Hat Holger Fach genügend „Stiel-Proben” gesehen?
Frankfurt am Main. „Das Gesicht des Torhüters spiegelt die Seele der Mannschaft wieder” - sollte etwas an diesem neunmalklugen Satz aus dem oft zitierten Buch der großen Fußball-Weisheiten dran sein, dann muss man sich um das Seelenheil der Gladbacher Borussia ernsthafte Sorgen machen.
Rund 150 mitgereiste Fans hatten sich am Samstag Abend vor dem Frankfurter Waldstadion zum spontanen Sitzstreik entschlossen. Nicht das fünfte sieglose Spiel in Folge an sich, sondern die Art und Weise der 1:3-Niederlage beim direkten Konkurrenten um den Abstieg hatte die Anhänger dazu gebracht, den silbergrauen Mannschaftsbus an der Heimfahrt zu hindern.
Gladbachs Torhüter Jörg Stiel hätte sich auf der Rückbank verkriechen und hinter den getönten Scheiben verstecken können. Er tat es nicht. Mit leiser, fast wackeliger Stimme versuchte der VfL-Kapitän sich bei den aufgebrachten Fans zu entschuldigen.
„Ich habe der Mannschaft einen Bärendienst erwiesen, die verlorenen Punkte gehen ganz alleine auf mein Konto”, erklärte der Schweizer Nationalgoalie. Seine sonst so smarte und sympathisch-coole Fassade war längst einem unsicheren, fast ängstlichen Blick gewichen.
In der 16. Minute hatte Stiel einen Freistoß von Frankfurts Ervin Skela passieren lassen, den er sonst „mit der Mütze” fängt, zwei Minuten später das zweite Gegentor mit einem katastrophalen Fehlpass auf Ioannis Amanatidis verschuldet. „Sicherlich ist man dann absolut in der Kritik, wenn so ein Ding passiert”, erkannte sein Trainer Holger Fach auf der Pressekonferenz nach dem Spiel schnell.
Um sich dann allerdings umgehend selbst daran zu beteiligen. „Wenn ich einen erfahrenen Spieler habe und wenn das der Kapitän ist, dann erwarte ich schon ein bisschen mehr, und wenn ich in der Vorrunde den ein oder anderen auch so schonungslos kritisiert habe, wie ich es getan habe, dann muss ich es hier auch tun. Es ist nicht ausreichend, was er in den letzten beiden Spielen gemacht hat.”
Nach seinem Patzer gegen Freiburg und derer zwei in Frankfurt muss der Schweizer, der im Sommer für sein Land bei der Europameisterschaft zwischen den Pfosten stehen will, nun offensichtlich ernsthaft um seinen Stammplatz bangen.
„Ich kann es nicht sagen, ich weiß es nicht. Ich kann nur das anschauen, was passiert ist. Jetzt haben wir zwei Spiele gehabt, in denen er sehr stark daran beteiligt war, dass wir sie nicht gewinnen konnten”, antwortet Fach auf die Frage, ob Stiel auch am kommenden Wochenende gegen Hannover auflaufen wird.
Rückendeckung sieht anders aus. „Gut, er ist gut drauf”, sagt Fach dann über seine „Nummer 1b” Claus Reitmaier, der auf der Ersatzbank mit den Hufen scharrt. Soll Fach wirklich wechseln? Ist es das Allheilmittel in der bedrohlichsten Situation seit Monaten, den Torhüter, noch dazu den Kapitän, aus dem Spiel zu nehmen?
Eine Frage, die er ganz alleine beantworten muss. Wäre es seine einzige Baustelle, würde Fach die Entscheidung womöglich einfacher fallen. Doch das ist sie nicht. „Wir sind nicht böse auf Dich”, brüllten die Fans dem mittlerweile völlig verunsicherten Jörg Stiel vor dem Waldstadion zu, „das kann passieren. Aber ihr müsst euch den A.... aufreißen, um so etwas wieder gerade zu biegen, und das tut ihr nicht.”
Arie van Lent, Bernd Korzynietz und Markus Hausweiler standen neben ihrem Keeper, ein Blick in ihre Gesichter verriet, dass die Kritik angekommen war. Die meisten anderen aber hatten sich tatsächlich hinter den getönten Scheiben des Mannschaftsbus verkrochen. Ob sie auch verstanden haben?
Am kommenden Samstag gegen Hannover steigt das nächste Abstiegs-Endspiel. Ob mit oder ohne Jörg Stiel ist offen.