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Stolberg/Aachen: DBS-Präsident: „Was jetzt ist, wird nicht das Ende sein“

Stolberg/Aachen : DBS-Präsident: „Was jetzt ist, wird nicht das Ende sein“

Wenn Friedhelm Julius Beucher über Behindertensport spricht, dann mit großer Überzeugung, voller Enthusiasmus, Beucher versteht es, Menschen für seine Sache zu begeistern. So ist das auch in Stolberg, im Museum Zinkhütter Hof, wo er die Wanderausstellung „Paralympics — Sport ohne Limit“ eröffnet, und am Ende kein Besucher genau weiß, ob nun die Ausstellung oder Beuchers Rede bessere Werbung für den Behindertensport ist.

Irgendwie gehören gute Reden ja auch zu seinem Job, Beucher ist Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS), aber für ihn ist dieser Posten mehr als nur ein Amt, er ist eine Bereicherung, Beucher sagt: „Ich habe dadurch wunderbare Menschen kennengelernt.“

ARCHIV - Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, Friedhelm Julius Beucher, spricht am 06.08.2014 in München (Bayern) bei der Eröffnung der Weltmeisterschaft im Elektro-Rollstuhl-Hockey. Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, erhofft sich durch die Vergabe der Olympischen Winterspiele und der Winter-Paralympics 2022 an Peking eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in China. „Es bleibt zu hoffen, dass durch die Entscheidung, die Olympischen und Paralympischen Spiele nach Peking zu vergeben, die positiven Wirkungen des Sports schrittweise dabei helfen, die Menschenrechte zu respektieren. Und zwar so, wie es sich für ein friedvolles Miteinander auf der Welt gehört“, teilte der frühere Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses am Freitag mit
ARCHIV - Der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, Friedhelm Julius Beucher, spricht am 06.08.2014 in München (Bayern) bei der Eröffnung der Weltmeisterschaft im Elektro-Rollstuhl-Hockey. Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, erhofft sich durch die Vergabe der Olympischen Winterspiele und der Winter-Paralympics 2022 an Peking eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in China. „Es bleibt zu hoffen, dass durch die Entscheidung, die Olympischen und Paralympischen Spiele nach Peking zu vergeben, die positiven Wirkungen des Sports schrittweise dabei helfen, die Menschenrechte zu respektieren. Und zwar so, wie es sich für ein friedvolles Miteinander auf der Welt gehört“, teilte der frühere Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses am Freitag mit Foto: Sven Hoppe/dpa

Im Interview spricht er über die Entwicklung des Behindertensports, die Hoffnungen für die Paralympics im September und die Chance auf einen Olympia-Start von Prothesenspringer Markus Rehm.

Herr Beucher, „Paralympics — Sport ohne Limit“ — ist das nicht ein Widerspruch?

Beucher: Wenn ich mich an die ersten Zeiten und Weiten erinnere, da konnte man im Weitsprung der Unterschenkelamputierten — und das ist wohl das signifikanteste Beispiel — mit sechs Metern Paralympics-Sieger werden. Das ist ja auch schon eine irre Leistung. Jetzt ist da einer wie Markus Rehm, der mit 8,40 Metern rund einen Meter weiter springt als seine Paralympics-Mitbewerber und diese Leistung auch immer wieder bestätigt. Ähnliche Beispiele gibt es auch in anderen Sportarten und Disziplinen. Sport hat kein Limit. Aber ich muss eingestehen, dass diese Überschrift gar nicht von uns kommt… (lacht)

Von wem dann?

Beucher: Die Sportwissenschaftler im Deutschen Sport- und Olympiamuseum in Köln haben sich das überlegt — und die haben ja eine Außensicht, sie sehen die Entwicklung. Im Paralympischen Sport gibt es noch viel Luft nach oben — sowohl im sportlichen Bereich, als auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Was jetzt ist, kann und wird nicht das Ende sein.

Wie groß ist der Anteil der Paralympics 2012 an der bisherigen Entwicklung?

Beucher: Sehr groß, die Wettkämpfe dort waren das Maß aller Dinge. Alle Stadien waren ausverkauft, die Athleten wurden auf der Straße angesprochen, sie haben Autogramme gegeben. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als die komplette Berichterstattung über die Paralympics aus einer halbstündigen Zusammenfassung bestand, aus London hat das deutsche Fernsehen 60 Stunden live berichtet. Das hat uns einen unglaublichen Schub gegeben.

Und die Spiele in Rio de Janeiro werden noch besser?

