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Schladming: Die Freiheit jenseits der Piste: Tourengehen wird immer beliebter

Schladming : Die Freiheit jenseits der Piste: Tourengehen wird immer beliebter

Links-rechts, links-rechts. So soll es hinaufgehen, in ruhigen Schritten durch den Schnee auf den Gipfel der Hinteren Gullingspitze. „Der Aufstieg ist das Faszinierende”, hat der Bergführer Willi Seebacher eben noch gesagt. „Dieses Gleichmäßige hat was Meditatives.”

Doch dies ist unsere erste Skitour, und immer wieder rutschen wir beim Queren des Hangs im lockeren Schnee seitlich ab. „Nicht auf den Kanten gehen, sondern auf den Fellen”, rät Willi. Daran, dass die fleeceähnlichen Streifen unter den Tourenskiern einen fast von alleine am Hang halten, muss man sich erst einmal gewöhnen.

Dass man sich bei den ersten Tiefschneeschwüngen wieder fühlt wie am ersten Tag jenseits des Idiotenhügels, haben wir schon bei der ersten Abfahrt aus dem Skigebiet Planneralm hinaus gemerkt. Für solche ersten Tourenerlebnisse sind die sanften Grate und Gipfel der Weststeiermark ideal. „Hier ist das Tourengehen feiner als in Tirol”, sagt Willi, ein gebürtiger Schladminger, der seit 15 Jahren vor allem in Osttirol arbeitet. „Die Berge sind weniger steil, weniger schroff, die Lawinengefahr ist geringer.”

Die Region Schladming-Dachstein - vom Dachstein im Westen über den Naturpark Sölktäler bis zur Planneralm im Osten - ist auch bei fortgeschrittenen Tourengehern sehr beliebt. Gerade der östliche Teil ist für seinen guten Naturschnee bekannt und nicht überlaufen. Beschneite Pistenautobahnen und Après-Ski-Rummel sucht man hier vergebens.

Wobei Tourengehen heute längst nicht mehr nur eingefleischten Bergfexen vorbehalten ist: In manchen Regionen kommt nach Angaben des Deutschen Alpenvereins schon ein Tourengeher auf zehn Pistenskifahrer, überall bieten Skischulen Einführungskurse für jene an, die rote und schwarze Pisten bereits problemlos meistern und nun auf der Suche sind nach neuen Herausforderungen. „Früher machten es nur die Cracks, heute wird es immer mehr Breitensport”, sagt Willi Seebacher. Dennoch habe die Zahl der Lawinenunglücke abgenommen: „Weil die Ausrüstung immer besser wird und das Internet es immer einfacher macht, sich über die Wetter- und Lawinenlage zu informieren.”

Vorbereitung ist alles - der Berg verzeiht keine Fehler

Der Respekt vor den Schneemassen ist ein ständiger Begleiter des Tourengehers - der Berg verzeiht keine Fehler: Nicht, wenn man trotz Lawinenwarnstufe drei oder vier von fünf unbekümmert ins Gelände geht, nicht, wenn man gedankenlos die meist gefährdeteren Nordhänge quert, nicht, wenn man das Lawinenverschütteten-Suchgerät (LVS) oder die Lawinenschaufel zu Hause vergisst.

Abseits der Piste bewegt man sich im unkontrollierten alpinen Gebiet, weshalb zu jedem Einführungskurs im Tourengehen eine Lawinenschulung gehört. „Selbst Leute, die 50 Touren im Jahr gehen, sind oft schlecht ausgerüstet und wissen nicht, was man im Notfall macht”, hat Willi am Vortag bei unserer Schulung erzählt. Er selbst geht fast jeden Tag und ist natürlich, so sagt er zumindest, immer perfekt auf den Notfall vorbereitet: hat Lawinen- und Wetterbericht gecheckt, ein LVS dabei, das piepsend anzeigt, wo unter einer Lawine sich ein Verschütteter befindet, eine Sonde, mit der der Verschüttete im Schnee ertastet werden kann, eine Lawinenschaufel, um ihn zu bergen, einen Biwak-Sack, der den Geretteten wärmt.

„Das alles muss man auf jede Tour mitnehmen, egal wie kurz”, sagt der Bergführer, „so wie man sich bei jeder Autofahrt anschnallt”. Und so tragen wir auf der Tour zur Hinteren Gullingspitze volle Rucksäcke auf dem Rücken und LVS unter der Jacke, auch wenn gerade Lawinenwarnstufe eins bis zwei besteht und in dem spärlichen Schnee die Gefahr, auf einen Felsen zu fahren, weitaus größer ist als die, in eine Lawine zu geraten.

Allmählich stellt es sich ein, dieses meditative Gefühl des Aufstiegs

Zum Einsatz kommt das Equipment erst am nächsten Tag am höchsten Punkt der Steiermark, dem Dachstein. Bergführer Herbert Raffalt, der im nahen Haus im Ennstal eine Alpinschule betreibt, hockt in der Nähe der Seefelder Schutzhütte im Schnee, eine Schaufel in der Hand, hinter ihm ragt der 2.995 Meter hohe Gipfel des Hohen Dachsteins schroff empor. Ein kleines Teilstück der beliebten Dachstein-Überquerung - mit 25 Kilometern Länge eher Erfahrenen vorbehalten - haben wir hinter uns gebracht.

Neben Herbert steckt eine lange dünne Stange im Schnee, die anzeigen soll, wo ein Verschütteter liegt. „Das Sondieren”, sagt Herbert, „ist deswegen so wichtig, weil ich, wenn ich einen halben Meter daneben liege, vier Meter runtergraben könnte, dabei liegt derjenige längst neben mir.” Zu der Stelle hingeführt hat ihn sein LVS, das mit lauter werdendem Piepen und digitaler Richtungsanzeige den Weg zu dem anderen Gerät im Schnee gewiesen hat. Im Ernstfall hätte er natürlich schon beim Lawinenabgang darauf geachtet, wo der Kamerad verschwunden ist, und als erste Maßnahme die Bergrettung angerufen. „Das will geübt sein, da darf man nicht mehr nachdenken müssen”, sagt er. „Mit meiner Frau übe ich das vor jedem Winter.” Trotzdem lasse er sie immer zuerst in den Hang fahren - „einfach weil ich sie leichter finde”.

An diesem Nachmittag fahren wir mit dem Gefühl wieder ab, dass wohl noch viele, viele Touren folgen sollten, bevor wir unsere Lawinentauglichkeit selbst auf die Probe stellen. Bei der letzten Tour, hinauf auf die Gumpenalm im Naturpark Sölktäler, halten wir uns an einen verschneiten Forstweg, der lawinentechnisch so sicher ist wie eine präparierte Piste. Und während es mal steiler, mal weniger steil hinaufgeht, stellt sich allmählich dieses meditative Gefühl ein, von dem Willi gesprochen hat: Links-rechts, links-rechts. Der Schnee knirscht harschig, die Tourenschuhe knirschen leise mit. Durch das Grün blitzen einige Sonnenstrahlen. Links-rechts, links-rechts, der Schnee, der Berg und die Natur. Und sonst nichts.