinnerung ans EM-Halbfinale, das sie ebenfalls in 10,98 Sekunden absolvierte, kommt sie ins Schwärmen. „Im Halbfinale waren 80 Prozent des Rennens Fliegen, weil ich unfassbar wenig Aufwand gebraucht habe, um voranzukommen. Ich komme dem perfekten Rennen immer näher. Und ich habe ja noch ein paar Jahre.“ Schließlich ist sie erst 21 Jahre jung.

„Klares Ziel ist eine Medaille“, nennt der Bundestrainer als Ziel für Sonntag. „Großbritannien, Frankreich, die Niederlande, die Schweiz und wir, das sind die, die sich um drei Medaillen streiten werden.“ Von den Einzelzeiten der Sprinterinnen liege Großbritannien vorne, sagt Stein. „Aber Staffel ist Staffel.“ Dass eine gute Staffel mehr sein sollte als die Summe ihrer Einzelteile, das hoffen auch, und noch mehr als die DLV-Frauen, die sprintenden Männer. Die enttäuschten über 100 Meter. Der erst 20-jährige Kevin Kranz schied im Vorlauf in 10,41 Sekunden aus, für Lucas Jakubczyk (10,32) und Julian Reus (10,37) war im Halbfinale Schluss. „Wir haben mit der Staffel Großes vor“, kündigt Jakubczyk an.