Unicef eine Woche nach dem Beben : Jetzt gilt es, die Überlebenden zu retten
Aachen Eine Woche nach den Erdbeben in der Türkei und Syrien rückt die humanitäre Hilfe für die Überlebenden in den Vordergrund. Auch Unicef ist vor Ort. Unsere Leserinnen uns Leser haben bereits mehr als 140.000 Euro für die Erdbebenhilfe gespendet.
Knapp eine Woche ist es her, dass mehrere schwere Erdbeben die türkisch-syrische Grenzregion erschüttert und etliche Familien auf grausame Weise aus dem Schlaf gerissen haben. Häuser stürzten ein, ganze Straßenzüge und Dörfer wurden verwüstet. Tausende Menschen wurden unter den Trümmern begraben, verletzt oder getötet. Die Zahl der Opfer wuchs tagelang. Mittlerweile geht man von davon aus, dass sie auf 50.000 oder sogar mehr steigen könnte.
Mittlerweile haben Rettungsteams an vielen Stellen ihre Arbeit eingestellt: Die Hoffnung, noch Überlebende unter den Trümmern zu finden, geht inzwischen gen null. Derweil agieren zahlreiche Hilfsorganisationen wie Unicef in dem Katastrophengebiet.
Das Kinderhilfswerk hat noch am Tag der Erdbeben mit der Nothilfe für die betroffenen Familien begonnen und setzt jetzt mit verschiedenen UN-Partnern auf mittelfristige humanitäre Hilfe: Ziel sei es, die Grundversorgung der Kinder in den nächsten Wochen und Monaten sicherzustellen. Dabei stehen die Organisationen vor komplexen Herausforderungen: die Größe des Katastrophengebiets, die verschiedenen Akteure, und die politischen Spannungen in dem Gebiet sind nur ein paar Beispiele.
In vielen betroffenen Gebieten suchen Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, Zuflucht in Schulen, Moscheen oder anderen öffentlichen Gebäuden. Den Familien fehlt es an grundlegenden Dingen; sauberem Wasser, sicheren und warmen Schlafplätzen und Essen. Denn auch die öffentliche Infrastruktur wurde zum Teil stark beschädigt oder zerstört. Die Notunterkünfte wiederum sind überfüllt, was die Gefahr birgt, dass sich Krankheiten schnell ausbreiten.
Viele gerettete Kinder benötigen derzeit medizinische Hilfe, weil ihre Wunden und Knochenbrüche behandelt werden müssen. Doch medizinische Teams und Hilfsgüter sind längst nicht überall angekommen.
Wie Unicef in der Türkei hilft
31.300 Menschenleben haben die Erdbeben nach aktuellen Schätzungen in den zehn betroffenen Provinzen der Ost-Türkei gefordert, berichtet die Katastrophenschutzbehörde AFAD am 13. Februar. In dem Gebiet leben insgesamt 13,3 Millionen Menschen, darunter etwa 3,5 Millionen Mädchen und Jungen. Derzeit befinden sich nach jüngsten Unicef-Angaben 1,1 Millionen Menschen in Notunterkünften.
Gemeinsam mit der Regierung des Landes und den Behörden für Katastrophen- und Notfallmanagement stimmt Unicef Maßnahmen ab: gemeinsam wird entschieden, welcher Bedarf besteht, und welche Maßnahmen in Sachen Kinderschutz, Bildung, Wasser, Hygiene und Ernährung nun schnellstmöglich angeschoben werden müssen.
