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Skrzypski: „Die Chance ist größer als das Risiko“

Skrzypski : „Die Chance ist größer als das Risiko“

Timo Skrzypski war mal die Nummer 3 im Badminton in Norddeutschland und im deutschen Leistungskader. Die Schwerpunkte haben sich dann schnell in Richtung berufliche Ausbildung verlagert. Inzwischen spielt er nur noch hobbymäßig in einer Betriebssport-Liga in Düsseldorf.

 Die Landeshauptstadt ist sein Wohnort, ab 1. August bezieht er zudem eine Wohnung in Aachen. Skrzypski ist seit ein paar Tagen Alemannias neuer Kaufmännischer Geschäftsführer. Zum Gespräch über die finanzielle Situation des Klubs wird der 30-Jährige vom Aufsichtsratschef Christian Steinborn begleitet, der Auskunft über die letzte Saison geben kann.

 Sie waren Marketingleiter bei Hertha BSC, ein Auslandsjahr bei Arsenal, Geschäftsführer bei Frauen-Bundesligist FCR Duisburg, Controller beim MSV Duisburg. Für einen 30-Jährigen haben Sie eine erstaunlich umfangreiche Biographie.

 Skrzypski: Da steckt schon ein Plan hinter. Nach dem Jahrespraktikum und einer Ausbildung bei Hertha ging es um Auslandserfahrung. In London habe ich deutsche und skandinavische Gäste an Spieltagen betreut, ansonsten war ich Teamleiter im Fanshop. Hertha hat mir dann ein Stipendium für ein duales Studium angeboten, deswegen bin ich zurück. Als nächstes kam die Anfrage aus Duisburg. Und da meine Frau ins Rheinland wollte, passte das gut. Beim FCR drohte die Insolvenz, als das Angebot vom MSV Duisburg kam. Die zwei Jahre im Finanzbereich haben mir gut getan, aber ich wollte das Spektrum dann wieder um Fanarbeit, Organisation, Ticketing und Merchandising erweitern.

 Sie haben eine gewisse Nähe zu Vereinen, die sich am Rande der Insolvenz bewegen oder sie gar schon durchlitten haben.

 Skrzypski: Das ist Zufall (lacht). Beim MSV habe ich sogar die harte, aber final rosige Zeit nach dem Lizenz-Entzug bis hin zum Aufstieg in die 2. Liga erlebt. Wir haben den Verein in dieser Zeit saniert, er hat die Talsohle verlassen.

 Wie entstand der Kontakt zu Alemannia?

 Skrzypski: Ich bin von einem Headhunter angesprochen worden, habe mich dann in einem Auswahlverfahren glücklicherweise durchgesetzt. Steinborn: Herr Skrzypski war unser absoluter Wunschkandidat.

 Kann man schon Ihre Schwerpunkte beschreiben?

 Skrzypski: Ich bin noch in der Findungsphase, auch wenn ich in den letzten Wochen schon viele Verträge gelesen und mich eingearbeitet habe. Es geht um die Bereiche, die nach der Insolvenz aus Budget- oder personellen Gründen vernachlässigt wurden. Wir werden wieder versuchen, schnell einen Online-Shop aufzubauen, wollen Alemannias Einnahmeseiten verbessern. Dafür müssen wir das Merchandising und Vertriebsnetz verbessern, wollen Fanartikel auch wieder bei großen Händlern in der Stadt anbieten.

 182 313 Zuschauer sind zu Alemannias Heimspielen in der letzten Saison gekommen. Kein anderer Regionalligist in Deutschland hat diesen Schnitt. Sie haben 70 000 mehr Fans als kalkuliert. Entsprechend muss es doch finanziell eine herausragende Saison gewesen sein.

 Steinborn: Vom Ende der Insolvenz bis zu Saisonbeginn und den ersten Einnahmen lag das Finanzierungsloch durch laufende Kosten schon bei rund 300 000 Euro. Wir haben dann für die zurückliegende Saison einen sehr konservativen Etatansatz erstellt. Die sich daraus ergebende Unterdeckung haben wir durch Mehr-Zuschauer und eine erfolgreiche Vermarktung von Logen und Business-Seats signifikant reduziert. Mehr nicht. Wir sind also noch nicht finanziell gesundet, aber wir sind auf einem guten Weg. Man muss sehen, dass wir die Alemannia attraktiver machen wollten, indem wir junge Menschen unter zwölf Jahren kostenlos ins Stadion lassen. Das ist uns sicher auch durch die Senkung der Eintrittspreise gelungen.

 War es zu verantworten, mit so einem strukturellen Defizit in die erste Saison nach der Insolvenz zu gehen?

 Steinborn: Ja, es war eine wichtige unternehmerische Entscheidung des Aufsichtsrates für die Alemannia und unsere Fans mit der Konsequenz, dass wir mit einem Rucksack unterwegs waren. Und das Kalkül ist ja fast aufgegangen: Wenn wir noch das Relegationsspiel erreicht hätten, wäre die Saison vielleicht mit einer schwarzen Null beendet worden.

 Die GmbH hat enorm von dem sportlichen Erfolg profitiert. Aber ist das strukturelle Problem gelöst?

 Steinborn: Wir haben immer noch ein strukturelles Defizit, allerdings deutlich geringer als zuletzt. Es zu beseitigen, wird die große Herausforderung für Timo Skrzypski sein. Wir machen aktuell keine Schulden, die fehlende Summe ist gegenfinanziert. Der Verein hat auf den Geschäftsführerposten gute Leute. Der Aufsichtsrat kann sich so mehr um die strategische Ausrichtung kümmern.

