Mönchengladbach : „Auf, auf, auf in die Champions League“
Mönchengladbach Samstag, 9. Mai, 17.21 Uhr: Ein Chor aus mehr als 45.000 Mönchengladbachern findet, so etwas Schönes habe man schon lange nicht mehr gesehen. 17.22 Uhr: Fans und Spieler hüpfen zum neuen Lieblingshit im Borussia-Park: „Auf, auf, auf in die Champions League.“
17.24 Uhr: Die glückseligen Anhänger in der Nordkurve haben einen Wunsch: „Wir woll‘n den Trainer seh‘n.“
17.25 Uhr: Lucien Favre winkt kurz den Fans zu und verschwindet in den Katakomben. Später wird er sagen: „Wir haben noch nichts erreicht.“ Er hat Recht, einerseits. Andererseits: Was die Borussia bisher in der Fußball-Bundesliga erreicht hat, hat sich niemand ausmalen können. Nicht einmal in kühnsten Träumen.
17.26 Uhr: Stadionsprecher Torsten Knippertz sagt, er werde versuchen, den Trainer zu holen.
17.29 Uhr: Pfiffe im Borussia-Park, Stefan Kießling, hauptberuflich Stürmer bei Bayer Leverkusen, nebenberuflich fallsüchtiger Schauspieler, erscheint zu einem Fernseh-Interview.
17.30 Uhr: Wieder Jubel und Gesänge: „Ohne Trainer geh‘n wir nicht nach Haus‘.“
Der sagt später immer wieder: „Wir haben noch nichts erreicht“, denn klar ist: Zwei Spieltage vor Schluss wollen sich die Borussen nicht mehr die Butter vom Champions-League-Brot nehmen lassen und die direkte Qualifikation schaffen.
Die Fakten: Fünf Punkte Vorsprung auf Leverkusen und nur noch zwei Spiele stehen an (in Bremen und gegen Augsburg, Bayer spielt gegen Hoffenheim und in Frankfurt). Zwei Punkte benötigt die Borussia noch nach dem durch und durch begeisternden 3:0 (0:0)- Erfolg im direkten Duell am Samstag. Für Roger Schmidt ist alles klar: „Gladbach macht nicht den Eindruck, die Spiele zu verlieren.“ Leverkusens Trainer richtet sich auf die Qualifikationsspiele zur Königsklasse ein.
Das Fundament steht
Gladbach macht im Fußballjahr 2015 generell einen hervorragenden Eindruck, und der wird nur ein bisschen getrübt durch das Ausscheiden im DFB-Pokal gegen Arminia Bielefeld und das vermeidbare Aus in der Europa League gegen Titelverteidiger und „So-gut-wie-wieder-Finalist“ FC Sevilla. Auch die Rückkehr von Christoph Kramer zu Bayer Leverkusen und der am Sonntag (endlich) bestätigte Wechsel von Max Kruse zum VfL Wolfsburg lässt die Borussia nicht von ihrem Weg abkommen. Es werden neue, gute neue Spieler kommen. Geld ist vorhanden, nicht nur wegen der zwölf Millionen, die aus Wolfsburg aufs Konto fließen. Das Fundament steht, Lucien Favre und sein Team werden keinen kompletten Neuaufbau bewerkstelligen müssen.
Auch wenn die zuletzt einzigen deutschen Nationalspieler Borussias in den letzten Wochen Garanten der Erfolgsserie sind. Kramer als unermüdlicher Zerstörer gegnerischer Angriffsbemühungen, Kruse, der in Wolfsburg bis 2019 unterschrieb, als wertvoller Torschütze und Vorbereiter. Zum siebten Mal schoss er am Samstag das wichtige 1:0, als er nach Granit Xhakas listig und ganz schnell ausgeführtem Freistoß sowie Patrick Herrmanns Vorarbeit vollendete (50.).
„Das Tor fiel unerwartet“, gestand Favre, der speziell in den ersten 25 Minuten eine dauerpressende Leverkusener Mannschaft erlebt hatte, „das war schwer zu spielen“. Doch die Defensive der Borussia stand gut, arbeitete vorzüglich, und immer mehr bekamen die Gastgeber in ihrem 1600. Ligaspiel das Geschehen in den Griff. Und sie waren einen Tick leidenschaftlicher, wollten den Erfolg mehr als Bayer.
Der Sieg in diesem sehr niveauvollen Spiel war verdient, auch wenn die Freistöße vor den beiden ersten Toren nicht unbedingt jeder Schiedsrichter gegeben hätte. Dafür versagte Peter Gagelmann den Borussen einen klaren Strafstoß, als Herrmann gefoult wurde (39.). Beim 2:0 staubte Herrmann ab, nachdem Xhaka einen Freistoß auf Raffael gespielt hatte. Der legte auf Kramer ab, dessen Schuss der in Halbzeit eins zweimal glänzend gegen Herrmann reagierende Bernd Leno nur abklatschen konnte (81.).
Den fulminanten Schlusspunkt setzte der eingewechselte Ibrahima Traoré, der wie schon in Berlin eine Woche zuvor traf (88.). Und wieder in Arjen-Robben-Manier, ein Vergleich, den der „Joker“ übrigens gar nicht gerne hört... Solche Aktionen mit Zug zum Tor mag indes Lucien Favre: „Das erwarten wir von den Spielern, die momentan nicht von Beginn an spielen“, erklärte der Trainer, der das Wort „momentan“ besonders betonte. Borussia ist keine Erfolgs-Elf, sondern ein Erfolgs-Team.
Beeindruckend ist zudem die Stabilität der Mönchengladbacher, was Sportdirektor Max Eberl ausnahmsweise einmal schwelgen ließ: „Wie die Mannschaft auftritt, wie selbstbewusst sie Fußball spielt, wie sie auch mal Fehler wegsteckt — das macht die Mannschaft Woche für Woche auf höchstem Niveau.“ Den Lobesworten folgte schnell der Hinweis: „Es gibt keinen Grund, sich zurückzulehnen.“
17.32 Uhr: Torsten Knippertz kommt ins Stadion zurück und erklärt: „Lucien Favre kommt heute definitiv nicht mehr raus, er ist schon bei der Vorbereitung aufs Bremen-Spiel.“ Es sollte eine flapsige Bemerkung sein. Allerdings eine mit hundertprozentigem Wahrheitsgehalt. Denn: „Noch haben wir nichts erreicht.“