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Unicef auf Lesbos: Ein teuer bezahltes Martyrium

Unicef auf Lesbos : Ein teuer bezahltes Martyrium

Nach dem Feuerinferno im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos ist die Lage laut Unicef „durchweg friedlich“. Unsere Zeitung unterstützt die Arbeit des UN-Kinderhilfswerks.

Drei Wochen nach dem Feuerinferno im Flüchtlingslager Moria bleibt die Lage auf der griechischen Insel Lesbos angespannt. Für unsere demnächst startende Unicef-Aktion „Nie mehr Moria! Helft den Kindern jetzt!“ ist unsere Zeitung in diesen Tagen vor Ort. Derweil installiert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen im neuen Camp vor der Hafenstadt Mytelini in Windeseile 40 Zelte mit kindergerechten Angeboten und betreut unbegleitete Mädchen und Jungen, viele von ihnen unter 14 Jahre.

Die aktuelle Situation: Rund 2000 Migranten werden in diesen Tagen aufs griechische Festland gebracht, allein 700 in den vergangenen beiden Tagen. Viele entwurzelte Menschen streunen nach dem Brand immer noch durch die Wälder, Berge und Olivenhaine der drittgrößten Insel des Landes (70 mal 50 Kilometer). Sie fürchten eine neuerliche Kasernierung und Ansteckung mit dem Coronavirus, 243 Infizierte sind mit ihren Familienangehörigen in den neuen Unterkünften des Camps aktuell in Quarantäne. Dort haben bislang insgesamt 8500 einstige Moria-Insassen Aufnahme in 1060 Zelten am Ufer der Ägäis gefunden.

Ihnen droht bald eine harte Jahreszeit. Erddeiche werden derzeit zum Schutz vor den im Winter zu erwartenden hohen Wellen aufgeschüttet; Lesbos ist bekannt für seine starken Winde und nasse, salzhaltige Kälte, die in die Glieder zieht. Immerhin sind die in Moria extremen Gewalttätigkeiten mit fast täglichen Messerstechereien auf engstem Raum (sechs Tote seit Jahresbeginn) zurückgegangen. „Die Situation ist durchweg friedlich“, bestätigt Unicef-Sprecherin Olga Siokou-Siova. Mit besserer Belegungsstrategie sind kulturell unterschiedliche Gruppierungen sowie die große Anzahl von Familien hier und junger Männer dort getrennt untergebracht. Die Zahl neu ankommender Flüchtlinge auf der Insel geht inzwischen erheblich zurück. Während im Vorjahr 30.000 Menschen nach Lesbos kamen, waren es bislang lediglich 1000.

Viele Griechen fühlen sich verdrängt

Dennoch nehmen die Spannungen mit der griechischen Bevölkerung, die auf Lesbos traditionell links geprägt ist, zu. Deren sprichwörtliche Gastfreundschaft ist vielfach längst aufgebraucht. Rechte Kräfte machen zunehmend mobil. Unzählige der knapp 90.000 Inselbewohner mussten insbesondere im erlahmenden Tourismus Pleiten und Einbußen hinnehmen.

Zudem liegt das neue Camp erheblich näher an der Inselmetropole Mythelini als Moria. „Das hat zur Folge, dass die Flüchtlinge zuhauf die umliegenden Supermärkte und Parks bevölkern und sich die Griechen verdrängt fühlen“, sagt die Lesbotin Wulla Petrou, die in Aachen zur Krankengymnastin ausgebildet wurde. Die Migranten erhalten pro Kopf in der Regel 75 Euro durch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR.

„Dabei ist Streit völlig überflüssig. Denn ein gemeinsames Ziel verbindet Bewohner und Geflüchtete: Kein Migrant will auf der Insel bleiben – genau das, was die Bevölkerung auch will“, heißt es bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM).

Im Gespräch mit zahlreichen vertriebenen Familien offenbart sich deren verzweifelte Situation. „Alle unserer Habseligkeiten sind verbrannt“, berichtet ein pakistanischer Familienvater, der mit seiner fünfjährigen Tochter durch das verkohlte Moria läuft, um zwischen verbogenem Wellblech, abgebranntem Holz und Müllbergen nach Verwertbarem zu suchen – und immerhin fünf Stifte, zwei Kinderpullover und ein paar Hemden findet.

„Ich kann so gut wie nicht mehr schlafen“, weint eine iranische Mutter, die alleine mit ihrem vierjährigen Sohn auf der Flucht ist. Ihr Martyrium muss sie teuer bezahlen. 1750 Euro kostete die zierliche Frau die Flucht aus der Heimat in die Türkei, weitere 1200 Euro verlangten Schleuser für die lebensgefährliche Bootsfahrt nach Lesbos. Und in den elf Monaten ihres Aufenthaltes in Moria wurde sie zudem missbraucht.