1. Sport
  2. Lokalsport

Marcel Reisgies: Die unfreiwillige Pause des Torwart-Torjägers

Marcel Reisgies : Die unfreiwillige Pause des Torwart-Torjägers

Der ehemalige Keeper Marcel Reisgies zählt zu den Top-Torjägern der Fußball-Landesliga. Momentan wird er aber vom Coronavirus ausgebremst.

Zuletzt musste Marcel Reisgies das Bett hüten. Das Coronavirus bremste den schussgewaltigen Angreifer der Sportfreunde Düren aus, der in dieser Saison Tore am Fließband produziert hat. Die Zwangspause führte dazu, dass er in der Liste der besten Torjäger der Fußball-Landesliga auf den gemeinsamen zweiten Platz abrutschte: Florian Welter (TuS Königsdorf) erzielte einen Treffer, Sulayman Dawodu (SV Rott) traf sogar doppelt. „Das ist aber nicht so dramatisch. Es gibt wichtigere Dinge, als die Torjägerkanone zu gewinnen“, sagt Reisgies und ergänzt mit einem Schmunzeln. „Ich bin ja früher auch schon ohne Tore ganz gut ausgekommen.“

Das kann man durchaus so sagen, denn früher war es seine Aufgabe, Gegentore zu verhindern. Für Viktoria Arnoldsweiler stand der gelernte Keeper in der fünfthöchsten Spielklasse Deutschlands sogar schon zwischen den Pfosten, als die Mittelrheinliga noch Verbandsliga hieß. Und er machte seinen Job so gut, dass er viele Jahre die Nummer eins der Kleeblätter war. Zwischenzeitlich durfte der Junge mit den blondierten Haaren und den ausgefallenen Trikots sogar die Elfmeter schießen, und das hatte einen ziemlich einfachen Grund: „In allen Mannschaften, in denen ich gespielt habe, hatte ich den härtesten Schuss.“

Am 17. November 2013 war dann sozusagen die Geburtsstunde des Torwart-Torjägers, der seinem Keeperkollegen vom Bonner SC mit einem strammen Schuss aus elf Metern keine Chance ließ. „Für mich gab es bei Strafstößen nur eine Ecke“, sagt Reisgies. Nur einmal wurde ihm das zum Verhängnis, im Spitzenspiel gegen den FC Wegberg-Beeck. „Sascha Rodemers lag schon halb in der rechten Ecke. Das hätte ich sehen müssen.“

Es war eine Zeit, in der Reisgies nicht nur das Torwarttraining in der ersten Mannschaft absolvierte, sondern auch einmal in der Woche als Feldspieler mit der zweiten trainierte. „Mein damaliger Trainer Bernd Lennartz hat mir das damals erlaubt“, sagt der Schalke-Fan, der Manuel Neuer als Vorbild auserkoren hat.

Vor der Saison 2014/15 wollte er dann aber mehr. „Ich wollte herausfinden, ob ich auf einem gewissen Niveau auch im Feld mithalten kann.“ Hinzu kamen die Sprüche seiner Angreifer und Freunde, mit denen er häufig hart ins Gericht gegangen war, die ihn motivierten. „Sie haben mir gesagt: Marcel, du stellst dir das immer so einfach vor. Aber so leicht ist es nicht.“

Wenn man sich die Statistik anschaut, sieht es so aus, als wäre der Positionswechsel dann aber doch spielerisch leicht vonstattengegangen: In 24 Bezirksliga-Spielen für die Zweite von Arnoldsweiler erzielte der schussgewaltige Azubi-Angreifer 16 Tore und bereitete acht weitere vor.

