Mönchengladbach : Ibo Traoré: „Ich bin so, wie ich spiele“
Mönchengladbach Vor vier Wochen zog sich Ibrahima „Ibo“ Traoré im Abschlusstraining vor dem Bayern-Spiel eine Oberschenkelzerrung zu. „Müdigkeit“, erklärt der Fußballsprinter. Am Samstag will er ab 15.30 Uhr im Derby gegen den 1. FC Köln wieder hellwach sein und helfen, die Krise seiner Mönchengladbacher Borussia rauszuschießen.
Im Interview spricht der 28-Jährige über seine „besondere“ Spielweise und seine Abneigung, allein zu sein.
Ist es nicht schön, zu hören oder zu lesen, dass man vermisst wird?
Traoré: Das kommt auf die Perspektive an. Klar ist es schön, zu wissen, dass man wichtig für die Mannschaft ist. Aber man kennt das ja: Wenn aber dann bei einer Mannschaft alle Verletzten zurück sind und es trotzdem nicht funktioniert, heißt es von außen schnell: Nicht mal mit denen . . .
Ihr Trainer hat aber beschrieben, dass Sie etwas haben, was andere nicht besitzen. Ein Alleinstellungsmerkmal sozusagen.
Traoré: Ich weiß, ich spiele anders als die anderen. Das weiß jeder. Ich gehe oft ins Risiko. Ich bin, wie ich spiele. Da ist nichts Aufgesetztes, das ist natürlich. Ich mache das nicht, um jemanden zu begeistern. Meine Stärke ist das Dribbling. Das war schon als kleiner Junge in Paris so, das ist heute nicht anders. Aber als Profi geht es nicht um Schönheit oder Attraktivität. Es geht auch um Effektivität.
Und um Sicherheit . . .
Traoré: Das musste ich lernen. Heute verteidige ich mehr und besser. Das hat mir auch das Vertrauen des Trainers eingebracht.
Deshalb kommen Sie auch gerade aus dem Kraftraum, wo Sie sich gequält haben. Schickt man Sie dahin, damit Sie im Zweikampf härter in den Mann gehen können?
Traoré: Nein, das ist freiwillig.
Und eigentlich unnötig? Sie haben doch gar keine Muskeln.
Traoré (lacht): Ich mache Zweikämpfe lieber auf meine Art. Und beim Krafttraining machen sie mir immer ein spezielles Programm, extra auf mich zugeschnitten.
Sie sind ein hoch emotionaler Spieler. Ist deshalb besonders wichtig, wie Sie in ein Spiel reinkommen?
Traoré: Die erste Aktion ist sehr wichtig für mich. Wenn das erste, zweite Dribbling nicht funktioniert, denkt mein Gegenspieler, er sei im Vorteil. Und wird mit diesem Selbstbewusstsein stärker. Früher war das viel schlimmer für mich, jetzt aber versuche ich dann, einfacher zu spielen, um dann besser ins Spiel zu kommen. Dazu hat mir auch Rainer Bonhof geraten.
Wie, Sie nehmen Tipps von einem 64-jährigen Vizepräsidenten an?
Traoré: Natürlich, der hat eine riesigen Erfahrung, und ich rede gerne mit ihm über Fußball.
Sie haben also nicht nur Ihre Spielweise, sondern auch Ihre Emotionalität modifiziert?
Traoré: Klar, heute kann ich es auch akzeptieren, wenn ich einmal schlecht gespielt habe. Wenn wir früher verloren haben, konnte ich nicht schlafen. Ich habe alles mit nach Hause genommen. Heute ärgere mich immer noch und bin sauer. Aber ich habe gelernt, ganz schnell an was anderes zu denken. Andernfalls wirst du ja — speziell bei unseren vielen englischen Wochen — fast verrückt.
Wie weh hat es denn getan, draußen zu sitzen und nur beobachten zu können, speziell, wenn es gerade schlecht läuft?
Traoré: Das ist extrem ärgerlich, wenn du nicht helfen kannst. Allerdings sind solche negativen Phasen auch ein Stück weit normal. Wir haben ja nicht immer spielerisch enttäuscht. Mitunter war auch viel Pech dabei.