Beucher: Das weiß ich nicht. Wir haben ja schon das Problem, dass wir zwischen den Paralympics immer in ein mediales Loch fallen; über Welt- und Europameisterschaften wird nur selten berichtet. Wir versuchen, das beispielsweise über die Sozialen Medien aufzufangen, was uns auch ganz gut gelingt. Die Zugriffszahlen sind hoch und wir können so zahlreiche Fans des Behindertensports erreichen.

In Brasilien wird die öffentliche Wahrnehmung wieder hoch sein…

Beucher: Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender werden wieder rund 60 Stunden aus Rio berichten, und auch die privaten ziehen nach. Die sind auf den Zug aufgesprungen und machen schon einiges im Vorfeld der Spiele. Eine schöne Sache.

Menschen schauen vor allem gerne zu, wenn deutsche Athleten vorne dabei sind…

Beucher: Stimmt, wir sind ziemlich erfolgsverwöhnt, aber andere Nationen werden auch immer stärker. Die Professionalität und Wertigkeit des Behindertensports ist in vielen Ländern deutlich angestiegen, deshalb gibt es auch immer mehr ernstzunehmende Konkurrenten. In manchen Ländern betreiben Athleten den Behindertensport hauptberuflich, sie können offensichtlich davon leben. Das gilt in Deutschland nur für ganz, ganz wenige Ausnahmen.

Gibt es denn eine Medaillenvorgabe?

Beucher: Nein, die gibt es nicht. Ich sehe den Spielen sehr gelassen entgegen, weil ich weiß, welche Qualitäten unsere Sportler haben und wie motiviert sie sind.

Gibt es für das, was die Paralympics-Starter betreiben, noch ein anderes Wort als Hochleistungssport?

Beucher: Nein, das ist definitiv Hochleistungssport, ohne Zweifel. David Behre (Leichtathlet, Doppel-Weltmeister 2015, Anm. d. Red.) hat mir zuletzt noch einmal erzählt, dass er mindestens zwei Mal am Tag trainieren müsse, um im internationalen Vergleich mithalten zu können. Andere schreiben mir um halb zehn am Abend noch SMS, dass ihr Abendtraining gerade vorbei sei und jetzt noch Physiotherapie anstehe.

Hochleistungssport hat immer auch seine Schattenseiten: Gibt es auch im Behindertensport eine Dopingproblematik?

Beucher: Es sind relativ vereinzelte Fälle, aber das Thema Doping ist durchaus auch im Behindertensport vorhanden. Wir als DBS haben natürlich auch den Anti-Doping-Code unterschrieben, unsere Athleten müssen mitteilen, wo sie sich aufhalten. Es gibt die gleichen Kontrollen wie bei Nicht-Behinderten, es gibt die gleichen Bestrafungen, es gibt glücklicherweise aber nicht so viele Fälle. Wir haben aber zum Beispiel nach den Vorwürfen gegen die russische Leichtathletik das Internationale Paralympische Komitee angeschrieben und gefragt, ob es auch Verdachtsmomente gegen die behinderten Sportler Russlands gebe. Unsere Athleten bekommen es ja schon mit, wenn einer, den sie zuvor noch nie gesehen haben, plötzlich auftaucht und sich mit sagenhaften Zeiten an die Spitze setzt.

Was kann der Sport zur Inklusion beitragen?

Beucher: Sport ist ein riesiger Inklusionsmotor. Beim Rollstuhl-Basketball und beim Sitzvolleyball spielen auf nationaler Ebene beispielsweise auch Menschen ohne Behinderung mit, das ist gelebte Inklusion. Und es freut mich, dass mittlerweile Behinderte auch in immer mehr Regelvereinen aktiv sind. Wir sind auf einem guten Weg, es gibt aber in manchen Köpfen noch Barrieren.

Sie haben Prothesenspringer Markus Rehm schon angesprochen. Wie wichtig wäre es für die Inklusion, wenn er nicht nur bei den Paralympics, sondern auch vorher bei Olympia starten dürfte?

Beucher: Es würde jedenfalls in ganz besonderer Form dokumentieren, welches hohe Leistungsvermögen Menschen mit Behinderung auf die Bahn oder in die Sandgrube bringen können. Es wäre schön, wenn das klappt. Erkenntnisse soll eine wissenschaftliche Untersuchung liefern, die auch die Frage beantworten soll, ob der unter anderem vom Internationalen Leichtathletik-Verband unterstellte Vorteil vorliegt. Wir unterstützen Markus in seinem Bestreben, auch bei den Nicht-Behinderten starten zu können und begleiten seinen Weg mit einem gewissen Stolz. Seine Leistungen würden aber nicht geschmälert werden, wenn ihm der Start bei Olympia verwehrt bliebe. Nur: An 8,40 Metern kommt man schlecht vorbei…