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Unicef-Aktion „Nie wieder Moria“: Das Leiden einer jungen Mutter

Unicef-Aktion „Nie wieder Moria“ : Das Leiden einer jungen Mutter

Die Familie ihres gestorbenen Mannes hat sie bedroht und aus dem Kongo vertrieben. Elsie Lisimo begibt sich auf die Flucht – und strandet mit ihrem Kind auf der Insel Lesbos.

„Schauen Sie, das ist der Abdruck meines Eherings“, zeigt Elsie Lisimo ihren Finger und streichelt die Stelle wie eine Spur der Erinnerung an ihren gestorbenen Mann. Ihr Gesicht ist umrahmt von einem Kunstwerk dicht geflochtener, schwarzer langer Haare. Sie blickt schüchtern über ihren Mundschutz: Aufmerksam hört sich die 29-jährige Mutter unsere Fragen an. Ihre dreijährige Tochter Roxannetta sitzt auf ihrem Schoß. Nach und nach beginnt die Kongolesin zu berichten – und gibt Einblicke in ein Leben in der von Krieg, Gewalt und sexuellem Missbrauch geprägten Heimat.

Ein schmerzhafter Tod

 Wir erfahren, wie Elsie Lisimo in Kinshasa jäh aus ihrem gewohnten Familienleben herausgerissen wurde, als ihr Mann plötzlich an Krebs erkrankte und schließlich starb. Immer wieder bricht die Frau beim Erzählen in Tränen aus: „Sein Bauch fühlte sich so hart an. Wir haben es zuerst mit traditioneller Medizin versucht. Aber das half nicht. Im Krankenhaus haben sie ihn nicht mehr operiert. Der Krebs hatte ihn völlig verändert. Die Ärzte konnten ihn nur noch ruhigstellen.“ Elsie tröstete ihre Mann und begleitete ihn auf seinem schmerzhaften Weg in den Tod.

Es sollte ein weiterer, unerwarteter Schock folgen. „Meine Schwiegermutter und der jüngere Bruder meines Mannes waren davon überzeugt, dass ich ihn vergiftet habe“, berichtet Elsie. „Ich wurde massiv von ihnen bedroht, und ich selbst habe keine Familie. Mir blieb nur die Flucht.“ Gemeinsam mit der damals gerade zweijährigen Tochter verließ Elsie den Kongo. „Ein Freund meines Mannes half mir und bezahlte den Flug in die Türkei“, erzählt sie weiter. Doch vom Terminal in Istanbul ging es für Mutter und Kind zu nächst einmal wieder auf die Straße.

Was es für allein fliehende Frauen – und gerade Mütter – bedeutet, ohne den Schutz einer männlichen Begleitperson auf der Straße zu leben, ist kein Geheimnis. Elsie macht im Gespräch ihre Erinnerungen an die Bedrohung und Gewalt, die sie in dieser Zeit erfahren hat, von sich aus nicht zum Thema. Im Gegenteil: „Viele haben uns auch geholfen. Aber ich fand keine Arbeit, keinen Platz zum Schlafen. Also mussten wir weiter, nach Griechenland“, berichtet sie. Aber mittellos? Beschämt und traurig blickt Elsie jetzt wieder auf den Abdruck ihres Eherings. „Der Schmuggler fragte mich, was ich noch besitzen könne. Der Ring war das Einzige.“ Und wieder kommen ihr die Tränen. Mit Schaudern erinnert sie sich an die nächtliche Fahrt in einem Schlauchboot „mit 20 anderen Frauen, Männern und Kindern“. Schließlich landeten Elsie und ihre kleine Tochter in Moria.

Wie ein Labyrith

Nach dem Brand im Flüchtlingslager wurde sie von Unicef auf der Straße aufgegriffen und in dem Schutzzentrum „Tapuat“ untergebracht, gemeinsam mit 76 anderen Frauen und 121 Kindern – erstmals seit langer Zeit in Sicherheit: „Das ist ein gutes Gefühl, das Wichtigste überhaupt“, sagt sie.

„Aber ich fühle mich wie in einer Falle. Ich kenne niemanden hier…Ich spüre keine Solidarität...Hier kämpft jeder für sich“, erzählt sie bruchstückhaft. Elsie schüttelt den Kopf: „Ich will im Grunde nur eines: einen Platz, an dem ich mit meiner Tochter leben kann. Etwas Sicheres.“ Sie sei stark, sagt sie. Und da bricht es plötzlich aus ihr heraus. „Ich kann arbeiten, bin zehn Jahre zur Schule gegangen und habe früher kleine Kinder unterrichtet. Da werde ich doch wohl irgendwo gebraucht werden können?“ 

Elsie wirkt besonnen nach dem Gespräch. Beim Abschied begegnen wir ihrer Mitbewohnerin Naty, sie ist ebenfalls Kongolesin. Die 32-Jährige ist mit drei Kindern in Unicef-Obhut gekommen. In der Heimat hatte sie sich als Kind auf der Straße durchgeschlagen müssen. Elsie und Naty, zwei Frauen in „Tapuat“, was in der Sprache der  Hopi-Indianer soviel wie  „Labyrinth“ bedeutet. Auch für das Leben dieser beiden Mütter ist dieser Begriff sprichwörtlich: Lange genug sind sie herumgeirrt, sind weiter auf der Suche nach dem Ausweg. Nun sind sie auf der Schwelle nach Europa.