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Dressur: „Olympia – ich habe meinen Traum gelebt“

Dressur : „Olympia – ich habe meinen Traum gelebt“

Vor 20 Jahren gewannen die Aachenerinnen Alexandra Simons-de Ridder und Nadine Capellmann in Sydney Gold im Dressur-Team. Eine Bratwurst hätte fast den Lauf der sportlichen Geschichte verändert.

Genauer gesagt, der Geruch der Bratwurst. Der war Farbenfroh im Viereck in die Nase gestiegen. „Und er war nicht mehr zu bewegen, in die Richtung, aus der der Geruch kam, zu gehen“, erinnert sich Nadine Capellmann – heute lachend, denn die Geschichte, die sich 2000 bei den Deutschen Meisterschaften in Balve, der Qualifikation für die Olympischen Spiele in Sydney ereignete, hat natürlich ein Happy-End. Gemeinsam mit ihrer Aachener Teamkollegin Alexandra Simons-de Ridder sowie Isabell Werth (Rheinberg) und Ulla Salzgeber gewann Capellmann erstmals in ihrer Karriere olympisches Gold.

Der Traum von Olympia – für die beiden Aachenerinnen sollte er sich 2000 erfüllen. Doch bevor es nach Sydney ging, hatte das Schicksal ihnen Steine in den Weg gelegt. Drei Monate lang hatte Alexandra Simons-de Ridder aufgrund von Schmerzen, deren Ursache die Ärzte nicht finden konnten, kaum reiten können. „Ich hatte Sydney fast abgehakt, konnte Chacomo nur bewegen, musste aber bei der DM wenigstens im Grand Prix antreten – für drei Prüfungen hätte ich keine Kraft gehabt“, erinnert sich die 57-Jährige. Sie biss die Zähne zusammen und pilotierte ihren Braunen auf Platz drei – hinter Capellmann.

Die hatte gleich zwei Eisen im Feuer, den erfahrenen Gracioso, mit dem sie bereits Team-Welt- und zwei Mal -Europameisterin geworden war, sowie den noch jungen Farbenfroh, den sie selbst für Olympia präferierte. Doch nach dem guten Start wurde die DM für sie zum Debakel: „Farbenfroh lud sich im Spécial immer mehr auf“, erinnert sich Capellmann, die eine „Explosion“ des Youngsters noch verhinderte. Noch ärger erging es ihr mit Gracioso. „Da stand eine Kamera am Viereck, dann kam ein Zuschauer durchs Unterholz, und wenn Gracioao einmal Angst hatte, ging nichts mehr.“ Er widersetzte sich, seine Reiterin musste aufgeben.

Keine leichte Aufgabe für den Dressurausschuss um seinen Vorsitzenden, den 2011 verstorbenen Würselener Anton Fischer. Und der hatte eine ungewöhnliche Idee. „So eine habe ich auch danach nie wieder gehört“, sagt Capellmann grinsend. Sie musste „zur Strafe“ nicht nur vor dem CHIO Aachen in Nörten-Hardenberg noch einmal antreten, beide Reiterinnen sollten sich auch beim Dressurturnier auf Gut Kuckum in Würselen-Pley präsentieren.

 Grenzenloser Jubel nach dem Ritt: Nadine Capellmann umarmt und lobt Farbenfroh nach dem Gewinn des Weltmeister-Titels 2002 in Jerez de la Frontera.
Grenzenloser Jubel nach dem Ritt: Nadine Capellmann umarmt und lobt Farbenfroh nach dem Gewinn des Weltmeister-Titels 2002 in Jerez de la Frontera. Foto: imago/Camera 4

Unter den strengen Augen von Fischer und des damaligen Bundestrainers Klaus Balkenhol ließ Capellmann ihre beiden Füchse in der Kür tanzen, während Alexandra Simons-de Ridder eine Grand-Prix-Vorführung unter Anleitung ihres Trainers und Ehemanns Ton de Ridder zeigte. Beide überzeugten – und noch viel mehr beim CHIO Aachen: Simons-de Ridder belegte im „Großen Dressurpreis von Aachen“ Rang zwei, Capellmann Platz drei – auf Farbenfroh, der sich mit dem Sieg im Spécial das Olympiaticket sicherte. „Gracioso war ein tolles Pferd, aber Farbenfroh hatte mehr Ausstrahlung und Gangvermögen“, unterstreicht Capellmann.