Sind Sie als emotionaler Spieler beim rheinischen Derby noch emotionaler?
Traoré: Ich weiß, es ist für die Fans und den Verein eines der wichtigsten Spiele des Jahres. Das ist auch anders als etwa bei einem Match gegen die Bayern, das für viele Teams das Spiel des Jahres ist. Beim rheinischen Derby ist es für beide Seiten, für beide Klubs gleich wichtig. Und was mich persönlich angeht: Ich versuche, keine Emotionen aufzubauen. Das könnte sich sonst negativ auswirken. Es muss für mich ein normales Spiel sein, um meine Leistung komplett abrufen zu können.
So ein Derby wäre in vielen afrikanischen Ländern ideal, um den Gegner mit einem Juju (Zauber) zu belegen, damit er schlecht spielt.
Traoré: An so etwas glaube ich nicht. Wenn das wirklich wirken würde, wäre ein afrikanisches Land doch schon längst Weltmeister geworden.
Sie sind in Paris geboren. Wie viel Afrika steckt denn noch in Ihnen?
Traoré (empört): Ich bin Afrikaner! Ich bin Kapitän der Nationalmannschaft meines Landes. Und habe auch schon vorher für Guinea gespielt. Natürlich bin ich in Paris geboren und dort aufgewachsen, habe auch die französische Staatsbürgerschaft. Aber inzwischen spreche ich mehr Deutsch als Französisch. Ich lebe schon so lange in diesem Land, da fühle ich mich ein Stück weit auch als Deutscher.
Wie viel Prozent?
Traoré (grinst): Ein paar. Mein Großvater ist Libanese. Ich bin ein Weltbürger.
Der offensichtlich seine Wurzeln nicht vergessen hat.
Traoré: Stimmt. Ich bin oft in Guinea, mein Vater lebt dort, meine Tante, Geschwister.
Es ist bekannt, dass Sie gerne Schriftsteller geworden wären, sich gerne modisch anziehen. Stört es Sie, dass auch solch private Dinge im Vordergrund stehen?
Traoré: Nein, das ist normal. Die Menschen sind halt neugierig. Jeder macht, was er will. Mich ärgert, wenn man denkt, Profifußballer wären dumm. Aber ich springe nicht bewusst aus dieser Schublade raus. Ich bin authentisch. Meine Liebe zur Literatur, der Wunsch, Schriftsteller zu werden — all das besaß ich bereits, bevor ich Fußballer werden wollte.
Und die Affinität zur Mode auch?
Traoré: Ja, das habe ich von meinem Vater. Der war auch immer chic angezogen.
Sie besitzen auch kein Auto, das übliche Statussymbol eines Fußballprofis.
Traoré: Ich habe nicht mal einen Führerschein. Aber das betrifft meine ganze Familie, außer meinem Bruder. Wir brauchen das einfach nicht.
Geben Sie denn alle Dinge gerne preis?
Traoré: Nein, ich rede nicht gerne über Geld — aus Respekt vor den anderen Menschen. Und ich rede nicht gerne über Religion. Das ist meine Privatsache.
Sie gelten als Familienmensch, sind immer in Gesellschaft. Brauchen Sie nie Ruhe?
Traoré: Nein, niemals. Wir waren zu zwölft zu Hause, da hattest du nicht mal Ruhe, wenn du auf der Toilette saßt. Wenn ich allein bin, fühle ich mich verloren.
Haben Sie denn schon mal vorgeschlagen, im Trainingslager oder in der Vorbereitung auf ein Spiel mit Ihren Kollegen in einem Gemeinschaftssaal zu übernachten?
Traoré: Nein, ein wenig Intimität brauche ich. Aber ich würde immer auf einem Doppel- statt Einzelzimmer bestehen.
Das Sie mit Ihrem Kumpel Thorgan Hazard teilen. Ist die Mannschaft für Sie auch so etwas wie eine Familie? Konnten Sie nur in einer Mannschaftssportart glücklich werden?
Traoré: Das ist wirklich bizarr: Wir sind 25 Spieler im Kader. Und doch ist Fußball ein sehr individueller Sport. In der mentalen Vorbereitung aufs Spiel bist du ganz allein — sehr kompliziert.