London : Becker zurück in Wimbledon
London Als ihm vor ein paar Jahren das Angebot auf den Tisch flatterte, ein großzügiges Anwesen im Londoner Südwesten zu kaufen, da hat Boris Becker nicht lange gezögert. Jetzt ist Becker nicht nur immer noch der jüngste Wimbledon-Sieger aller Zeiten, der dreimalige Champion bei den Offenen Englischen Meisterschaften, der siebenmalige Finalist.
Er ist auch Wimbledon-Bewohner, Nachbar beim größten Grand-Slam-Turnier der Welt. „Ich bin dankbar, ein Zuhause neben einem Ort gefunden zu haben, der mir so viel bedeutet“, sagt Becker, der am 7. Juli 1985, vor genau 30 Jahren, zum ersten Mal auf dem heiligen Rasen triumphierte, gegen den zehn Jahre älteren Südafrikaner Kevin Curren. Seitdem beschäftigt er die Deutschen wie kaum ein anderer, mit all den Achterbahnfahrten seiner Karriere, mit den Turbulenzen in seinem privaten und beruflichen Leben — und eine Konsequenz aus dieser ebenso spannenden wie spannungsreichen Beziehung ist Beckers Wohnsitz hier in Wimbledon, um die Ecke des mythischen Grand-Slam-Schauplatzes, drei Minuten vom Centre Court entfernt: „Ich fühle mich sehr gut hier. Die Menschen lassen mich einfach in Ruhe und gut leben.“
Rückkehr als Trainer
Wimbledon und Becker — es ist der Stoff für 1001 Geschichte. Aber vielleicht ist die interessanteste, wie Becker über all die Jahre im All England Club seine gewaltige Statur behalten hat, in den verschiedensten Rollen, die er einnahm: Als Spieler über anderthalb Jahrzehnte, als geschätzter Kommentator der BBC gut ein Jahrzehnt lang. Und nun auch als Trainer des Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic, mit dem er im letzten Jahr das Kunststück schaffte, noch einmal Wimbledon zu gewinnen — nun eben als wegweisender Rasenflüsterer. „Wimbledon war immer gut zu mir. Ich liebe keinen Ort im Tennis so sehr wie diesen. Die Faszination wird nie aufhören“, sagt Becker. Aber das gilt auch im umgekehrten Sinne: Die Begeisterung für den Deutschen, für diesen auf ewig mit Wimbledon verbundenen Gladiator, ist ungebrochen bei den britischen Grand Slam-Gastgebern und ihren Gästen aus aller Welt — man kann es spüren, wenn der inzwischen 47-Jährige durch das Menschenmeer im All England Club schreitet und mit „Boris, Boris“-Rufen, Schulterklopfen und verzückten Blicken bedacht wird. „Becker ist ein Teil Wimbledons und seiner Geschichte“, sagt Tim Henman, Britanniens früherer Tennisheld.
Becker hat in Wimbledon immer Seriosität ausgestrahlt, selbst in seinen wildesten Zeiten als Spieler und später als Privatier. Den Becker der zweifelhaften Autobiographien, den Becker der dubiosen TV-Showauftritte, den Becker in der Rolle von „Old Twitterhand“ — diesen deutschen Becker gab es nie während der beiden Grand Slam-Wochen. Der englische, der internationale Becker sprach stattdessen kenntnisreich als TV-Experte über Trends und Tendenzen im Tennis, er kommentierte für die BBC sogar das gewonnene Wim-bledon-Finale von Andy Murray 2013. Ein Deutscher, der diesen sporthistorischen Tag auf der Insel begleitet — wer hätte das einmal gedacht, als Becker vor 20, 30 Jahren gern vom Londoner Boulevard als Hauptfigur von „Panzer-Tennis“ beschrieben wurde. Becker lieferte sich damals seine Kämpfe mit den Fleet-Street-Schlagzeilendichtern, er sagte, dass es hier nicht um Krieg oder Frieden gehe, sondern nur um Tennisspiele.
Irgendwann drehte sich der Wind, die Reporter begannen den verrückten, energiegeladenen Deutschen zu lieben. Und diese Liebe färbte bald auch aufs Publikum ab. Becker findet inzwischen, „dass mich die Leute in England besser und genauer kennen als daheim.“ Brite wird er deshalb aber doch nicht werden, diese Aussage jüngst war dann eher der Veröffentlichungs-Choreographie seines neuesten, rein englischsprachigen Buchs geschuldet.
Wimbledon liebt Becker. Und Becker liebt Wimbledon. Auch, weil es ein Turnier ist wie kein anderes im langen Tennisjahr, in der Tour der oft austauschbaren Schauplätze. Auf die Frage nach der Anziehungskraft des Spektakels an der Church Road sagt Becker: „Die Magie von Wimbledon ist seine Mischung aus Mythos und Moderne. Sie verdienen hier sehr, sehr gutes Geld, haben ein florierendes Business, aber es ist kein seelenloses Kommerzunternehmen.“ Und: „Wie vor 25 oder 50 Jahren sieht man die Spieler in weißem Dress herumlaufen, es gibt keine Werbebanden, und es gibt auch diesen Willen, sich nicht jedem schnellen Trend zu beugen. Wimbledon ist einfach nur Wimbledon. Das muss einem doch gefallen.“
Für Becker war das Tennisjahr gut, wenn Wimbledon gut war. Und schlecht, wenn Wimbledon schlecht war. Es war ein Zitat von Beckers ehemaliger Ehefrau Barbara, das sich in diesem Zusammenhang einprägte, ein Zitat, das die bedingungslose Hingabe so beschrieb: „Es gibt drei Jahreszeiten bei der Familie Becker. Vor Wimbledon. Wimbledon selbst. Und nach Wimbledon.“ Fast das ganze Jahr, Tag für Tag, sagt Becker selbst, „habe ich darum gerungen, gut in Wimbledon auszusehen. Denn das ist das Turnier der Turniere. Hier musst du zeigen, wer du bist als Spieler.“ Umso schärfer kritisierte er später viele seiner deutschen Tennis-Erben für ihre Beliebigkeit gegenüber Wimbledon: „Sie kommen her, verlieren, fahren wieder weg, als ob ihnen das nicht mal weh tun würde.“
„Die Mission ist nicht beendet“
Becker war anders. Sein damaliger Trainer Günther Bosch hat schon recht mit der Bemerkung, dass es einen zweiten Tennis-Jüngling wie ihn nicht mehr geben wird. Einen, der mit 17 im Tennis so weit war wie andere nicht mit 30. Auch an jenem 7. Juli 1985 war das spürbar. Wie war das damals, Herr Becker, als Sie gegen Kevin Curren herausmarschierten auf den Centre Court? „Es gab ein gesundes Lampenfieber. Es gab Respekt vor dem Gegner. Aber ich hatte einfach das überwältigende Gefühl: Diese Mission ist noch nicht zu Ende, du musst dir jetzt holen, was dir gehört.“ Und was sagt der ältere Becker über sich und seine Beziehung zu Wimbledon, nach all den Jahren nun? „Es ist das Turnier, bei dem ich als Spieler geboren wurde, das meine Karriere definiert hat.“