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Berichte aus Mossul: Sicherheit und Freiheit in Aachen

Berichte aus Mossul : Sicherheit und Freiheit in Aachen

Er kennt diese Straße, die da in Trümmern liegt. Die Apotheke, den Kebab-Grill, die Boutiquen, diese alte historische Häuserzeile, eine von unzähligen in der Altstadt von Mossul. Es ist seine Heimat. „So schlimm habe ich mir die Situation nicht vorgestellt“, sagt der 22-jährige Flüchtling Laith K.*, der in Aachen lebt.

Er hat unsere Unicef-Serie „SOS aus den Trümmern“ gelesen – „mit inneren Schmerzen und sehr besonderen Gefühlen“. Er habe „jede Trümmerstraße“ erkannt.

Viele Geflüchtete aus der einst so stolzen Metropole im Nordirak verfolgen in diesen Wochen die Kampagne unserer Zeitung mit dem Internationalen Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, auch der 32-jährige Sudad Sabah gehört dazu – und er sagt: „Die Reportagen entsprechen der Wahrheit, sie berichten authentisch, was dort los ist – auch weit über ein Jahr nach dem militärischen Sieg über die IS-Terroristen.“

Laith und Sudad heute, ein Leben zwischen zwei Welten. Gedanklich in Mossul, in Sicherheit aber nur hier, in Aachen. „Ohne sie gibt es keine Freiheit im Leben“, weiß Sudad. Unwirklich verschmelzen sich ihre Realitäten, gerade in letzter Zeit: „Euer Weihnachten ist so schön. Hier riecht es nach Tannengrün und Mandeln, bei uns nach Ruß und Trümmern. Hier die Lichter, Glühwein, schöne Musik – bei uns Entbehrung und Bedrohung“, sagen Laith, ein sunnitischer Moslem, und Sudad, ein Jeside. Und ja, sie spüren sie intuitiv, die Botschaft des christlichen Festes, die auch in ihrer Religion präsent ist – Frieden!

„Wenn ich mit Mama telefoniere, dann versucht sie mich zu beruhigen. Aber ich ahne ja, wie ihre Wirklichkeit ist – und dass sie mir viel verschweigt“, erzählt Laith, der ebenso wie Sudad seine Familie drei Jahre lang nicht gesehen hat. Mit dem Pseudonym Laith K. schützt sich der junge Mann, erkannt werden will er auch nicht – aus purer Angst vor dem langen Arm der Terrormiliz IS: „Sie ist auf der ganzen Welt präsent – in Deutschland auch, überall.“

Opfer der Terrormiliz

Und in der einstigen Kalifats-Hauptstadt erst Recht: „Die Miliz ist militärisch besiegt und trotzdem präsent, nur in anderen Strukturen“, weiß Laith, dessen Vater vom IS umgebracht wurde. Als hoher Beamter beim Bauamt hatte er sich der IS-Forderung nach Geld verweigert. „Danach flog sein Auto auf der Fahrt zur Arbeit in die Luft“, berichtet Laith.

Kurze Zeit später tauchten IS-Kommandos daheim auf, um den Sohn unter Druck zu setzen. Doch Laith war nicht zuhause, die Mutter warnte ihn telefonisch: „Komm nicht mehr nach Hause“, rief sie ihm zu. Der damals 19-Jährige erinnert sich: „Da bin ich mit Hilfe eines Nachbarn, eines Gemüsehändlers, sofort geflohen. Er versteckte mich auf seinem Pick-Up zwischen Kisten, brachte mich durch die Checkpoints, der IS erschoss jeden Flüchtling.“

Laith und Sudad kamen – unabhängig voneinander – im Herbst 2015 von der Türkei mit dem Boot nach Griechenland über die Balkanroute schließlich nach Aachen: „Zu Fuß, mit dem Zug, im Bus, Hauptsache unterwegs“, erinnern sie sich. Bekanntschaft schlossen sie und andere Flüchtlinge aus Mossul erst Anfang Dezember 2018 im Medienhaus bei unserer Unicef-Veranstaltung über ihre Heimat.

Als vom Völkermord bedrohter Jeside ist Sudad inzwischen längst anerkannter Asylbewerber, auch Ehefrau Israa durfte nachkommen. „Ich war nur noch auf der Flucht, habe am Ende in der Ukraine Zahnmedizin studiert, was aber leider in Deutschland nicht anerkannt wird“, berichtet der Mossuli, der in Aachen eine Praxis fand, in der er als Zahnarzthelfer arbeiten kann. Die deutsche Sprache beherrscht Sudad Sabah bereits sehr gut: „Natürlich möchte ich hier mein Studium nach deutschen Kriterien beenden.“

Laith, gebrochen, aber immer bemüht deutschsprachig und als Elektriker in einer dualen Ausbildung, wurde nur Schutzstatus zuerkannt – sein Asylantrag abgelehnt. „Seine Furcht vor Verfolgung oder einem ernsthaften Schaden“ sei nur „vage“ begründet, teilte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit. Der Antragsteller habe „eine persönliche Bedrohung nicht glaubhaft gemacht“. Laith hat dagegen Klage eingereicht. Fakt ist: Niemand in Mossul bezweifelt die latente Gefahr durch Racheakte, Attentate und Repressalien versprengter IS-Zellen. Zivilisten sind im fragilen Zusammenleben von Opfern und Tätern ständig Spitzeln, Misstrauen, Angst ausgesetzt – und erheblichen Risiken.

Bleibt die Frage, wie sich die beiden jungen Männer in ihrer neuen Heimat eingelebt haben. Sudad fühlt sich rundum wohl: „Ich bin zufrieden, wir sind sicher. Man muss in Deutschland Respekt vor dem Gesetz haben, dann kriegst du keine Probleme. Ich habe viele Kontakte.“

Laith stimmt ihm grundsätzlich zu, hat aber eine vollständig andere Wahrnehmung seiner Außenwirkung: „Es vergeht kein Tag, an dem ich in Aachen nicht irgendwann zu spüren bekomme, dass ich ein Flüchtling bin.“ Er sagt: „Meine Mutter ist ohne meinen Vater alleine und krank, ich würde gerne zurück gehen.“ Aber nicht mit der Todesangst.

*Name von der Redaktion geändert