Die letzten Hürden auf dem Weg nach Sydney waren die Quarantäne, die die Dressurpferde auf den Schafhof in Kronberg absolvierten, und der Flug – zumindest für Chacomo. „Ich war der Außenseiter, niemand sein Pferd mit Chacomo zusammen in den Container verladen“, so Simons-de Ridder grinsend. Testweise hatte sie Chacomo für den Flug zum Weltcup in Stockholm verladen, und noch auf dem Rollfeld hatte er den Transportcontainer demontiert. „Er mochte es nicht, angebunden zu sein. Als man den Strick löste, stand er wie ein Lämmchen“, erläutert die Aachenerin, der Springreiter Lars Nieberg beisprang. Sein Esprit war im Flieger die Ruhe selbst, und Chacomo – unangebunden und unter Aufsicht von Ton de Ridder – neben ihm auf dem Weg nach Sydney ebenfalls.

Sieg steht schon fest

Down Under war das alles vergessen. Schon an Tag eins legten Simons-de Ridder und Werth im Grand Prix ein üppiges Polster für das deutsche Team an. Selbst zwei dicke Patzer von Rusty und Salzgeber, die Siebte wurden, konnten den Sieg vor den Niederlanden nicht mehr verhindern. Und so ritt Nadine Capellmann schon als Olympiasiegerin ins Viereck, baute auf dem fast übereifrigen Farbenfroh den Vorsprung aber noch weiter aus.

Bei allen schönen Gedanken an Sydney – die ersehnte Goldmedaille steht immer noch im Fokus. „Die Emotionen waren überwältigend“, sagen beide unisono. „Da oben zu stehen, ist ein unglaubliches Gefühl. Wie ein Film laufen die Stationen, die einen dahin geführt haben, vor einem ab.“ Doch es ist weder einfach, Olympiasiegerin zu werden noch zu sein. Capellmann lacht: „In der Pressekonferenz saß ich neben Isabell, die locker auf Englisch parlierte. Ich bin zwar cool beim Reiten, beim Reden war ich es – zumindest damals – noch nicht.“

Nach dem Team-Gold ging der Kampf um die Einzelmedaillen los – und der sollte für die Aachenerinnen dramatisch werden. Während Werth und Capellmann als beste Deutsche im Spécial zwei der drei Kür-Plätze pro Nation belegten, hatten Simons-de Ridder und Salzgeber genau die gleiche Punktzahl nach Grand Prix und Spécial. Für beide gab es Argumente – und der Dressurausschuss um Anton Fischer entschied sich für Salzgeber. „Das war eine schwere Entscheidung, aber die einzig akzeptable“, war Fischer damals selbst „am Boden zerstört“.

Das bessere Ergebnis im Spécial hatte den Ausschlag gegeben. „Dabei hatte Ulla nur dank einer Richterin, die sie sogar vor Werth und Gigolo setzte, so viele Punkte“, spürt man Simons-de Ridder auch heute noch an, dass ihr die verpasste Chance nahegeht. Mehr noch – es fühlt sich wie eine „geklaute“ Aachener Medaille an, denn auch Capellmann hatte in der Kür das Nachsehen: Kaum im Viereck fiel Rustys Musik aus – die Ersatz-CD war im Stall und nicht in der vorgeschriebenen Zeit im Rekorder. Doch Ulla Salzgeber durfte nach den anderen Startern noch mal von vorne beginnen – entgegen des Reglements. „Das wäre Nadines Bronzemedaille gewesen“, sagt Simons-de Ridder. So wurde Capellmann Vierte beim Sieg von van Grunsven vor Werth.

