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Aachen/Darmstadt: Heller Wahnsinn. Oder: „Marcel im Märchenland“

Aachen/Darmstadt : Heller Wahnsinn. Oder: „Marcel im Märchenland“

Wenn aus dem gelernten Chemiekanten Marcel Heller nicht irgendwann der Fußballprofi Marcel Heller geworden wäre, dann stünde der 29-Jährige heute zwar nicht im Rampenlicht der Bundesliga, dafür aber sicher mit zwei Beinen im Leben.

Die Geschichte ist bekanntlich anders verlaufen, und das ist auch gut so. Würde die Karriere des Kickers allerdings doch ihr abruptes Ende finden, der gebürtige Frechener hätte da eine ausgeklügelte Geschäftsidee. Er könnte ein Buch schreiben über den SV Darmstadt. Der Titel? „Das schönste Märchen des modernen Fußballs“, sagt Heller und lacht. Der flinke Offensivmann der Lilien wäre dabei vermutlich nicht nur Autor, er wäre Teil dieses Märchens. Mehr noch: Marcel Heller ist die Hauptfigur der verrückten Geschichte vom Böllenfalltor.

So gut wie weg vom Radar

Was ist in den vergangenen Monaten nicht alles geschrieben und erzählt worden über diesen beispiellosen Doppelaufstieg des Fußballzwergs Darmstadt? Über den Weg vom Fastabstieg in die Viertklassigkeit hin zur Beletage des deutschen Fußballs; über den vielleicht krassesten Außenseiter seit Tasmania Berlin oder die teils anmutende Infrastruktur des hessischen Klubs. Wie man es auch dreht und wendet: Der SV Darmstadt ist eine Besonderheit, eine Rarität aus vergangenen Zeiten. Vor allem aber eine Attraktion für die Bundesliga.

Vor drei Jahren wollten davon herzlich wenige Menschen etwas wissen. Bloß der Zwangsabstieg von Kickers Offenbach bewahrte die Lilien davor, komplett vom Fußball-Radar zu verschwinden. Und ein bisschen ging es zu diesem Zeitpunkt auch Marcel Heller so. Der junge Mann war gerade mit Alemannia Aachen in die Regionalliga abgestiegen, seine Karriere hing am seidenen Faden. „Und dann“, sagt Heller, „folgte die wahrscheinlich beste Entscheidung meines Lebens. Ein echter Glücksgriff sozusagen.“ Dieser Glücksgriff hieß Darmstadt 98. Der Rest ist bekannt.

Nun ist es keinesfalls so, dass Heller bei der Auswahl seiner Arbeitgeber stets ein glückliches Händchen bewiesen hat. Der 29-Jährige ist in den vergangenen Jahren ein bisschen herum getingelt durch die Fußballstädte Deutschlands. In der zweiten Mannschaft von Alemannia Aachen zum Torjäger avanciert, landete Heller über die Sportfreunde Siegen 2007 beim Bundesligisten Eintracht Frankfurt. Mal spielte er, mal spielte er nicht. Seine Schnelligkeit, sein unermüdlicher Offensivdrang, all das galt schon immer als die große Waffe des flinken Flügelflitzers.

Das Problem: In regelmäßigen Abständen litt Heller an Ladehemmung. „Meine Karriere war bislang eine Berg- und Talfahrt“, sagt Heller. Nach Zwischenstopps in Duisburg und Dresden leitete der Kompass Heller im Sommer 2012 ein zweites Mal zur Alemannia. „Meine Vorfreude“, sagt er, „die war damals riesig. Ich freute mich auf eine erfolgreiche Saison am Tivoli.“ Die Realität war bekanntlich eine andere. Warum, weshalb, wieso? Das weiß Heller nicht so genau. Er sagt: „Ich habe damit aufgehört, mir Gedanken zu machen über Dinge, die einmal waren. Was zählt, ist das hier und jetzt.“

Punksong „Heller ist schneller“

Und genau darüber spricht Heller gerne, sehr gerne sogar. Wenn der gebürtige Rheinländer vom „außergewöhnlichen Teamgeist der Mannschaft“ erzählt, von der familiären Atmosphäre im Klub und seinen beiden fulminanten Treffern am ersten Spieltag gegen Hannover 96, dann ist sie zu hören in seiner Stimme, die Euphorie, die Heller in den vergangenen Jahren abhanden gekommen war. „Dass ich noch mal in der Bundesliga spielen darf, daran habe ich vor drei Jahren sicher nicht mehr geglaubt“, sagt Heller.

So sehr die Mannschaft von Trainer Dirk Schuster auch vom Kollektiv lebt, Marcel Heller sticht heraus aus einer Mannschaft, die keine Stars besitzt. Das liegt in erster Linie an der Schnelligkeit des 29-Jährigen. Sein 60-Meter-Sprintzum 1:0 gegen Hannover — für den Treffer ist er nomoniert für das Tor des Monats — war die Szene des Bundesligaauftakts. Den einzigartigen Antritt des Offensivmanns hat eine Darmstädter Punkband sogar dazu verleitet, über Heller ein Lied zu komponieren. Das Ergebnis: ein fetziger Rocksong namens „Heller ist schneller“. Heller sagt: „Da ist man schon ein bisschen stolz drauf.“

Samstagabend werden sie den Song erneut im Stadion am Böllenfalltor spielen, und er wird niemand geringerem als Pep Guardiola und seinem Münchener Star-Ensemble um die Ohren fliegen. „Dieses Spiel wollen wir einfach nur genießen“, sagt Heller. „Ein größerer Außenseiter als wir kann man gegen die Bayern kaum sein“, fügt er an, ehe er einige Sekunden später dann doch mal kurz in alten Zeiten schwelgt. „2010“, sagt Heller, „da gab es dieses Spiel, an das ich mich schon gerne zurück erinnere.“

Dieses Spiel, von dem Heller spricht, fand am 27. Spieltag statt, die Frankfurter Eintracht empfing damals die Bayern, und Heller stand in der Startelf. Frankfurt gewann am Ende mit 2:1, und die Frankfurter Presse tittelte: „Marcel Heller — das Spiel seines Lebens“. Ein gewisser David Alaba bekam den Flügelflitzer einfach nicht in den Griff. Ob das Samstag wieder so sein wird?

„Der Alaba ist glaube ich ein bisschen besser geworden“, sagt Heller und lacht. Sollte es doch eine Wiederholung geben, wäre das ein weiterer Meilenstein in der Geschichte des SV Darmstadt. Und Marcel Hellers Märchen wäre um ein Kapitel reicher.