Gladbach in der Champions League : Ärgern auf hohem Niveau
Analyse Mailand/Mönchengladbach Bei der verpassten Sensation in Mailand ist Borussia Mönchengladbach auf Augenhöhe mit dem italienischen Spitzenclub – aber nicht im Glück. Eine Analyse zum Auftakt in der Champions League.
Mit Unentschieden nach einer Führung kennt sich Borussia Mönchengladbach in der Bundesliga inzwischen aus. Das 2:2 beim Champions-League-Auftakt bei Inter Mailand war allerdings ein Remis auf hohem Niveau. Entsprechend zwiespältig war nicht nur die Gefühlswelt der Borussen, auch das Spiel selbst war gespickt mit Widersprüchen. Hier einige Beispiele:
Aufstellung: Frech und mutig sein, hatte Marco Rose von seinen Mönchengladbacher Profis gefordert. Der Borussen-Trainer selbst steuerte eine extrem offensive Aufstellung bei. Sowohl Marco Thuram als auch Alassane Pléa und Breel Embolo standen in der Startelf. Kapitän Lars Stindl musste auf die Bank.
Offensive und Frechheit pur: So weit das Vorhaben. Die Realität sah anders aus. Ein Phänomen, dass nicht neu ist. Speziell im letzten Drittel einer Partie, wenn der Trainer mit der Einwechslung zusätzlicher Stürmer für mehr Power Richtung gegnerisches Tor sorgen will, entpuppt sich die Maßnahme häufig als kontraproduktiv.
Die Gleichung „mehr Stürmer = mehr Power“ stimmt per se nicht. Wichtig sind die Raumaufteilung, die Laufwege, die Zuspiele. Daran haperte es auch bei Gladbach. Die Aktionen nach vorne waren speziell in der ersten Hälfte zu ungenau, das Umschalten zu langwierig.
Und womöglich ist auch die Kombination Thuram/Pléa mit Stindl gerade gegen starke Mannschaften eine effektivere, da der Routinier den Ball gut halten und verteilen kann. Borussia kam kaum in den Strafraum. „Wir waren lange ohne Torschuss. Wir hatten drei, vier gute Pässe in die Box, waren dort aber nicht präsent genug“, analysierte denn auch Rose. Seine Schüler Yann Sommer und Jonas Hofmann ergänzten: „Wir hätten mutiger spielen müssen.“
Konzentration: Von der ersten Sekunde an war zu spüren, dass die Borussen mental für die starken Italiener bereit waren. Die Konzentration war da – kollektiv. Individuell aber gab es zu häufig keinen Gleichklang.
Immer wieder stockte das Angriffspiel, wurden Kombinationen frühzeitig durch Ungenauigkeiten gekappt. Das ging zulasten von Torraumszenen in der Mailänder Hälfte und obendrein mächtig auf die Kondition: Den Ball immer wieder versuchen zurückzugewinnen, fordert eine extreme Laufleistung und nagt auch an der Psyche. Richtig ins Rollen kam Gladbach vor der Pause nie. Die Offensive blieb Stückwerk. Hoher Aufwand für fast nichts.
Präzision: Fehlende Präzision bei vielen Pässen, drei Mal aber und extrem spektakulär bewiesen die Fohlen chirurgische Präzision und unterstrichen, wozu sie in der Lage sind. Ramy Bensebaini machte den Auftakt. Gegen Inter-Keeper Samir Handanovic, gefürchtet als Elfmeter-Killer, jagte der Linksverteidiger den Ball flach und unhaltbar zum 1:1 ins rechte Eck (63.).
Diese Genauigkeit wurde noch mal von Florian Neuhaus gesteigert. Sein wuchtiger Pass aus der eigenen Hälfte durchschnitt die Inter-Abwehrreihen wie ein Skalpell und landete exakt im Sturmlaufweg von Hofmann. Hätten die Gladbacher das Spiel gewonnen, es wäre die Szene des Spiels gewesen.
Auch Hofmann lieferte als Traumpass-Nutznießer ein Musterbeispiel an Genauigkeit ab: Eiskalt, was Gladbachs Edel-Presser nicht immer ist, zirkelte der Neu-Nationalspieler den Ball zum 2:1 durch die Beine von Handanovic (84.).
Das Duell: Wie sehr Inter Mailand von Romelu Lukaku abhängig ist, belegten die zwei Tore des belgischen Ausnahme-Stürmers. Zwei Treffer, da muss sein Gegenspieler ja wohl versagt haben, könnte man meinen. Doch weit gefehlt. Denn Nico Elvedi war mit der beste Gladbacher auf dem Platz.
Der immer noch junge Innenverteidiger (24) lieferte eine fabelhafte Leistung ab. Kühl, sachlich, überwiegend fair – auf dieser Art ein Duell mit dem belgischen Riesen zu bestreiten, beherrschen nicht viele Defensivspieler, auch nicht von Top-Clubs. Gegen die zwei Lukaku-Treffer konnte der Schweizer nichts ausrichten.
Bei der Mailänder Führung verwandelte der eingewechselte Torjäger Lautaro Martinez mit einer Kopfball-Vorlage die bis dahin stabile Gladbacher Abwehr in einen Hühnerhaufen. Am Ende durfte Lukaku aus vier Metern zum 1:0 einnetzen (49.). Elvedi wurde bei seinem Abwehrversuch unbeabsichtigt getunnelt.
Wesentlicher war, dass Matthias Ginter und Bensebaini schreckerstarrt auf der Torlinie verharrten, anstatt sich zu den Gegenspielern zu orientieren. Der späte Ausgleich, der Gladbachs Traum von einer Sensation zerstörte, gehört zur Kategorie: extrem schwer zu verteidigen.
Eine scharf getretene Ecke von Aleksandar Kolarov verlängerte der eingewechselte Abwehr-Riese Alessandro Bastoni (1,90 Meter) – Lukaku drängte sich an Elvedi vorbei und bugsierte den Ball in der Nachspielzeit aus kurzer Distanz zum 2:2 über die Linie. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, diese Art von Toren zu vermeiden: Der Gegenspieler von Bastoni muss sich vor ihn stellen, um den Ball wegzuköpfen. Thuram hätte das qua Körpergröße gekonnt (1,92 Meter), blieb aber dahinter. Oder Torhüter Sommer hätte einen Spieler am langen Pfosten auf die Torlinie stellen müssen. Nur so wäre der Einschuss zu blocken gewesen.
Gefühlslage: Wieder einmal wurde Gladbach der Sieg vor der Nase weggeschnappt. Immerhin aber ein Punktgewinn bei einem der Gruppen-Größen: Da reagierte nicht nur Ginter zwiespältig. „Jetzt bin ich tief enttäuscht. Aber das wird in zwei, drei Stunden bereits anders sein“, sagte Borussias Abwehrchef unmittelbar nach dem Abpfiff. „Wenn du so spät führst, willst du natürlich gerne die drei Punkte. Aber jetzt nehmen wir den Punkt, nehmen auch diese Erfahrung mit“, sagte Rose am Tag danach. „Vielleicht haben wir gegen Real Madrid (Di., 21 Uhr) schon einen Lerneffekt.“