Mönchengladbach : Befreiungsschuss für Borussia?
Mönchengladbach Nie war er so wertvoll wie am Samstag: Nicht nur, weil Oliver Neuville mit seinem Tor zum 3:2 gegen Hannover 96 Borussia Mönchengladbach wieder auf Tuchfühlung zu den Plätzen 17 bis 15 schoss.
Der ehemalige Nationalstürmer ist der einzige Spieler, der für den zum Superstar hochgejubelten Marko Marin eingewechselt werden kann, ohne dass es gleich zu einem Fan-Aufstand kommt.
Schließlich ist Neuville auch noch tief im Herzen der Anhänger verwurzelt, sein Name steht mehr als der des nicht so torgefährlichen, aber dribbelstarken 19-Jährigen für die Hoffnung, mit Treffern seinen Klub aus dem Schlamassel zu ziehen. Also gab es „nur” ein Riesen-Pfeifkonzert, als Hans Meyer in der 71. Minute das Ungeheure wagte, den Konterspezialisten für den Jung-Star zu bringen.
Unter dem (Ein-)Druck des veröffentlichten Hypes hält sich auch Marin immer mehr für unauswechselbar. Und so wirkte er fast dankbar, dass er Entlastendes zum Frevel seines Trainers beisteuern konnte: „Meine Wade hatte schon vor der Pause Probleme bereitet.” Normaler- bis naiverweise äußert er gerne schon mal Unverständnis für Meyers Eingriffe und befeuert damit die Kritik am 66-Jährigen. Mit einem 3:2 im Rücken lässt sich aber auch für Meyer dieses schwelende Problem lockerer angehen.
Er lobte den Nationalspieler, der mit einem Solo zum 2:0 getroffen hatte (43.), über den grünen Klee, kreidete ihm - womöglich wider besseren Wissens - auch nicht das Anschlusstor von Sergio Pinto an (53.), den Marin ziehen ließ. „Ich verstehe auch nicht, dass die Fans ihn ausgepfiffen haben”, verkündete Meyer ohne die Miene zu verziehen, wohlwissend, dass die Fans auf ihn gepfiffen hatten.
Der zweite gelungene Eingriff des Trainer-Oldies ins Spielgeschehen. Der erste war bereits nach 24 Minuten fällig und traf ebenfalls einen Jüngling, allerdings noch ohne großen Namen und Anhängerschaft. Linksverteidiger Christian Dorda wurde zwei Mal so herbe von Jiri Stajner genarrt, dass Meyer reagieren musste. „Er muss mich falsch verstanden haben: In den ersten 20 Minuten tauchte er etliche Male an der Grundlinie auf. Bei fünf offensiven Spielern aber muss er seine Seite erst einmal dicht machen.” Und da der Trainer dafür bezahlt wird, vor allem das Wohl des Klubs im Auge zu halten, wechselte er den 20-Jährigen gegen Tobias Levels (22) aus. „Die zwei Fehler gegen Stajner gestehe ich einem jungen Mann gerne zu - aber nicht als Tabellenletzter.”
Levels erledigte seine Aufgabe besser, die linke Abwehrseite aber blieb die Problemzone der Borussia. Und wird sie auch noch bleiben: Abwehrchef Dante, der einzige Feldspieler, in den Gladbach richtig investierte (2,5 Mio. Euro), wird auch in Berlin nicht dabei sein. So ist Filip Daems weiterhin in der Innenverteidigung gebunden. Umso mehr war Meyer von der Leistung seiner Elf angetan. „Mit der ersten Halbzeit war ich richtig zufrieden. Das war eine gute Mischung aus relativ gut stehen und angriffswirksam spielen.” Da passte es, dass Alexander Baumjohann bei seiner spektakulärsten Aktion auch gut stand und extrem angriffswirksam war: Ansatzlos jagte der Bald-Münchner aus 20 Metern den Ball zum 1:0 in den Winkel (36.).
Der Rückschritt nach einer 2:0-Führung kam überraschend. Hatten die Meyer-Schützlinge beim VfB Stuttgart gut 70 Minuten gut gestanden, bröckelte die hart erarbeitete Struktur diesmal bereits sieben Minuten nach der Pause. Nach Pintos Anschlusstreffer wankte der Gastgeber. Die nun mangelhafte Arbeit gegen den Ball wurde ein weiteres Mal bestraft: Christian Schulz köpfte nach Ecke zum 2:2 ein (77.).
Was nun folgte, war die eigentliche Sensation: Gladbach knickte nicht ein. Ein Rückschritt in der Entwicklung hin zu einer Vollzeit-Spielkontrolle wurde aufgefangen von einer bewundernswerten Moral. Der Lohn: Neuville wuchtete den Ball zum 3:2 ins Netz (83.). Für Sportdirektor Max Eberl der Beweis, „dass die Mannschaft intakt ist”. Für Marko Marin der Beleg für „Ollis Routine. Wenn er so ausholt, ist der Ball zu 90 Prozent drin.”
Diese Einschätzung ist für den Klassenerhalt eine „Zu-Hoch- Rechnung”. Hans Meyer bleibt kontrolliert offensiv: „Vier Spiele, fünf Punkte: Wir sind auf einem vernünftigen Weg, demnächst eine Situation zu bekommen, in der alle Anhänger wieder berechtigt hoffen können.”
Diese Einschätzung ist für den Klassenerhalt eine zu hoch Rechnung. Hans Meyer bleibt kontrolliert offensiv: „Vier Spiele, fünf Punkte: Wir sind auf einem vernünftigen Weg, demnächst eine Situation zu bekommen, in der alle Anhänger wieder berechtigt hoffen können.”
Kommentiert von Bernd Schneiders: Ein Sieg auch gegen Gerüchte
Jeder, der sehen will, kann es erkennen: Borussia ist in einem Entwicklungsprozess. Stillstände oder Rückschläge wie in Bremen inklusive. Wenn Alexander Baumjohann sagt, "wir stehen hinten viel sicherer und können deshalb auch besser nach vorn spielen", ist das glaubhaft. Die Handschrift Hans Meyers wird erkennbar, sogar ohne den entscheidenden Input: Der designierte Abwehrchef Dante konnte noch kein Pflichtspiel bestreiten.
Umso bizarrer das Internet-Gerücht, das ein Radiosender vor dem Anpfiff zum seriösen Thema erhob: Bei einer Niederlage würde Hans Meyer zurücktreten, Armin Veh ihn ersetzen. Flucht gehört nicht zum Reaktionsrepertoire des 66-Jährigen. Vertreiben lassen durch die stetig wachsende Schar an Widersachern wird sich der knorrige Thüringer auch nicht. Nach zähem Beginn sieht Meyer endlich nicht nur innere Verbesserungen, sondern auch einen Fortschritt auf dem Punkte-Konto. Noch bleibt viel zu tun. Auch für diejenigen, die ihm mit ähnlichen Latrinenparolen weiterhin Knüppel zwischen die Beine werfen wollen.