Aus anderer Sicht : Europa zahlt „Lösegeld“
Meinung Nur für Zyniker tröstlich: Das Europa der Konzerne funktioniert noch auf Lesbos. Der „Lidl“ der Hafenstadt Mytilini, dessen Logo im Umfeld des neuen Flüchtlingslagers Kara Tepe wie eine kranke Sonne wirkt, ist gut frequentiert – von Migranten, die dort ihre paar UNHCR-Euro lassen.
Als sie nach dem Brand in Moria, dem größten und inhumansten Flüchtlingslager Europas, zehn Tage lang unter freiem Himmel auf dem Parkplatz des Supermarktes campierten, war der Laden zu. Und drinnen vergammelten die Lebensmittel.
Die absurde Episode spiegelt stellvertretend die Herausforderung Europas: Im Hotspot seiner gescheiterten Flüchtlingspolitik, Humanität und Ordnung zusammenzuführen. Darauf warten die Vertriebenen, von Krieg, Folter, Flucht und Todesängsten auf nächtlichen Bootsfahrten gezeichnet. Aber auch die im Grunde so gastfreundlichen griechischen Insulaner, die unvermittelt in die Mühlen der Weltpolitik gerieten. Seit 2016 ist nichts für sie mehr so, wie es einmal war.
Europas Werte scheinen in Moria in Flammen aufgegangen zu sein. Tag für Tag werden UN-Kinderrechte auf Schutz, Förderung und Gesundheit verletzt, auch geltendes EU-Recht. Etwa das auf Bildung – spätestens drei Monate nach Asyl-Antragstellung. Fakt ist aber: Nur drei Prozent der Migrantenkinder sind auf den griechischen Inseln eingeschult. Asylanträge werden zum Teil jahrelang verschleppt. Anerkannte Asylanten erhalten kein Geld mehr. Abschreckung pur. Und: Das ausgeblutete Griechenland ist restlos überfordert.
Und Europa, überspitzt gesagt, zahlt „Lösegeld“ fürs Wegschauen. 2,6 Milliarden Euro flossen seit 2016 nach Athen, zuletzt im März 700 Millionen, als Erdogan einen neuen Schub Migranten durchließ, auch um den ohnehin verhassten europäischen Nachbarn weiter zu destabilisieren.
Es gibt keine einfache Lösung. Alle in Deutschland und anderswo aufnehmen? Geht nicht. Dann würden auch Lager auf den anderen Inseln brennen, wenn Feuerlegung belohnt wird. Auch losgelöst davon hätte das Signal fatale Wirkung für nachfolgende Ströme. Zwangsläufig aber sollte die EU – nicht nur mit Frontex – Griechenland vor Ort enger zur Seite stehen, Verantwortung übernehmen, Verfahren straffen, vulnerable Flüchtlinge differenzierter behandeln, deren Aufnahme in bereitstehende Kommunen gezielt forcieren. Allein in Deutschland sind dies 170.
Das Fatale ist nur, trotz neuem EU-Migrationspakt: „Es gibt im Grunde keine europäische Migrationspolitik.“ O-Ton Angela Merkel.