Mönchengladbach : Gladbacher Müllabfuhr: Das 2:0 über Leverkusen als Befreiungsschlag
Mönchengladbach Zur Halbzeit werden sich nicht wenige im Borussia-Park angeschaut haben wie Zuschauer im Kino, denen es nach und nach dämmert, dass sie in der falschen Vorstellung sitzen. Soll das der neue Mut, die größere Durchschlagskraft und das risikoreichere Spiel sein? Nun bastelt sich aber der Fußball seine eigenen Drehbücher, und das erst ab der ersten Minute.
Die trainerische Planwirtschaft ist mehr als fragil. Doch 45 Minuten später, nach dem zweiten Akt also, fühlten sich alle wie im richtigen Film. Und der trug schlussendlich verdient den Titel: die neue Borussia 2018/19!
Der 2:0-Erfolg der Mönchengladbacher über Bayer Leverkusen wurde zum frühen Titelgewinn. „Es ist ein neues Buch, und wir haben das erste Kapitel aufgeschlagen“, befand einer der zahlreichen Co-Autoren. Einer, der den besten Logenplatz besitzt, die beste Übersicht — im Tor. Und aus dieser Perspektive begeisterte Yann Sommer bei seinen Vorarbeiter am meisten „das gute Gegenpressing, das war ekelig für Leverkusen“.
Deutlich zu sehen aber war es erst nach der Halbzeit. Zuvor hätte die Mannschaft von Trainer Dieter Hecking bereits zurückliegen können. Erst mit ihrem ersten Torschuss durch Raffael in der 27. Minute (!) befreiten sich die Borussen nach und nach aus der Umklammerung der Bayer-Elf. Doch noch waren die Konturen der neuen Spielweise im 4-3-3-System zu verschwommen, um die Zuschauer und wohl auch die Verantwortlichen zu beruhigen. Zumal Thorgan Hazard sich weigerte, diesen Erkenntnis-Prozess zu beschleunigen. Bei einem von Benjamin Henrichs verschuldeten Handelfmeter wählte der Belgier eine zu günstige Flugbahn für Bayer-Keeper Ramazan Özcan, der im Hechtsprung parierte (38.).
Doch dieser Fehlschuss war die Vorlage für einen überraschenden Auftritt in der zweiten Hälfte. Nicht, dass Jonas Hofmann erst zur Halbzeit eingewechselt wurde. Doch in den ersten 45 Minuten fungierte der 26-Jährige mehr als ein Komparse, und damit war er nicht allein. Doch nur wenige Minuten nach der Pause schwang sich der ehemalige Dortmunder zu einem der Hauptdarsteller empor. Mittels eines Elfmeters, diesmal aber durch ein Foul von Aleksandar Dragovic an Florian Neuhaus (55.).
Eigentlich wäre das der Auftritt für Raffael gewesen, zweiter in der Strafstoß-Hierarchie der Gladbacher nach dem Fehlschützen Hazard. Und recht lange glaubte der Brasilianer auch, alle würden wie gewohnt diese Rangordnung einhalten. Womöglich dachte er sogar, Hofmann würde ihm den Ball extra dafür anreichen. Der Zulieferdienst entpuppte sich aber als Schelmenstück. Heckings neuer Achter klatschte die aufnahmebereite Hand Raffaels einfach nur ab, schritt am verdutzten Edeltechniker vorbei, legte den Ball auf den Punkt und verwandelte kaltblütig. „Ob Raffael schießt oder ein anderer ist mir egal. Hauptsache, er ist drin“, goutierte Hecking den kleinen Aufstand.
Das Erstlingstor Hofmanns im Dress von Borussia und seine Entstehung überraschte nur den Gladbacher Trainer nicht, wie er mit einer Episode erklärte. „Zwischen Tür und Angel kam Jonas Hofmann auf dem Trainingsplatz zu mir und sagte, er wolle mehr Verantwortung übernehmen — für die Mannschaft, und für sich.“ Balldiebstahl inklusive! Und diese gewinneinleitende Situation symbolisiert zugleich eine kleine Machtverschiebung. Gemeinsam mit Bundesliga-Debütant Neuhaus interpretierte Gladbachs Nummer 23 die Achterpositionen nach der Pause so, wie er es in der Vorbereitung vorgemacht hatte. „Wir hatten sehr viel Power, sehr viel Mut, sehr viele kreative Momente“, sagte Torhüter Yann Sommer.
Und dabei spielten eben Hofmann und Neuhaus die Hauptrollen. Viel gelaufen war der 1:0-Torschütze bereits in der vorhergehenden Saison. Nun aber hat er im neuen System eine Aufgabe gefunden, die er anders als zuvor auch mit Kreativität und Nutzen füllen kann. „Da ist man ständig im Spiel und kann sich richtig austoben“, schwärmt er über die Achter-Position. „Es war gut zu sehen, wie sie das Spiel nach vorne öffnen, ich glaube, das hat Bayer Leverkusen sehr weh getan“, urteilte Hecking über sein neues Pärchen, das auch ihn in seiner Arbeit als Trainer bestätigte. Schließlich hatte der 53-Jährige dafür die etablierten Christoph Kramer und Denis Zakaria auf der Bank gelassen.
Obendrein verzichtete der Borussen-Coach in der Startelf auch auf Alassane Pléa, der doch so sehr für die neue, attraktivere Spielweise seiner Mannschaft stehen soll. „Ich habe ihm erklärt, dass er gegen einen so offensivstarken Gegner die defensive Arbeit noch nicht so gut beherrscht, aber versprochen, dass er seine Minuten bekommt.“ Bekam der Franzose auch, 14 Minuten inklusive Nachspielzeit. Der Mann aber, für den er eingewechselt wurde, hatte zuvor bewiesen, dass sich die „Alten“ der Neuerung nicht widerstandslos ergeben wollen.
Mit einem doppelten Doppelpass sorgte der 33-jährige Raffael in Co-Produktion mit dem 30-jährigen Fabian Johnson für die Vorarbeit, die der US-Amerikaner zum 2:0 (58.) abschloss. Ein Zaubertor, das auch einen reinigenden Effekt hatte. „Der Müll aus der letzten Saison sollte ein bisschen raus aus dem Borussia-Park“, sagte Hecking. Das gelang eindrucksvoll, und die Müllmänner versöhnten nicht nur die Gladbach-Fans, sondern entlasteten auch ihren Trainer.