Mönchengladbach : Dieter Hecking und die Borussia-Rätsel
Mönchengladbach Es gibt die These, dass sich im Laufe der Beziehung Herrchen oder Frauchen und Hund immer mehr gleichen. Wenn das auch für den Fußball und speziell das Verhältnis von Trainer und Mannschaft gilt, besteht noch Hoffnung, ein Attribut loszuwerden, was alle Beteiligten bei Borussia Mönchengladbach bewegt, sorgt und etliche auch nervt: sprunghaft.
Dieter Hecking verkörpert den Gegensatz, ist die gelebte Ruhe, gerade auch in bewegten Zeiten, die sich eben bei Borussia in einem gefühlt ewigen Auf und Ab definierten. Gladbachs Trainer ist immer er selbst, authentisch — und damit nicht nur anders als sein Spielergebilde.
Es gibt Mitmenschen, die sich mit seiner Art schwertun. Das gipfelt oft in Interpretationen seiner Augenbrauen, einem markanten Teil seines westfälischen Gesichts. Als mürrisch empfinden es viele. Um aber gleich mit dem gröbsten Vorurteil Schluss zu machen: Ja, Dieter Hecking kann lächeln. Und tut dies im Gespräch auch sehr schnell und überraschend oft. Und auch hierbei ist er authentisch.
„Ich bin eben sehr kontrolliert und halte vieles bei mir“, sagt Hecking. „So bin ich nun mal.“ Daran haben auch schon mal seine Profis zu knabbern, die etwa nach einem besonderen Sieg nicht unbedingt erwarten, dass ihr Vorgesetzter ausklinkt. Aber eine Explosion light durchaus vermissen. „Freu Dich doch mal, Trainer!“
Der aber bewahrt das, was viele Fußballlehrer auch von ihrer Mannschaft während des Spiels erwarten: die Kontrolle. Und obendrein ist der 53-Jährige in solchen Momenten längst wieder beschäftigt mit den nächsten Spielen, mit der Analyse der Fehler und dem Ansatz, diese beim nächsten Mal zu vermeiden. Und zusätzlich „profitieren meine Spieler von dieser Art, wenn wir verloren haben und alle deprimiert und frustriert in der Kabine sitzen“.
Solche Momente hat es zuletzt häufig gegeben. Zu häufig, was auch an Hecking nagt. Das hat mit einem anderen Wesenszug zu tun: Der in Castrop-Rauxel geborene Fußballlehrer ist extrem ehrgeizig. Und zwar auf eine Art, die alle Sportdirektoren dieser Welt lieben müssen. Sie ist durch und durch pragmatisch geprägt und wird beispielhaft deutlich in der Verarbeitung des Scheiterns im DFB-Pokal.
Anders als nach etlichen anderen Niederlagen wurde der ehemalige Profi nach dem unglücklichen 0:1 gegen Bayer Leverkusen überschüttet mit Anerkennung. Tenor: gut gespielt, aber verloren! So mancher mag überrascht worden sein über seine heftige Reaktion: „Ist es das, was Ihr wollt?!“ Dieter Hecking mag keinen Fußball, der sich auf viel Lob in der B-Note beschränkt.
Sein Dogma ist, erfolgreich zu sein. Gelebter Pragmatismus also. Und der spiegelt sich auch in seinem fußballerischen Überbau. „Ich halte nichts davon, etwa auf die Frage, wofür steht Dieter Hecking eigentlich, zu antworten: für Offensivfußball oder Catenaccio. Auch nicht für ein 4-4-2- oder ein 3-4-3-System. Ich richte mich mit meiner Arbeit danach, welche Spieler ich habe.“ Wesentlicher ist für ihn, „die Spieler besser zu machen“. Und selbstbewusst zählt er die Profis auf, für die das gilt.
Dass das trotzdem keine Garantie für Erfolge ist, weiß der Gladbach-Coach. Doch abseits der Unbeständigkeit der vergangenen Wochen sieht er auch das Kollektiv grundsätzlich auf einem guten Weg. Die Konsolidierung, die er bei Amtsbeginn als primäres Ziel ausgegeben hatte, sieht er erreicht. Der Blick auf die Tabellenregion, in der sich Borussia immer noch tummelt, belegt dies. Doch er akzeptiert die Frustration der Fans, die mit den verpassten Chancen hadern, während der Spiele und tabellarisch. „Das ,jetzt aber endlich‘ verstehe ich sehr gut“, sagt der 53-Jährige.
So rätselhaft vielen der Trainer Dieter Hecking erscheint, so rätselhaft ist zuweilen die beständige Unbeständigkeit seiner Auswahl. Und auch dieses eingestandene Nichtwissen unterscheidet ihn von vielen Berufskollegen. „Es fällt schon manchmal schwer, alles zu erklären. Alle Fragen kann ich auch nicht beantworten“, sagt Hecking. Womit er sich elementar von Kollegen abgrenzt, die sogar mehr Antworten als Fragen parat haben.
Aber natürlich steuert Hecking Erkenntnisansätze für dieses Gladbacher Phänomen bei. Und das sind Indizien, die er lange für sich behalten hat, weil es eben seine Art ist, aber auch, weil er genau weiß, dass er mit ihrer Veröffentlichung automatisch in einen Rechtfertigungsmodus gerät. Aber spätestens seit der Niederlage in Frankfurt nimmt er diese negative Bewertung in Kauf.
