Chania : Keine Krise für Kostas: Mit dem Geländewagen durch Kretas Hinterland
Chania „Wir haben heute einen schönen Tag”, sagt Kostas Fragkiadakis. Es ist nicht klar, ob das eine Feststellung oder eine Prognose ist. Der Grieche, 40, setzt sich hinter das Steuer seines Land Rovers, es soll ins Hinterland von Kreta gehen, hinauf in die Berge. „Wir machen immer viele Späße”, sagt er zur Reisegruppe in seinem Wagen. „Die Urlauber wollen ihre Sorgen zu Hause lassen.”
In Griechenland eskaliert gerade die Schuldenkrise, das Land ist bankrott - Kostas sorgt sich um das Gemüt seiner deutschen Gäste. Die Fahrt startet außerhalb von Chania, im kleinen Ort Kolymvari. Auf dem Weg ins Innere der Insel fallen die vielen Olivenbäume ins Auge - für den deutschen Besucher fast schon ein Symbol für Griechenland. Kostas kümmert sich im Winter um den Hain seiner Familie, die Ernte geht von Ende November bis Mitte Februar. „Schwerstarbeit”, sagt der Grieche in gutem Deutsch - er ist in Krefeld geboren. Für ihn bedeutet das kein schlechtes Auskommen: im Winter die Oliven, im Sommer die Touristen.
Erstes Ziel der heutigen Tagestour ist eine kleine Schlucht. Dort stehen viele alte Steineichen, der Oleander blüht. In der Luft schweben Gänsegeier, gleich vier Exemplare drehen Kreise vor dem wolkenlosen Himmel. Doch die Szenerie rückt schnell in den Hintergrund - unweigerlich kommt das Gespräch auf die Krise in Griechenland zu sprechen.
Die Politik, das ist für Kostas nur ein großes „Blabla” - das vorneweg. Er kümmere sich vor allem um seine Familie, für alles andere habe er gar keine Zeit. Aber betrifft ihn die Krise gar nicht? „Wenn keine Touristen kommen, dann ist Krise”, sagt Kostas. „Wenn im nächsten Jahr keine Urlauber kommen, dann habe ich nämlich keine Arbeit.” In diesem Sommer seien allerdings mehr Gäste aus dem Ausland gekommen als im vergangenen Jahr. Noch ist der Tourismus eine stabile Säule der griechischen Wirtschaft. Das gilt besonders für Kreta. Die Insel hat keine Industrie, aber Sonne und Strände. Und Oliven.
Der Geländewagen verlässt die Schlucht. Was hier alles wächst! Walnüsse, Orangen, Granatäpfel, Kaktusfeigen, Quitten. „Jede Familie hier hat einen Garten”, sagt Kostas. Das sieht für die ungeschulten Augen des Urlaubers wunderbar pittoresk aus. Doch die Situation auf dem Land ist schwierig: „Viele Dörfer sind fast leer.” Die jungen Leute gingen in die Städte, die Alten blieben zurück.
Einen beschaulichen Eindruck jedenfalls macht auch das kleine Dorf Palea Roumata. Dort steht ein Denkmal, das an die Opfer des Zweiten Weltkrieges erinnert. Eine Wandzeichnung zeigt griechische Bauern, die mit Steinen und Äxten auf deutsche Soldaten losgehen. Andere Steinplatten erinnern etwa an den Griechisch-Türkischen-Krieg.
Die Reisegruppe sucht ein kleines Kafenio auf, das einer gastfreundlichen griechischen Familie gehört. Sohn Andreas zückt eine Laute und spielt ein traditionelles Volkslied für die Gäste. Es besagt in etwa Folgendes: „Tausend Willkommensgrüße für dich. Wir wissen, dass es eine Mühe war, hierherzukommen. Mit deinem Besuch hast du uns deine Ehre erwiesen.” Vater Giorgos lächelt.
Seine Ehefrau sagt bestens gelaunt: „Es sind gerade schlechte Zeiten.” Sie wisse nicht, was kommen wird. Aber: „Die Hoffnung stirbt zuletzt.” Diese Krise, die Europa gerade aufwühlt, hat hier in Palea Roumata eher den Charakter eines Hintergrundrauschens, das schon lange existiert und mit dem man sich irgendwie abgefunden hat. Oben in den Bergen vergisst der Urlauber dann völlig, dass gerade in dramatischen Sitzungen um die Zukunft des Landes gerungen wird.
Die Serpentinen schlängeln sich den Berg hoch, Leitplanken gibt es genauso wenig wie Asphalt. Aber alte Kastanien stehen am Wegrand und spenden etwas Schatten. Mediterraner Ginster überzieht die ansonsten eher trockenen Berghänge mit gelben Blüten. Mittlerweile hat der Wagen die 1000 Höhenmeter überschritten. Ganz oben besichtigt die Gruppe die Kapelle des Heiligen Yannis, errichtet 1873. Von hier hat man eine großartige Fernsicht, der Horizont verläuft blass im Himmel.
Unten im Tal im Dorf Sempronas, das genauso heißt wie die Berge hier, wartet in einer Taverne eine üppige Mahlzeit: Antikrynós, was soviel heißt wie „Von Angesicht zu Angesicht”, eine traditionelle Mahlzeit auf Kreta. Dabei wird das Fleisch seitlich eines offenen Feuers an einem Metallgitter befestigt und lange gebraten. Dazu gibt es Raki, der anders als der Ouzo nicht aus Anis, sondern aus Traubenresten hergestellt wird. Gleich fünf Sorten stehen auf dem Tisch.
Kostas verkneift sich den Schnaps, er muss die Gäste wieder zurück zur Küste fahren. Und kommt doch noch einmal auf die Lage des Landes zu sprechen. Sein Freund sei Arzt. In Dubai verdiene er nun 5000 Euro im Monat, in Heraklion waren es vorher gerade einmal 1150 Euro. „Das ist die Krise.” So wie sein Freund machten es viele Griechen: „Sie gehen nach Amerika, Australien und Europa”, sagt Kostas, so als sei Griechenland kein Teil dieses Kontinents. Und so als sei das irgendwie auch schon in Ordnung.
Info-Kasten: Kretas Hinterland
Anreise: Mit dem Flugzeug von verschiedenen deutschen Flughäfen nonstop nach Heraklion oder Chania auf Kreta.
Reisezeit: Die Saison geht von April bis Oktober. Im Hochsommer wird es sehr heiß, auf den Bergen ist es etwas kühler.
Ausflüge: Touren mit dem Geländewagen werden von den größeren Städten an der Küste aus von unterschiedlichen Agenturen angeboten. Es gibt Tagesausflüge und Trips mit Übernachtung.
Geld und Versorgung: Durch die Finanzkrise in Griechenland ist Bargeld derzeit knapp. Urlauber können zwar weiter an Automaten mit ihren Kreditkarten Geld abheben. Das Auswärtige Amt rät jedoch, ausreichend Bargeld mitzunehmen.
Informationen: Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, Holzgraben 31, 60313 Frankfurt am Main (Tel.: 069/257 82 70, E-Mail: info@visitgreece.com.de, www.visitgreece.gr).