 Gibt es die Tendenz, einen Investor dazuzunehmen?

 Steinborn: Das ist eine Option für eine strategische Finanzierung. So eine Entscheidung muss reifen und zum besten Zeitpunkt gefällt werden. Zur Klarstellung: Niemand will Alemannia verkaufen. Was der Aufsichtsrat aber sehr wohl will, ist, den Verein langfristig stabil und unabhängig von den Schwankungen zu machen, die sich aus sportlichen Leistungen ergeben.

 Ist eine weitere Beteiligung von Michael Kölmel denkbar, der bereits beim Altverein involviert ist?

 Steinborn: Wir haben Gespräche geführt, er ist aufgrund der vertraglichen Situation eine logische Alternative. Er hat natürlich ein großes Interesse daran, dass der Verein wieder vorwärts kommt, weil die Rückzahlung seines Darlehens erst im Aufstiegsfall beginnt.

 Bei der Vorstellung von Alexander Klitzpera im Februar haben Sie gesagt, dass der Sportdirektor aus dem Etat finanziert werden kann. Jetzt stellt sich heraus, dass der Etat nicht gedeckt ist. Wie passt das zusammen?

 Steinborn: Aus der Retrospektive passt das nicht zusammen. Die Entscheidung, einen Sportdirektor einzusetzen, um Trainer Peter Schubert zu entlasten, haben wir aber schon zu Beginn der letzten Spielzeit gefällt. Der neue Sportliche Leiter sollte konzeptionell frühzeitig den neuen Kader entwickeln. Wir wollen professionellen Ansprüchen in Aachen genügen.

 Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung, die der Verein unter Alexander Klitzpera genommen hat?

 Steinborn: Absolut! Wenn Sie in diesem Zusammenhang auf das Interview in Sachen Trainer anspielen: Das war nicht glücklich — das weiß Herr Klitzpera selber. Aber das ist abgehakt. Er ist ein akribischer und sehr konzeptionell arbeitender Sportdirektor, das erkennen wir gerade an der Kaderzusammenstellung. Und er hat einen sehr bissigen, ehrgeizigen Trainer geholt, der für die Aufgabe brennt. Wir alle arbeiten sehr gut zusammen.

 Sie haben öffentlich schon mögliche „unpopuläre Entscheidungen“ angedeutet. Was ist damit gemeint?

 Steinborn: Alle Kosten müssen auf den Prüfstand. Zum Beispiel ist es fraglos wünschenswert, ein NLZ zu haben und in Unterbaumannschaften zu investieren. Dennoch müssen Aufwand und Nutzen im Verhältnis stehen. Wir wollen den Klub zukunftsfähig machen, dazu gehört eventuell auch, dass wir Spar-Ideen von Timo Skrzypski mittragen.

 Mit welchem Zuschauerschnitt rechnen Sie in der kommenden Spielzeit?

 Steinborn: Planungsgrundlage ist derzeit ein Schnitt von 8500 Zuschauern.

 Ändern Sie die Ticketpreise?

 Steinborn: Nein.

 Das neue Präsidium wollte den Wirtschaftsbeirat wieder aufleben lassen. Was wurde aus dem Plan bzw. dem Gremium?

 Steinborn: Es trifft sich regelmäßig, auch unbemerkt von der Öffentlichkeit. Dieser Zirkel will Alemannia unterstützen.

 Haben Sie den Eindruck, dass Alemannia gerade in der Wirtschaft Rückenwind genießt, oder muss immer noch verbrannte Erde mit großen Lkw abgefahren werden?

 Steinborn: Es gibt einen Aufwärtstrend, der Dauerkartenvorverkauf läuft gerade besser als im Vorjahr. Die Vermarktung bleibt aber ambitioniert, weil Alemannia immer noch viertklassig und daher eher ein regionales Produkt ist. Wir brauchen jetzt mehr denn je den Rückenwind und die Unterstützung. Alemannia ist auf einem guten Weg, das ist auch ein Erfolg des Aufsichtsrats. Aber es wird kaum möglich sein, dauerhaft Viertliga-Fußball in Aachen wirtschaftlich zu vermarkten. Als Unternehmer muss man Lösungen suchen, um die höher gesteckten Ambitionen umsetzen zu können. Wir müssen aus dieser Liga heraus, je schneller, umso besser.

 Das Führungs-Quintett nennt sich „Team 2018“. Bis dahin sollte spätestens der Aufstieg her?

 Steinborn: Definitiv, trotz aller Erfolge zuletzt kann die Regionalliga nicht die Perspektive sein.

Skrzypski: Ich lerne derzeit Alemannias Umfeld bei vielen Gesprächen langsam kennen. Der Verein ist wieder attraktiv. Das Vertrauen kehrt zurück, weil am Tivoli seriös gearbeitet wird. Als haftender Geschäftsführer habe ich ein originäres Interesse, dass es dem Verein wieder besser geht.

 Die Haftung hat Sie nicht abgeschreckt?

 Skrzypski: Ich weiß, worauf ich mich einlasse, weil ich die Verträge und Zahlen vor der Vertragsunterzeichnung kannte. Für mich ist die Chance größer als das Risiko. Ich mag diese Herausforderung, deswegen habe ich aus Überzeugung einen Aufsteiger in die 2. Liga verlassen. Duisburg ist was Stadion, Infrastruktur und Mitglieder angeht vergleichbar. Durch Aachens Insolvenz liegen zwei Klassen zwischen den Klubs. Mich reizt es ungemein, die Lücke zu verkleinern.