 Unvergessen: Chacomo unter Alexandra Simons-de Ridder in Sydney auf dem Weg zur Goldmedaille.
Unvergessen: Chacomo unter Alexandra Simons-de Ridder in Sydney auf dem Weg zur Goldmedaille. Foto: imago/Thomas Zimmermann

Doch Farbenfroh und Chacomo waren jung, hatten beide noch eine große Zukunft vor sich – so schien es zumindest. Denn 2003, die EM vor Augen, merkte Alexandra Simons-de Ridder beim Turnier in Nörten-Hardenberg, dass etwas mit Chacomo nicht stimmte. Kurz darauf wurde er am Magenband operiert, doch das alleine war es nicht. 1999 hatte Simons-de Ridder bei der EM in Arnheim zum Gold-Team gehört, aber für die Einzelwertung passen müssen, da Chacomo auf einmal flach atmete. Im September 2001 wurde die Ursache gefunden – ein Tumor zwischen Luftröhre und Lunge.

Trauriger Abgang

„Die Diagnose hat viel zu lange gedauert, er hätte überleben können“, sagt seine Reiterin traurig. Chacomo kehrte nicht mehr ins Viereck zurück und musste im November 2001 erlöst werden. Mit Calambo und Wellington ritt die heute 57-Jährige noch zehn Jahre lang auf internationaler Bühne mit. Dann standen ihre Töchter Jill und Julia im Vordergrund, die beide EM-Gold bei den Junioren gewannen und heute auf Grand-Prix-Niveau reiten.

„Meine internationale Karriere war kurz, ich bin ja erst mit 30 Jahren erstmals Rheinische Meisterschaften geritten, aber es war eine tolle Zeit“, blickt Simons-de Ridder zurück. 1999 EM-Gold, Platz drei im Weltcup mit der unvergessenen Kür zu „Music was my first love“ und Aachen-Siegerin, 2000 Olympiasiegerin: „Ich habe meinen Traum gelebt“, sagt Alexandra Simons-de Ridder, die weiterhin reitet. „Ich liebe es immer noch, mich mit den Pferden zu beschäftigen.“

Ganz anders der weitere Werdegang von Nadine Capellmann: EM-Teamgold und -Einzelbronze 2001 folgte ein Jahr später im spanischen Jerez de la Frontera der totale Triumph: Nach Team-Gold gewann Farbenfroh auch Einzel-Gold. „Ein Einzeltitel – und den auch noch bei einer WM zu gewinnen, ist schon was ganz Besonderes“, waren 2002 neben dem Aachen-Sieg die Weltreiterspiele das Highlight in ihrer Karriere.

Auch bei ihr schlug das Schicksal ein Jahr später zu: Farbenfroh hatte sich verletzt und musste sich einer Routine-OP unterziehen. Beim Aufstehen in der Aufwachbox rutschte er aus und brach sich den Oberschenkelhalsknochen. „Es hat unbeschreiblich weh getan, als wir mit leerem Hänger die Klinik wieder verließen“, sagt Capellmann.

Doch im Stall stand mit Elvis eine neue Hoffnung, die viel Arbeit erforderte und sie ablenkte. „Das hat mich wieder aufgerichtet“, so die Reiterin. Der junge Star war nicht einfach, darf sich rühmen, mit Capellmann, Balkenhol und Martin Schaudt gleich drei Olympiasieger in den Sand gesetzt zu haben. Doch 2006, bei den Weltreiterspielen in Aachen, war er gereift, holte Gold mit dem Team, ein Jahr später EM-Silber und 2008 in Hongkong die zweite olymische Goldmedaille für Nadine Capellmann.

Nach Elvis verletzungsbedingtem Abschied aus dem Sport 2013 war Nadine Capellmann mit verschiedenen Pferden, wie Girasol, For Post oder Dark Dynamic, auf Grand-Prix-Ebene vertreten, der ganz große internationale Erfolg blieb aber aus. „Ich hatte so viele Jahre tolle Erfolgspferde, aber in der jüngeren Vergangenheit hatte ich nicht das richtige Händchen für die richtigem Pferde“, gibt die Aachenerin, Mutter einer inzwischen neunjährigen Tochter, unumwunden zu. Nach 2020, in dem sie coronabedingt nur ein Turnier ritt, will sie 2021 durchzustarten. „Ich möchte schöne, internationale Turniere reiten. Und dann schauen wir mal, wie es läuft . . .“