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Berlin: Stiche gegen Beschwerden: Akupunktur lässt Lebensenergie fließen

Berlin : Stiche gegen Beschwerden: Akupunktur lässt Lebensenergie fließen

Im Idealfall ist nach der Chinesischen Medizin alles im Fluss - und der Mensch gesund und fit. Die Lebensenergie, das Qi, fließt ungehindert über die weit verästelten Energieleitbahnen, die sogenannten Meridiane, durch den Körper. Bei Beschwerden ist nach den Vorstellungen der Chinesischen Medizin an bestimmten Stellen das Qi blockiert.

Um diesen Energiestau aufzulösen, setzen Ärzte oder Heilpraktiker feine Einmalnadeln an bestimmte Punkte des Körpers, wo sie etwa 20 bis 30 Minuten bleiben: So sieht eine klassische Akupunktur-Sitzung aus. Das wirkt nicht bei jedem gleich - richtet aber auch keinen großen Schaden an.

„Über die Nadeltherapie werden die körpereigenen Heilkräfte aktiviert”, sagt die Berliner Ärztin Johanna Stör. Die Patienten sollen während der Therapie in ruhiger Atmosphäre entspannt liegen. Die Dauer der Behandlung und die Ruhe seien wichtig, damit die Akupunkturnadeln für einen freien Fluss des Qi sorgen können.

Auf diese Weise soll der Mensch wieder in sein natürliches Gleichgewicht gebracht werden und kann - so die Vorstellung der Chinesischen Medizin - genesen. „Wie viele Nadeln an einem Patienten platziert werden, ist von Fall zu Fall verschieden”, erklärt Stör. Im Schnitt kommen nach ihren Angaben 15 Nadeln zum Einsatz. „Es können aber auch mal nur 2 sein oder auch 30.”

Eine Akupunktur-Behandlung ist immer sehr individuell. Der Arzt oder Heilpraktiker lotet in einem Gespräch mit dem Patienten dessen aktuelles körperliches, geistiges und seelisches Befinden aus. „Der Behandler muss sich dafür Zeit nehmen, um sich ein zutreffendes Bild vom Zustand des Patienten machen zu können”, betont Stör. In vielen Fällen reicht Akupunktur als alleinige Behandlungsform nicht aus. Bei Migräne oder Tinnitus kann es Sinn machen, sich neben einer schulmedizinischen Behandlung versuchsweise nadeln zu lassen. Bedacht werden muss aber, dass die Nadeln nicht bei jedem gleich wirken. Oft sind mehrere Sitzungen nötig, bis eine Wirkung zu spüren ist.

Keinesfalls sollte Akupunktur bei unklaren Befunden angewandt werden. Auch bei starken Gerinnungsstörungen oder schweren psychiatrischen Erkrankungen ist die Nadeltherapie nicht empfehlenswert.

Während der Behandlung legen Patienten sich in einem wohltemperierten Raum hin. Dann setzt der Behandler an den definierten Stellen die Nadeln. „Patienten beschreiben dies in aller Regel nicht als unangenehme Pikser, sondern erzählen von einem intensiven Gefühl an den Einstichstellen”, sagt die in einer gynäkologischen Gemeinschaftspraxis tätige Ärztin Stör.

Sie macht Akupunktur bei Frauen, die beispielsweise über Menstruationsbeschwerden klagen, an Schwangerschafts-Übelkeit leiden oder einen unerfüllten Kinderwunsch haben. Akupunktur kann aber auch in vielen anderen Fällen helfen. „Die heilende Wirkung der Nadeltherapie ist für eine Reihe von Erkrankungen wissenschaftlich erwiesen”, erklärt die Ärztin Gabriela Huemer von der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur (DÄGfA).

Sie verweist auf die in Deutschland durchgeführten Gerac-Studien („German acupuncture trials”). Dabei handelt es sich um große wissenschaftliche Akupunkturstudien, die von mehreren Krankenkassen in Auftrag gegeben worden waren. Sie sollten über einen Zeitraum von mehreren Jahren klären, ob die Nadeltherapie etwa bei Migräne oder Spannungskopfschmerzen etwas bringt - oder eben nicht. Die Ergebnisse: Die Erfolgsrate der klassischen Akupunktur ist nur geringfügig höher als bei der sogenannten Schein-Akupunktur, bei der an benachbarten Punkten Nadeln gesetzt wurden, steht aber auch der Behandlung mit Medikamenten in nichts nach.

Was genau sich im Körper bei der Akupunktur abspielt, ist wissenschaftlich noch nicht vollständig geklärt. Fest steht bislang: „Die heilende Wirkung kommt unter anderem dadurch zustande, dass der stimulierende Reiz der Nadeln im Gehirn eine vermehrte Ausschüttung schmerzlindernder oder stimmungsaufhellender Substanzen, der körpereigenen Morphine, auslöst”, erläutert Huemer. Mithilfe der Kernspintomographie lässt sich nach ihren Angaben die Wirkung von Akupunktur auf den Stoffwechsel im Gehirn nachweisen.

Die Akupunktur hat eine uralte Tradition. „Das erste schriftliche Werk zum Thema chinesische Medizin und Akupunktur stammt aus dem zweiten Jahrhundert vor Christus”, sagt die Münchner Heilpraktikerin Ursula Hilpert-Mühlig. Sie ist Vizepräsidentin des Fachverbands Deutscher Heilpraktiker. Seitdem wurde die Akupunktur weiterentwickelt. Etwa seit den 1970er Jahren kommt sie auch in den westlichen Ländern zum Einsatz.

„Ernste Nebenwirkungen kommen bei richtig ausgebildeten Behandlern nicht vor”, erklärt Stör. Es kann zu leichten Blutergüssen kommen. Eine Behandlung kostet je nach Aufwand etwa 30 bis 70 Euro pro Sitzung. „Bei Migräne sowie chronischen Knie- oder Rückenschmerzen übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für 10 bis 15 Behandlungen pro Jahr”, sagt Huemer. Diejenigen, die Akupunktur anbieten, sollten 350 Stunden Theorie- und Praxiskurse absolviert haben. Patienten sollten fragen, ob der Behandler diesen Ausbildungsumfang hat, rät Stör.

(dpa)