1. Leben
  2. Gesundheit

Pohlheim/Hamburg: Wenn der Beckenboden überlastet ist: Gezieltes Training hilft

Pohlheim/Hamburg : Wenn der Beckenboden überlastet ist: Gezieltes Training hilft

Muskeltraining ist in: Bizeps und Trizeps sind Thema am Stammtisch, Bauchmuskeltraining und Rückenschule sind salonfähig. Nur über den Beckenboden spricht kaum jemand. Und beim Training wird er oft vernachlässigt.

Dabei ist der Beckenboden eine der am stärksten beanspruchten Muskelgruppen im menschlichen Körper - bei Frauen wie bei Männern. Wenn er überstrapaziert oder geschädigt wird, hat das oft fatale Folgen.

Die drei Muskelschichten des Beckenbodens sind zwischen Sitzhöckern, Scham- und Steißbein gespannt und liegen wie ein Gitter übereinander. Sie bieten den Bauchorganen Schutz und Halt, sie stabilisieren das Becken und schließen es nach unten ab. „Die Öffnungen im Beckenboden für den Darmausgang und für die Harnröhre, bei Frauen zusätzlich für die Scheide, sind seine Schwachpunkte”, erklärt Eckhard Petersmann von der Inkontinenz Selbsthilfe in Pohlheim (Hessen).

Diese Öffnungen muss der Beckenboden im richtigen Moment öffnen oder schließen. „Für die Funktionsfähigkeit sind Muskeln, Bindegewebe, Nerven und Durchblutung verantwortlich”, sagt Ursula Peschers, Chefärztin für Urogynäkologie im Beckenboden Zentrum München. Wenn eines oder mehrere dieser Elemente gestört sind, ist der Haltemechanismus nicht mehr intakt.

Frauen sind davon weit häufiger betroffen als Männer. Zum einen haben sie eine Schwachstelle mehr als Männer. Zum anderen belasten Schwangerschaft und Geburt Bindegewebe, Muskeln und Nerven im Beckenboden extrem. Weitere Risikofaktoren sind Übergewicht und chronische Verstopfung: Sie schädigen das Bindegewebe und die Nerven. Im Alter schließlich wird - oft auch erblich bedingt - das Bindegewebe lockerer, die Durchblutung ist schwächer.

Eine Beckenbodenschwäche oder -schädigung äußert sich häufig als Harninkontinenz. Sie beginnt oft damit, dass der oder die Betroffene beim Niesen, Husten oder Laufen ein paar Tropfen Urin verliert. Andere können ihren Stuhl nicht halten. „Wieder andere Patientinnen beschreiben eine Art Fremdkörpergefühl und das Empfinden, dass im Beckenbereich Halt fehlt”, sagt Peschers.

Doch bei weitem nicht jede Frau, die unter einem dieser Symptome leidet, geht zum Arzt. „Das größte Problem bei allen Beckenbodenstörungen ist, dass immer noch nicht darüber gesprochen wird. Der Beckenboden ist eine Muskulatur wie jede andere - als solche sollte er betrachtet und behandelt werden”, rät Franziska Liesner, Physiotherapeutin in Hamburg.

Stattdessen verschweigen viele das Problem jedoch schamhaft. Unterstützung finden sie zum Beispiel bei einer Selbsthilfegruppe. „Wir haben ganz viele Mitglieder, die sich Monate lang nicht raus trauten, weil sie Angst hatten, zu riechen oder auf der Straße in die Hose zu machen. Sie sind durch ihre Angst regelrecht vereinsamt”, sagt Eckhard Petersmann. „In der Gruppe haben sie erfahren, dass sie nicht allein sind, und dadurch neues Selbstvertrauen gewonnen.” Zudem bieten Gruppen umfassende Informationen und ebnen den Weg zum Arzt.

„In der Regel wird die Gynäkologin die erste Ansprechpartnerin sein. Doch auch der Urologe, der Proktologe oder der Hausarzt kann weiter helfen”, sagt Physiotherapeutin Liesner. Spezialisierte Gynäkologen finden Betroffene über die Arbeitsgemeinschaft Urogynäkologie und Plastische Beckenbodenrekonstruktion der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (AGUB) in München.

Der Therapie richtet sich nach der Ursache der Inkontinenz oder Beckenbodensenkung. „Normalerweise ist eine Physiotherapie die erste Behandlungsmethode”, sagt Liesner. Mit einem beliebigen Gruppenkurs ist es nicht getan, Spezialisten lassen sich aber über den Arbeitskreis Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie, Proktologie des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (AG GGUP) in Hannover finden.

„Die Therapie sollte immer aus zwei gleichwertigen Säulen bestehen: dem Training des Beckenbodens und der umliegenden Muskulatur einerseits und einer Verhaltensschulung andererseits”, so die Physiotherapeutin. Später muss konsequent weiter trainiert werden. Wer die Übungen aber einmal beherrscht, kann sie überall praktizieren: im Sitzen, Stehen oder Liegen, bei der Arbeit oder an der Bushaltestelle.

Beckenbodenschäden vermeiden