So hilft Unicef beispielsweise dabei, bestehende öffentliche Einrichtungen vorübergehend als Notunterkünfte und Verteilstationen von Hilfsgütern umzufunktionieren. Außerdem hat das Kinderhilfswerk auf Bitten der Behörden Winterkleidung für Babys und Kleinkinder, Hygienepakete, Decken und vieles mehr zur Verfügung gestellt. Filippo Mazzarelli ist Leiter des Unicef-Länderbüros in der türkischen Stadt Gaziantep: „Wir haben vom ersten Tag an mit Hilfsgütern unterstützt. Wir haben ein großes Warenlager und konnten so bereits 10.000 Hilfsgüter mobilisieren, darunter Winterjacken, Hygiene Sets und andere lebenswichtige Dinge. Aber das ist nicht das einzige, was Kinder jetzt brauchen: Mit der Zerstörung wichtiger Dienste zur Grundversorgung, werden Kinder zunehmend verletzlich.“
Bislang liegen keine verifizierten Zahlen vor, aber Unicef geht davon aus, dass tausende Kinder zu Waisen wurden: Andere finden in den Wirren der Katastrophe ihre Familien nicht mehr. Diese Kinder sind derzeit besonders schutzlos und gefährdet: “Wir unterstützen die Behörden bei den Bemühungen, Familien ausfindig zu machen. Sobald die betroffenen Kinder identifiziert sind, beispielsweise während der anhaltenden Suchaktionen oder in Krankenhäusern, werden sie zu den zuständigen behördlichen Anlaufstellen in ihrer Region gebracht. Dort erhalten die Kinder durch geschulte Teams sofort psychosoziale Unterstützung und die Suche nach der Familie startet.“
Die komplizierte Lage in Syrien
Die Lage im Norden Syriens ist ungleich komplizierter und auch für die Hilfsorganisationen eine große Herausforderung: Nach fast zwölf Jahren Bürgerkrieg sind viele Familien hier verarmt und erschöpft, zahlreiche von ihnen bereits mehrfach vertrieben und leben in Flüchtlingscamps in der Region. Auch eine Woche nach dem Beben gelange nur wenig Hilfe in die nicht von der syrischen Regierung betroffenen Gebiete. „Die UN haben 52 Transporte von Hilfsorganisationen in das Gebiet durchgeführt“, heißt es in einem Unicef-Schreiben. Der Bedarf wird in den kommenden Wochen noch ungleich höher sein.
Die Kinder in Nordsyrien - viele davon Binnenflüchtlinge - sind ohnehin nicht ausreichend ernährt und in keinem guten gesundheitlichen Zustand. Die Expertinnen und Experten von Unicef befürchten nun die Ausbreitung von Krankheiten, wenn es an sauberem Wasser mangelt und die Menschen dicht an dicht in Notunterkünften leben müssen. Schon vor der Naturkatastrophe hatten die Kinder und Familien nämlich bereits mit einem Ausbruch von Cholera zu kämpfen. Ganz abgesehen von den starken Regen- und Schneefällen, die nun die Sicherheit der Menschen gefährden.
Angela Kearney erlebt die Not der Menschen. Sie leitet das Unicef-Büro in Syrien und hält sich derzeit in Aleppo auf: „Die Menschen erleben eine Tragödie in der Tragödie mitten im Winter in einem Land, in dem seit Jahren Krieg herrscht. Der Bedarf an Hilfe ist überwältigend.“
Ein kleiner Lichtblick ist, dass das Kinderhilfswerk Unicef schon seit Jahren humanitäre Hilfe in dem Gebiet leistet und dementsprechende Strukturen bereits bestehen. Ziel sei es zunächst vor allem, sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, und auch Zugang zu sanitären Einrichtungen zu ermöglichen. Gleichzeitig versuche man, so schnell wie möglich ausreichend proteinreiche Nahrung aber auch medizinische Hilfsgüter in die Region zu bringen. In Aleppo beispielsweise konnten schon 12.000 Menschen mit Hygienepaketen und Wasser versorgt werden. Auch verteilt Unicef Tabletten, um Wasser aufzubereiten, damit sich Krankheiten nicht weiter ausbreiten können.
Aber in Syrien und der Türkei geht es für die Kinder längst nicht mehr nur darum, Knochenbrüche zu heilen, und einen Schlafplatz zu bekommen: Viele von ihnen sind durch die Erlebnisse des Erdbebens schwer traumatisiert. Sie brauchen dringend auch psychosoziale Betreuung, die Unicef unmittelbar ermöglicht: „Die Erfahrung der letzten Tage bringt die Erinnerungen an die schlimmsten Tage des Krieges zurück“, sagt Eva Hinds, Sprecherin von Unicef Syrien.
„Wir haben noch keine endgültigen Zahlen aber wir fürchten, dass Tausende Kinder in ihr Leben verloren haben. Für die Überlebenden ist psychosoziale Hilfe jetzt sehr wichtig nicht nur sauberes Wasser. Wir sind hier für die Kinder da. Wir rufen alle und jeden auf jetzt zu helfen. Wenn es jemals eine Zeit gab, Kindern zu helfen, dann jetzt.“