Leipzig : Gladbach-Höchstleistung: Kramer & Co. können nicht nur Fußball spielen
Leipzig Mit der einen Hand wehrte sich Christoph Kramer gestenreich gegen eine Auswechslung, mit der anderen drückte er sich ein Tuch auf die blutende Lippe. Der Gladbacher Mittelfeld-Motor war beim 2:2 in Leipzig nach der Pause so richtig auf Touren gekommen, da wollte er sich auch nicht von Naby Keitas Tritt ins Gesicht stoppen lassen. „Es sah schlimmer aus, als es ist“, sagte Kramer später.
Keita flog mit Rot vom Platz (84.), Kramer spielte weiter, doch zu mehr als einem Punkt reichte es nicht mehr. Obwohl Gladbach vor der Pause große Probleme mit den ballsicheren Leipzigern hatte, war Trainer Dieter Hecking angetan: „Was die Mannschaft hier über 90 Minuten gezeigt hat, war eine sehr gute Leistung.“ Die Erleichterung über die deutliche Steigerung nach dem schwachen Frankfurt-Spiel (0:1) war den Gästen anzumerken.
„Wille, Kampf und Leidenschaft — also grundsätzliche Dinge, die gegen Frankfurt vielleicht noch gefehlt haben — haben diesmal von Anfang an gestimmt“, erklärte Innenverteidiger Matthias Ginter, der bei Timo Werners Treffer zum 1:0 allerdings einen allzu respektvollen Abstand hielt. Die zumindest modifizierte Einstellung lobte auch Gladbachs Sportdirektor: „Heute hat man Kerle gesehen“, konstatierte Max Eberl den Auftritt seiner Mannschaft. „Ich möchte die Borussia so sehen, wie sie heute gespielt hat, nur ohne die Gegentore. Aber ich bin weit davon entfernt, nach jedem Spiel eine Tendenz auszugeben. Wir müssen stabile Leistungen bringen und stabil punkten.“
Ein wenig personalisieren aber wollte der Manager den Punktgewinn schon. „Wir können uns wehren, aber wir können auch Fußball spielen. Das geht sehr häufig von Kramer und Zakaria aus“, sagte Eberl. „Wenn du das Gefühl hast, im Zentrum Zweikämpfe zu gewinnen und den Gegner nicht so leicht durchzulassen, dann hast du als Mannschaft viel Stabilität.“
Das „krasse Spiel“ (Leipzigs Trainer Ralph Hasenhüttl) bot auch ein unterhaltsames Wiedersehen der Confed-Cup-Sieger. Im Finale (1:0 gegen Chile) hatte der pfeilschnelle Werner seinem Sturmpartner Lars Stindl noch den Siegtreffer aufgelegt. Nun waren die Nationalspieler wieder Rivalen. Doch während dem Leipziger Werner die sommerliche Zusatzbelastung bisher nicht anzumerken war (vier Tore in vier Saisonspielen), war der Gladbacher Kapitän in den ersten Spielen noch nicht so recht in Tritt gekommen — bis er in Leipzig nach einer Stunde den Ball sehenswert zum 2:2 in die lange Ecke schlenzte. Es war Stindls erster Saisontreffer.
Nach der Pause ließ die von Kramer angetriebene Fohlen-Elf den zunehmend müde wirkenden Vize-Meister, dem das Champions-League-Spiel gegen Monaco (1:1) in den Beinen steckte, kaum noch zur Entfaltung kommen. Der Glaube an die eigene Stärke war wieder da. Ein Sieg wäre angesichts der beiden vergebenen Großchancen von Jonas Hofmann und Raffael sowie einem Foul an Stindl im Leipziger Strafraum möglich, aber wohl doch des Guten zuviel gewesen.
Für das nächste Heimspiel gegen den VfB Stuttgart, das bereits morgen (18.30 Uhr) im Borussia Park angepfiffen wird, sollte der engagierte Auftritt Auftrieb geben. Unwahrscheinlich ist, dass Jonas Hofmann, der zur Pause wegen muskulärer Probleme ausgewechselt werden musste, einsatzbereit ist. Es wäre der neunte Ausfall im Gladbacher Kader. Ein Saisonziel scheint die Borussia bereits auf etwas rätselhafte Weise zu verfehlen: die Zahl der Verletzungen endlich zu verringern. „Wir pfeifen personell gerade aus dem letzten Loch. Aber wir müssen uns durch die Woche durchbeißen“, sagte Dieter Hecking.
Immerhin ist bei allem Verletzungspech nun das Selbstvertrauen zurück. Ob denn die Borussia nach dem allenfalls mäßigen Saisonauftakt wieder da sei, wurde Kramer gefragt. Und Gladbachs mit einem blauen Pflaster dekorierter Mittelfeldmotor riskierte eine durchaus berechtigt große Lippe: „Wir waren nie weg.“