Bremen : Gladbachs 0:4-Debakel: Wenn die Systeme zusammenbrechen
Bremen Was hat denn der Mannschaftsbus von Borussia Mönchengladbach mitten in dem Menschengedränge gemacht? Tatsächlich schien es ein bisschen unpassend, dass das lackierte Luxusgefährt am Samstag tagsüber genau dort parkte, wo die Massen auf den Bremer Freimarkt strömen.
Am größten Volksfest des Nordens haben die Gäste vom Niederrhein aber nicht teilgenommen, denn größer hätte der Kontrast nach diesem Abend im Weserstadion nicht sein können: Hier singende und schunkelnde Bremer, die sich an einer unerwarteten Gala erfreuten, dort zeternde und klagende Gladbacher, die einen neuen Tiefpunkt in der Ära Lucien Favre erlebten.
Als Thorben Marx ansetzte, das Dilemma nach dem ernüchternden 0:4 beim beschwingten SV Werder zu beschreiben („Wir fangen ordentlich an, dann stellen wir uns dumm an”), lotste Favre seinen Mittelfeldmann unmissverständlich in die Kabine, weil der Schweizer Fußballlehrer zuerst Redebedarf ausgemacht hatte. Von zu schnell verlorener Geduld sprach der 54-Jährige später, „ich habe das Gefühl, wir wollen manchmal zu viel. Und dann vergessen wir manchmal, zu verteidigen.” Doch seine öffentliche Analyse wirkte zu eindimensional ob des Zusammenbruchs aller Systeme.
16 Gegentore in acht Spielen
Wo in der vergangenen Saison einer für den anderen arbeitete, spielte am Ende keiner mit dem anderen. Das Zeichen, das die eingewechselten Patrick Herrmann und Mike Hanke mit ihrer Verweigerung, einem verlorenen Ball nachzusetzen, in den Schlussminuten aussendeten, muss ein Alarmsignal sein. Wo sind die eingeübten Automatismen geblieben, die dieses Kollektiv einst zu einem ungeliebten Gegner machten?
Die aktuelle Borussia wirkt verwundbar und verunsichert, davon zeugen 16 Gegentore nach acht Spieltagen in der Liga, allein 13 in den letzten vier Pflichtspielen. „Das tut schon weh”, klagte Schlussmann Marc-André ter Stegen, während Abwehrchef Martin Stranzl jammerte: „Anscheinend ist es bei uns so, dass wir Druck, Druck, Druck brauchen - Feuer, Feuer, Feuer. Der eine oder andere hat es anscheinend noch immer nicht verstanden.” Ein unangebrachter Hinweis des Österreichers, weil der sich beispielsweise vor dem 3:0 von seinem überragenden Landsmann Marko Arnautovic wie ein Anfänger willenlos ausspielen ließ.
Wo ist der interne Kitt geblieben, der die Fohlenelf wieder bis in den Europapokal brachte? „Dieses 0:4 spiegelt unsere ganze Problematik wider: Wir sind im Kopf nicht mehr stabil”, glaubt Sportchef Max Eberl zu wissen, der von „einem Gefühl der Kopflosigkeit, ja Sorglosigkeit” sprach. Mit einem Gegentor - das Nils Petersen abermals nach einer Ecke anbrachte - sei der Untergang eingeleitet worden. „Panik” würde bei Standardsituationen ausbrechen, analysierte Marx. „Nach vorn läuft es nicht, hinten sind wir zu anfällig. Wir müssen alle wissen, dass es gefährlich werden kann”, resümierte Kapitän Filip Daems, der hinterher sein Trikot mit seinem Landsmann Kevin de Bruyne tauschte.
Dummerweise blieb es nicht das einzige Geschenk eines Gästeteams, in dem die auserkorenen Anführer mit sich selbst beschäftigt waren. Torwart ter Stegen verriet beinahe bei jedem hohen Ball Unsicherheiten, Neuzugang Granit Xhaka lief im offensiven Mittelfeld wie falschgesteuert über den Rasen, und auch Mittelstürmer Luuk de Jong hatte keine Bindung zum Geschehen.
Dass speziell die Millionen-Einkäufe Xhaka und de Jong derzeit keine Hilfe sind, wollten übrigens weder Favre noch Eberl thematisieren. Zeit zu grundsätzlichen Korrekturen besteht in den kommenden Wochen eben nicht. Oder, wie Eberl konstatierte: „Im Training können wir keine Extraeinheiten machen.”
Donnerstag spielen die Gladbacher daheim gegen Olympique Marseille, den Tabellenführer der französischen Ligue 1, um die fast schon letzte Chance in der Europa League, dann Sonntag in der Bundesliga bei Hannover 96 und gleich am Mittwoch darauf das Pokal-Derby bei Fortuna Düsseldorf. Wegweisende Wochen für eine Mönchengladbacher Mannschaft, die derzeit nicht mal Mittelmaß verkörpert und der Favre für die nächste Zeit nur dies empfiehlt: „arbeiten, arbeiten, arbeiten.” Deshalb war es zumindest richtig, um den Bremer Freimarkt einen großen Bogen zu machen.