Im Sommer 2015 vollzog er allerdings die Rolle rückwärts, da sein ehemaliger Mitspieler und Trainer Frank Rombey ihn in der ersten Mannschaft wieder zwischen den Pfosten sehen wollte. Aber da Reisgies während der Saison einen längeren Auslandsaufenthalt antrat, stieß er irgendwann wieder als Stürmer zur Mannschaft, „weil wir vorne mehr Bedarf hatten als hinten“. In elf Mittelrheinligaspielen kam er dann auch auf beachtliche vier Tore. „Viele haben mir gesagt: Das ist schon krass“, erinnert sich Reisgies. „Aber als Torwart warst du noch besser.“

Es zeigte zugleich das Dilemma, in dem Reisgies seit seiner Umschulung steckte. Viele sahen in ihm immer noch den hervorragenden Schlussmann, aber nicht den abgezockten Mittelrheinliga-Torjäger. „Andere Jungs haben den Vorzug bekommen, weil sie als Stürmer geholt worden waren und ich in der Wahrnehmung immer noch ein Torhüter war.“

Er machte einen Schritt zurück – und wieder lief es wie am Schnürchen: In 13 Bezirksliga-Spielen erzielte er 13 Tore. „Und dann meldete sich mein Herzensverein Arnoldsweiler wieder“, sagt Reisgies. Er wechselte nach nur einem halben Jahr wieder zurück, kam bei der Viktoria aber nicht über die Rolle des Einwechselspielers hinaus.

„Das war schon sehr enttäuschend“, sagt Reisgies, der sich im Nachhinein ärgerte, dass er den Sportfreunden nicht dabei hatte helfen können, in die Landesliga aufzusteigen. 51 Spiele, 38 Tore und 22 Assists später hatte er nach seinem erneuten Wechsel dazu beigesteuert, das Ziel mit Verspätung zu erreichen.

„Als Feldspieler war die Mittelrheinliga das Höchste der Gefühle. Als Torwart hätte ich es noch höher schaffen können“, ist Reisgies überzeugt. Als seine ehemaligen Weggefährten Lennartz und Rombey dann beim 1. FC Düren das Sagen hatten, zog auch Reisgies weiter. Es juckte ihn wieder in den Fingern und so wurde aus dem Stürmer wieder ein Torwart. Hinzu kam ein Schicksalsschlag, der ihm die Torwarthandschuhe noch näher brachte: „Der Tod meines Vaters hat auch eine Rolle gespielt. Ich im Tor – das war sein Wunsch.“ Er brauchte ein paar Wochen, bis die Automatismen und Bewegungen, die das Torwartspiel verlangen, wieder in Fleisch und Blut übergingen, „es wurde ein offener Zweikampf mit Kevin Jackmuth.“

Den verlor er zwar zu Saisonbeginn, Anfang Oktober war er dann aber wieder die Nummer eins. Allerdings nur für fünf Spiele – bis eine Knöchelverletzung ihn ausbremste. „Unser neuer Coach Giuseppe Brunetto hat mir gesagt, dass ich mich in Ruhe auskurieren soll.“ In der Winterpause ging es ins Trainingslager nach Belek, am Ende der Türkei-Zeit teilte man ihm dann mit, dass er das knappe Rennen gegen Jackmuth verloren hatte. Viel spielte aber auch sein Konkurrent nicht, da die Anfänge der Pandemie den Spielbetrieb nach nur einer Begegnung auf Eis legten.

„Als Ersatztorhüter standen Aufwand und Ertrag in keinem guten Verhältnis“, sagt Reisgies. Er brach seine Zelte beim FCD wieder ab, um dann wohin zu wechseln? Na klar, zu den Sportfreunden Düren. Und natürlich: als Stürmer. Seine erste richtige Landesliga-Saison erlebt er momentan, nachdem auch die Saison 2020/21 nach wenigen Spielen schon wieder beendet war.

Um ein Urteil abzugeben, wie sie für Reisgies läuft, muss man sich nur seine Statistik anschauen: 17 Spiele, 18 Tore. Wobei man eine Partie streng genommen aus der Rechnung rausnehmen muss: Da SfD-Keeper Tobias Werres bei der Zweitvertretung des 1. FC Düren nicht spielen konnte, kehrte Reisgies zwischen die Pfosten zurück. Die Sportfreunde verloren 0:1, „das Spiel hätte aber 0:7 ausgehen können“, sagt Reisgies. Eine faustdicke Überraschung wäre es nicht gewesen, wenn der Torwart-Torjäger auch in diesem Spiel getroffen hätte.