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Unicef-Aktion „SOS aus den Trümmern“: Warten auf die Rückkehr ins eigene Heim

Unicef-Aktion „SOS aus den Trümmern“ : Warten auf die Rückkehr ins eigene Heim

Die Sonne sticht über diesem Stück endloser Geröllwüste des Nordirak. Die Luft flimmert in der Mittagshitze, es schmeckt nach Staub, die weißen Zelte der Vereinten Nationen heizen sich auf, baumelnde Wäsche gibt draußen einen Spalt Schatten. Die Stimmung ist schlecht im Flüchtlingslager Germawa – jedenfalls bei Basem Hamdullahl (37) und seiner Frau Ruwida Musa (32).

„Seit Wochen liegt unser Antrag zur Rückkehr nach Mossul der Camp-Leitung vor, aber nichts passiert“, schimpft der Vater.

Sein Dorf Telkef, ein Vorort der Großstadt, wurde gleich zu Beginn der Offensive im Sommer 2014 von der Terrormiliz Islamischer Staat eingenommen: „Wir hatten keine Chance, wir wurden alle vertrieben, weil wir genau auf der Frontlinie lagen. Jetzt warten wir seit über einem Jahr auf die Rückkehr, wir warten und warten“, fügt der 37-Jährige hinzu.

Wie 108 weitere Familien im Camp auch, genau 606 Personen, weiß Lagerleiter Binar Salim (26), der die Ungeduld der entwurzelten Menschen verstehen kann: „Aber es gibt nur grünes Licht, wenn die Sicherheitskräfte in der Heimat dieser Menschen alles freigegeben haben – vor allem die Sprengfallen beseitigt wurden.“

 Das Flüchtlingslager Germawa: Für viele Iraker ist das Lager nur eine Zwischenstation auf dem Weg zurück nach Mossul. Doch die Lage in der nordirakischen Stadt ist noch zu unsicher.
Das Flüchtlingslager Germawa: Für viele Iraker ist das Lager nur eine Zwischenstation auf dem Weg zurück nach Mossul. Doch die Lage in der nordirakischen Stadt ist noch zu unsicher. Foto: Silke Fock-Kutsch

Beschädigt, aber nicht zerstört

Das ist wohl in Telkef noch nicht der Fall. Wer jedoch seit vier langen Jahren tatenlos, ohnmächtig und frustriert, nur die Zeit in der Öde von Zeltlandschaften verbringt – dem sind derartige Bedenken schlicht egal: „Tatsache ist, dass wir daheim Felder haben und überleben können. Hinzu kommt, dass Unicef die ersten Schulen eröffnet hat und Zugang zu Wasser ermöglicht“, sagt Basem, der seine sechs Töchter zwischen vier und 13 Jahren über die Rückkehrpläne bereits informiert hat: „Sie haben getanzt vor Freude.“

Und jetzt quengeln sie. „Wann geht es los, heißt es jeden Tag“, berichtet der Vater, dessen Haus in Telkef „nur beschädigt und nicht zerstört“ ist – ein weiterer Antrieb zur raschen Heimkehr. „Man kann wohl darin wohnen, haben mir Leute gesagt“, meint Basem Hamdullah. Er will nur eines – weg von diesem zwar sicheren, aber trostlosen Ort. Nichts wie weg.

Warum nicht nach Deutschland? „Das kommt überhaupt nicht in Frage“, sagt er. Bis auf die beiden Jüngsten könnten sich alle Kinder an ihre Heimat erinnern: „Und hier liegt unsere Zukunft, nicht in Deutschland.“ Freunde von ihm seien in Hannover gelandet: „Aber von dort höre ich auch nicht nur gute Nachrichten, wie Flüchtlinge behandelt werden.“

Seine Ehefrau Ruwida hat derweil Tee gemacht. „So oft bekommen wir ja keinen Besuch“, sagt sie, und beide lächeln freundlich. 16 Euro bekam die Familie bis August monatlich pro Kopf – als Kredit direkt aufs Smartphone geladen, womit man sich im Camp mit dem Nötigsten versorgen kann. „Dann wurde der Betrag plötzlich halbiert“, schimpft Basem: „Die wollen uns hier nicht mehr haben, lassen uns aber auch nicht weg.“

 Ablenkung vom Alltag: Mohamed betätigt sich im Camp als Kleingärtner. So verarbeitet er seine schlimmen Erlebnisse. Der 13-Jährige musste mitansehen, wie seine Cousine erschossen wurde.
Ablenkung vom Alltag: Mohamed betätigt sich im Camp als Kleingärtner. So verarbeitet er seine schlimmen Erlebnisse. Der 13-Jährige musste mitansehen, wie seine Cousine erschossen wurde. Foto: Silke Fock-Kutsch

Trost findet der Familienvater in einem Umstand: „Immerhin kann ich sagen, dass in meiner Familie alle überlebt haben und niemand sterben musste.“ Schmunzelnd verfolgt er seine Töchter Hayer (13), Nuhar (11), Anwar (8), Huda (7), Manar (5) und Amal (4), wie sie zwischen den Zelten herumtoben. Ein stolzer Vater, obwohl er gerne zumindest einen Sohn haben würde. Daraus macht er keinen Hehl. „Aber am wichtigsten ist, dass wir alle leben und gesund sind“, sagt Basem mit Nachdruck. In der Tat: Eine Familie in dieser Region, die kein Todesopfer zu beklagen hat – das ist selten nach drei Jahren IS-Herrschaft und einem neun Monate währenden Befreiungskriegs.

