Das Comeback der 90er-Mode : Von der Kapuze bis zur klobigen Sohle
Interaktiv Köln Klobige Sportschuhe, überweite Kapuzenpullover und beißende Neonfarben - die Mode der 90er ist 2019 wieder angesagt. Wer dem nacheifern möchte, sollte die alte Outfits aber nicht komplett kopieren.
In den 90ern wurde modisch rebelliert. Jeans waren zerrissen, die Hosen weit und tiefsitzend. Harte Kontraste wie das Schwarz-weiß-Muster oder die Kombination mehrerer knalliger Farben zogen die Blicke der Betrachter an. Das alles schien überwunden – und ist nun doch zurück. Warum? Und wie?
„Das Comeback der 90er definiert sich über eine radikale Veränderung der Silhouette – von ganz eng zu ganz weit“, sagt Carl Tillessen vom Deutschen Modeinstitut in Köln. Es geht der heutigen Jugend in erster Linie um das Verhältnis zum Körper, das ein anderes ist als das Körpergefühl der vorherigen Generationen. „Man hat versucht, sich von der Freizügigkeit und Übersexualisierung der Erwachsenen abzugrenzen.“
Dafür eignen sich viele Kleidungsstücke der 90er Jahre gut. Denn Pullover, Shirts und Hosen waren fast übergroß. Und man mag sich nur an die sogenannten Mom-Jeans erinnern, deren Bund bis mindestens zum Bauchnabel reichte. Das Ziel ist zudem ganz bewusst der schlechte Geschmack, „bad taste“ also. „Junge Leute besorgen sich auf dem Flohmarkt gezielt Sachen, die einen geschmacklichen Tabubruch bedeuten“, sagt Tillessen.
Die Branche springt auf und produziert wieder viele Kleidungsstücke im 90er-Stil – etwa Sneaker mit markanten dicken Sohlen. „Manche Schuhe sehen aus wie Traktorreifen“, nennt Antje Drinkuth, Studiendekanin der AMD Akademie Mode & Design in Berlin, ein Beispiel. Auch provokante und für heute ungewöhnliche Materialien werden wieder gerne genutzt: „Für Frauen gibt es etwa lange Trenchcoats aus Leder oder Lack“, sagt Drinkuth.
Doch das vermeintliche Stil-Comeback ist keine reine Kopie der 90er-Mode, man verändert den Stil durchaus. „Bei Frauen wird heute der Hoodie etwa zum Plisseerock kombiniert“, sagt Charlotte Schnitzspahn vom Fachmagazin „Textilwirtschaft“. „Männer können Hoodie und Chunky Sneaker zur Anzugshose tragen.“ Vor allem das offensive Marketing der Neunziger sei auf den Klamotten nicht mehr so stark präsent. „Die Logos sind mittlerweile zunehmend subtiler und werden zum Beispiel nicht nur plakativ auf der Brust, sondern auch auf Ärmeln aufgedruckt oder in Grafiken verarbeitet“, sagt Schnitzspahn. Dazu hat sich die Farbpalette erweitert. „Zu den knalligen Farben von damals kommen heute Pastell- und Sandtöne.“
Auch die formelleren Elemente der 90er-Mode finden sich wieder im Handel und auf den Laufstegen der Modeschauen – etwa Oversize-Blazer mit betonten Schultern und weiten Hosen. Auch sie sind laut Drinkuth modifiziert, wirken eleganter und sind aus anderen Materialien geschnitten.
Der Rückgriff auf die Elemente der 90er-Mode hat aus Sicht der Experten mehrere Gründe. Einer ist das bereits erwähnte Abgrenzen von der Freizügigkeit der früheren Generationen – wobei man hier bewusst auch modische Strömungen der 90er auszuklammern scheint. Denn gerade die Anfangsjahre waren ja sehr sexy und körperbetont.
Aber die Stücke aus der Vergangenheit werden auch mit einer sorgenfreien Zeit assoziiert, sagt Trendanalyst Tristan Horx vom Zukunftsinstitut. So mancher erinnert sich damit an seine eigene Jugend mit Viva und MTV. Drinkuth von der AMD Akademie Mode & Design bestätigt das: „Viele Studierende finden es toll, sich an ihre eigene Jugend zu erinnern. Stoffe, Farben, Gerüche. Das wird dann in Kollektionen umgesetzt.“
Getragen aber wird die Mode vor allem von den noch Jüngeren – „für die der Look etwas Neues ist“, sagt Modeexpertin Schnitzspahn. Und für diese ist wichtig, dass der Look auch etwas sehr Plakatives hat und gut auf den Bildern für die sozialen Netzwerke funktioniert. „Die Rekombination der 90er-Teile baut auch auf der Frage auf, wie fotogen diese Outfits sind“, sagt Horx. So manches Stück hingegen interessiert dann aber alle Generationen – etwa Klassiker wie das Levi’s-Shirt.
Das Wiederverwerten
Ein weiterer Grund für das gestiegene Interesse ist das Wiederverwerten alter Kleidungsstücke. „Die junge Generation hat ein ganz anderes politisches Bewusstsein. Es geht ihr um Transparenz und wie Kleidung produziert wird“, sagt Drinkuth. Das führt sie auch zunehmend in die Second-Hand-Läden und auf Flohmärkte beziehungsweise in die Kleiderschränke ihrer Eltern, um Textilien länger im Gebrauchszyklus zu halten.
Wer sich dem Trend gemäßigt annähern will, sollte die zuletzt beliebte Skinny-Jeans anbehalten und ein überweites Oberteil dazu tragen, rät Tillessen. Umgekehrt funktioniert das natürlich auch – mit weiter Hose und engem Top. Wichtig ist dabei: „Das Oberteil sollte übergroß, nicht locker geschnitten sein. Sonst sieht man schnell aus wie der Milchmann.“