Die Heckingsche Teilanalyse: Da gebe es einmal die grundsätzlichen Fehler, die eben zu richtig schlechten Spielen wie gegen Dortmund, in der Bundesliga gegen Bayer in der zweiten Halbzeit, in Freiburg und letztlich auch in Wolfsburg geführt hätten. Dazu kämen individuelle Fehler, wie sie Spielern etwa in Köln und in Frankfurt unterlaufen seien. Was in Heckings Augen aber häufig vergessen wurde, sind die Ausfälle wichtiger Spieler, wie zuletzt Raffael in Frankfurt oder zuvor in etlichen Spielen Christoph Kramer.
Und diese Gemengelage wird noch verstärkt durch eine Serie von Schiedsrichterentscheidungen, die in unschöner Hartnäckigkeit gegen seine Mannschaft ausgefallen seien. Angefangen von Schalke über Freiburg, Leverkusen, Köln, Augsburg bis hin zu Frankfurt. „Das hänge ich normalerweise nicht so hoch. Aber das ist eben kontraproduktiv beim Versuch, mal einen Lauf zu starten, wie er uns im Frühjahr gelungen ist.“
Die Enttäuschung bei den Fans kann er dennoch verstehen. Und auch in ihrer Bewertung bleibt er seinem Naturell treu und unterscheidet sich diesmal vor allem auch von seinem temperamentvollen Sportdirektor Max Eberl. „Sie haben jedes Recht der Welt zu pfeifen“, gesteht Hecking ihnen zu.
Aber dieses fragile Verhältnis von Publikum und Profis ist für ihn nicht borussia-spezifisch. „Das passiert an jedem Spieltag in anderen Stadien auch.“ Das Ende der Toleranz aber gilt für Exzesse, die sich unter der Gürtellinie gegen die eigene Mannschaft richten. Spätestens das weckt auch bei Hecking den Beschützerinstinkt. Er ist eh bekannt und wird geschätzt dafür, sich stets vor seine Profis zu stellen. „Die Jungs wollen immer. Ich trainiere täglich mit ihnen. Ich lasse nichts auf ihre Mentalität kommen.“
Entsprechende Vorwürfe kamen verstärkt nach der Derby-Niederlage hoch und wurden auch nach dem 0:2 in Frankfurt wiederholt. Nicht nur für Hecking unverständlich, wenn man gesehen hat, „wie wir die Eintracht nach der Pause bespielt haben und nicht eine Chance mehr zugelassen haben“. Dass Gladbach ein Verwertungsproblem besitzt, weiß er. Doch für ihn sind die Wolfsburger Zeiten vorbei, in denen ihm bei einer entsprechenden Problematik jeder Verstärkungs-Wunsch auch finanziell erfüllt werden konnte.
Das System der Gladbacher, die Trefferquote auf mehrere Schultern zu verteilen, hakt natürlich in dem Moment, wenn Raffael etwa ausfällt, Stindl sich berechtigterweise einmal ein kleines Tief erlaubt und Hazard sein Visier falsch justiert hat. Solche Momente könnten Schützen aus der zweiten Reihe auffangen, Grifo zum Beispiel, Cuisance, Herrmann oder Hofmann.
Einen reinen Torjäger zur Lösung dieses Mankos zu holen, abgesehen von den finanziellen Problemen, hieße in Heckings Augen, die Formation umwandeln zu müssen. Mit Bas Dost war das für Hecking in Wolfsburg nicht zwingend. „Der kann auch eine Position im Zweiersturm übernehmen.“ In Zusammenarbeit mit Eberl einen auch finanzierbaren Dost-„Verwandten“ zu verpflichten, ist für den Borussen-Coach durchaus denkbar. Doch grundsätzlich von der Philosophie des Fußballspielens abzugehen, ist bei allem Pragmatismus für ihn ausgeschlossen. Nur über Kampf, Grelligkeit und Disziplin zu kommen, „ist nicht in unserer DNA“.
Überraschenderweise wohl aber leichte Spuren von Romantik in der des Dieter Hecking. Er glaubt an und setzt auf einen kollektiven Traum von Verein, Spielern, Fans und selbst Medien und wünscht sich einen Schulterschluss für den Rest der Saison: „Gemeinsam dafür arbeiten, wieder europäisch zu spielen.“ Dieter Hecking ist wirklich anders, als man denkt.
Und dazu passt auch, dass er doch die These vom Annäherungsprozess zwischen Hund und Herrchen bestätigt — privat. Zwei Vierbeiner besitzt der Westfale, Balou, einen quirligen Bordercollie-Mix, und Babe, einen recht betagten Labrador, der sich am liebsten auf dem Sofa aufhält.
Beide Wesenszüge finden sich auch im 53-Jährigen wieder, wenn es darum geht, von seinem aufreibenden Job Abstand zu gewinnen. Zum Fithalten joggt der Ex-Profi, das Runterkommen aber funktioniert am besten, „wenn ich mich auf dem Sofa rumlümmle und gar nichts tue“. Auch abseits des Platzes also ist er in der Balance: Action und Ruhe, Balou und Babe, Yin und Yang. Dieter Hecking eben.