Davon kann der 13-jährige Mohamed traumatisches Zeugnis ablegen. „Bei der Flucht aus Mossul schossen auf der Straße Scharfschützen des IS auf uns und trafen meine Cousine. Es war so schlimm, sie sterben zu sehen“, berichtet der Junge, dem wir im Flüchtlingslager Hasanshan begegnen.

Sein Vater Anwar, ein Unicef-Mitarbeiter, der sich um die Logistik von Wasserzuleitungen kümmert, hat uns mit diesem bemerkenswerten Jungen zusammen gebracht. Die Familie hat auf dem Geröllboden des Camps eine kleine Idylle rund um ihr Zelt geschaffen – Mohamed hat gar eine kleine Grünkultur entwickelt, sät und erntet sogar schon Zwiebeln und Kräuter.

Das älteste von fünf Kindern wirkt wie ein ständig Suchender, ein Junge, dem die Kindheit genommen wurde. Umso bewundernswerter ist es, mit welcher Unbefangenheit Mohamed sein neues Leben im Camp angeht. Befragt nach den schönen Dingen seines Lebens lacht er und sagt dann: „Zuerst Fußball. Dann Malen. Und am liebsten esse ich Dolma (Reis und Gemüse in Weinblättern Anm. d. Red.).“

Parallel zur Schule besucht der Junge auch das Unicef-Kinderschutzzentrum „Child friendly area“, in dem 20 Pädagogen, Sozialarbeiter und Psychologen die seelisch fragilen Kinder in einem gesicherten Spielraum begleiten – täglich werden 600 Mädchen und Jungen in diesem Camp betreut, in drei Schichten. „Das tut meinem Sohn sehr gut, er ist sehr wissbegierig und wird da stark gefördert “, sagt Vater Anwar, der sich auf weitere Monate mit seiner Familie im Lager eingestellt hat. „Die fehlende Sicherheit ist der Grund, warum für uns eine Rückkehr zu früh kommen würde“, sagt er. Die Familie lebte in der restlos zerstörten Altstadt von Mossul, die noch längst nicht frei ist von Minen. Zudem besteht fortwährend das Risiko, dass verdeckte IS-Zellen Anschläge verüben könnten. „Außerdem lebten wir zur Miete, wir hatten kein eigenes Haus“, erklärt Anwar und zuckt mit den Schultern.

Zuflucht in Kurdistan

Die karge Landschaft des Nordiraks ist mit Flüchtlingscamps schier übersät. Hunderttausende Iraker haben Zuflucht gesucht in Kurdistan, das ein ums andere Mal mit der Zentralregierung in Bagdad über Kreuz liegt – vor allem im Streit um die wichtigen Ölquellen im nördlich gelegenen Kirkuk.

Die Flüchtlingsströme verlaufen unterschiedlich. Viele kehren in der Tat zurück in die Ruinenstadt Mossul – andere bleiben in den Camps. Oder sie kehren gar in diese zurück, nachdem ihr Neustart in Mossul gescheitert ist. Bei 37 000 Menschen war dies bislang der Fall, sagt Hivog Etymezian, Sprecher des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR9.

Trotz der Tristesse, die im Camp herrscht, immer zu einem Spaß aufgelegt: die Schwestern Nuhar (rechts) und Huda.
Trotz der Tristesse, die im Camp herrscht, immer zu einem Spaß aufgelegt: die Schwestern Nuhar (rechts) und Huda. Foto: Silke Fock-Kutsch

Auch die kleine Malak bleibt vorläufig im Flüchtlingscamp. Das zehnjährige Mädchen lebt mit senen Eltern und fünf Geschwistern in einem ehemaligen Hühnerstall, in dessen Gebäude derzeit 50 weitere Familien ihren Lebensmittelpunkt haben. In einer ruhigen Minute erzählt Malak uns von früher, von ihrem Leben in der jetzt völlig zerstörten Altstadt von Mossul: „Ich erinnere mich, dass es schöner war, freier. Wir hatten einen großen Garten. Darin standen keine Bäume, aber viele Blumen. Wir hatten viel Platz und Spielzeug. Ich hatte sogar eine Spielküche. Und ich hatte viele Freunde“, erinnert sich Malak und Stolz schwingt in ihrer Stimme.

Die Hoffnung auf ein Wiedersehen dieser Kinderwelt ist bei ihrem Vater Ali Hamoud, einem ehemaligen Taxifahrer, kaum noch vorhanden. „Ich hatte mein altes Haus für 10 000 Dollar verkauft und ein neues Grundstück erworben, in das ich schon viel Arbeit rein gesteckt habe. Durch die Kontrolle des IS wurde alles teurer. Als die irakische Armee im Oktober 2016 angriff, bin ich mit meiner Familie geflohen.“ Sechs Dollar seien ihm noch geblieben, erzählt Vater Hamoud und weint. „Wovon soll ich zurückkehren?“

Da der Vater keine Arbeit hat, muss der 15-jährige Sohn Amar mithelfen. Zweieinhalb Dollar verdient er pro Tag, dafür arbeitet er von 6 Uhr morgens bis 22 Uhr abends in einem Gemischtwarenladen. Ali Hamoud sagt: „Unsere Zukunft ist verloren.“

Lesen Sie die nächste Folge unserer Unicef-Serie „SOS aus den Trümmern“ am kommenden Montag, 17. Dezember.