Aachen : Die Rückkehr des kleinen Zauberlehrlings
Aachen Vermutlich grinst sogar der Ball, wenn er von Lewis Holtby getreten wird. Der Profi ist von einer ansteckenden Fröhlichkeit. Am Mittwoch kehrt er mit Mainz 05 nach Aachen zurück, wo seine Karriere vor nicht einmal drei Jahren begann.
Inzwischen ist Holtby einer der aufregendsten Fußballer der Liga. In den letzten Monaten ist die Berühmtheit über ihn hereingefallen. Natürlich hat Holtby Alemannia einiges zu verdanken, aber umgekehrt muss auch der Verein ihm dankbar sein.
Aachens größter Deal
Vor einem guten Jahr wechselte er zu Schalke 04: Insgesamt 3,75 Millionen Euro musste der Ruhrpottverein überweisen, Aachens größter Deal. Der 20-Jährige hat in den letzten 15 Monaten mehr erlebt, als viele Profis in zehn Jahren. Vier Vereine, fünf Trainer, Abschied in Aachen, Ankunft auf Schalke, Abstieg mit Bochum, Höhenflug mit Mainz. Und nebenbei ist der Derwisch auch noch Kapitän der deutschen U 21-Nationalmannschaft geworden. Eine solche Erlebnisdichte haben die meisten Hollywoodstars nicht einmal in der Woche der Oscar-Verleihung.
Holtby erlebte dabei nicht immer gute, sondern schlechte Zeiten. Es macht den Anschein, als habe Holtby den neuen Rummel gut verkraftet. Als kleiner Junge muss er mal in einen Zaubertrank gefallen sein, der zeitlebens für gute Laune sorgt. Beim VfL Bochum kam er in eine Mannschaft, die im letzten Saisondrittel im Abstiegsstrudel unterging. Natürlich war auch Holtby mit seinen wenigen Profispielen nicht in der Lage, die Mannschaft zu stabilisieren.
Solche Situationen kannte Holtby bislang nicht: Zum ersten Mal hatte er etwas zu verlieren. Der VfL wurde strafversetzt, Holtby blieb der 1. Liga erhalten. Alemannia fragte vergeblich nach einem Leihgeschäft, der kleine Prinz ging für geschätzte 200.000 Euro für eine Saison nach Mainz. Zum ersten Mal war er nun abgestiegen, aber Spätfolgen sind nicht zu befürchten.
Er sucht die positiven Eindrücke, saugt die Liga im Schnelldurchgang auf. „Für meinen Kopf sind solche Erfahrungen gut”, sagt er im Gespräch. „Ich habe so schnell so viele unterschiedliche Trainertypen kennengelernt, sie haben meinen Blickwinkel verändert. Ich bin schnell gereift.” Das klingt abgeklärt, aber der kleine Zauberlehrling ist gerade erst 20 Jahre alt geworden. Und doch lobt sein aktueller Trainer Thomas Tuchel seine mentale Stärke.
Bei Borussia Mönchengladbach haben sie ihn nicht mehr in die B-Jugend versetzt. „Zu klein und zu schmächtig”, stand im Abgangszeugnis. Der kleine, schmächtige Lewis nahm sein Schicksal selbst in die Hand, meldete sich bei Alemannia an. „Der wollte nur spielen”, sagt Hele Birk, einer seiner ersten Trainer am Tivoli. Selbst die Pubertät wurde zum größten Teil auf dem Bolzplatz verbracht. Er fummelte lieber mit dem Ball, das Spielgerät gehorcht ihm wie ein dressiertes Hündchen.
Das Talent ließ sich nicht übersehen, noch als jüngerer A-Jugendspieler wirbelte er bereits bei den Amateuren in der Oberliga mit. Am 7. Dezember 2007 war es soweit: Interimstrainer Jörg Schmadtke wechselte den 17-Jährigen in die Partie gegen den FC St. Pauli (2:2) für zehn Minuten ein. „Natürlich ist es immer ein Risiko so einen Jungen in eine Mannschaft, der es nicht gut geht, reinzuschmeißen”, sagt Aachens langjähriger Manager. „Aber wir waren von seiner fußballerischen Qualitäten überzeugt.”
Die Qualität sprach sich herum, nach der ersten kompletten Saison hatte er mehr Anfragen als Brad Pitt. Die Liga jagte Holtby, der kurzfristig die Schule abgebrochen hatte, er sagte Felix Magath zu. Auf Schalke lief aber plötzlich nicht mehr Kuschelrockmusik, sondern Hardrock. Der unnahbare Trainer nagelte Holtby schon nach dem ersten Bundesligaspiel öffentlich an die Wand.
Willkommen in der rauen Bundesliga. „Das war wichtig, auch wenn ich danach zwei, drei Monate lang gehemmt war. Inzwischen bin ich dem Trainer dankbar für den Aufwecker.” Andere wären vielleicht zerbrochen, Holtby hat die Fähigkeit „sich nicht unterkriegen zu lassen”.
Die Mainzer „Boygroup”
So gehört er nun in Mainz zu einer der aufregendsten Bundesliga-Teams. Holtby ist keine Randfigur mehr, spielt häufig im Zentrum. Er findet sich in die vielleicht anspruchsvollste Rolle ein, die der moderne Fußball kennt. Ein 20-Jähriger soll das Spiel lenken. An guten Tagen bringt er jetzt bereits das Spiel zum klingen.
Holtby, André Schürrle und Adam Szalai haben sich beim Tabellenführer zu einer „Boygroup” zusammengefunden haben, die ihre Erfolge an der Eckfahne mit imaginären Instrumenten ausgelassen feiern. Sie stürmen die Bundesliga-Charts. Im aktuellen Sportstudio wurden die Drei von der Feierstelle vor Wochen von der Redaktion überrumpelt, sie betraten das Studio als Rockstars, ehe sie sehr ernsthaft die Lage der schunkelnden Fußball-Hochburg Mainz thematisierten.
Es sollte gleichzeitig der letzte Auftritt als Popstars gewesen sein sein. „An diesem Abend wurde die Band aufgelöst”, sagt der Mainzer Pressesprecher Tobias Sparwasser. Der fröhliche Verein, der europaweit Schlagzeilen fabrizierte, trat auf die Bremse.
An Holtby ist ein kleiner Entertainer verloren gegangen. „Er kann prächtig imitieren”, sagt sein Berater Thomas Noack. Auch Trainer gehören zu seinem beachtlichen Repertoire. „Ich entertaine lieber auf der Fußball-Bühne”, widerspricht Holtby sanft. Der nächste Karriereschritt ist absehbar.
Wohl schon im kommenden Monat wird er Nationalspieler. Die U 21-Nationalmannschaft spielt gegen England. Das ist die Heimat seines Vaters, auch der Inselverband interessierte sich für den Sunnyboy. Aussichtslos, er wird bald für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen, vermutlich schon gegen Schweden. Sein Marktwert wird inzwischen auf sechs Millionen Euro taxiert. „Ich glaube aber nicht, dass Schalke 04 für diese Summe ihn gehen lassen würde”, sagt ein Marktkenner.
Bei Sparta Gerderath
Die Frage stellt sich vorerst nicht, Holtby gehört den Blau-Weißen bis 2013, soll in der nächsten Saison zurückkehren. So der aktuelle Plan. Die weiteren Ideen lassen sich weltweit verfolgen, Holtby gehört der Twitter- und Facebook-Generation an. Da lässt sich auch erfahren, wie er seine Wochenenden verbringt. Bevorzugt bei Sparta Gerderath nahe Erkelenz. Bei seinem ersten Verein steht er regelmäßig im Publikum.