Wiesbaden : Schwachstelle der Natur: Leistenbrüche treffen vor allem Männer
Wiesbaden Zuerst ist oft nichts zu spüren, doch dann wird ein kleiner Knubbel in der Leistengegend sichtbar - der manchmal zu einer Art größeren Beule anwachsen kann: Ein Leistenbruch trifft pro Jahr Hunderttausende Menschen in Deutschland, vor allem Männer.
Meist verläuft alles ohne Komplikationen, in einigen Fällen müssen die Ärzte aber sogar notoperieren.
„Ein Leistenbruch tritt - wie der Name schon verrät - im Leistenkanal auf”, sagt Wolfgang Wesiack, Präsident des Berufsverbandes Deutscher Internisten in Wiesbaden. Der Kanal liegt beim Menschen auf beiden Körperseiten etwa zwischen Unterbauch und Oberschenkel. „Der Leistenkanal entsteht bei uns schon in der embryonalen Entwicklung.” Denn durch diesen Kanal wandert bei männlichen Embryonen der Hoden nach unten, bei weiblichen ist das der Weg für das Mutterband, das mit der Gebärmutter verbunden ist.
„Bei Männern ist der Kanal etwas weiter als bei Frauen, da das Sinken des Hodens etwas komplizierter ist als der Mechanismus mit dem Mutterband und auch etwas mehr Platz benötigt”, sagt Wesiack. „Das bedeutet, dass der Leistenkanal eine Schwachstelle im Körper eines Mannes ist.” Deswegen treten rund 90 Prozent aller Leistenbrüche bei Männern auf, nur 10 Prozent bei Frauen. „Von einem Bruch spricht man, wenn Teile des Darms in den Leistenkanal gedrückt werden und dort vorerst bleiben.”
Der Kanal allein führt aber nicht automatisch zu einem Leistenbruch. „Dafür gibt es vielmehr verschiedene Ursachen”, erklärt der Internist und Gastroenterologe Berndt Birkner. Wer beispielsweise eine Bindegewebsschwäche hat, könne eher betroffen sein. „Wenn man dann etwas sehr Schweres anhebt oder stark presst, kann etwas Darm in oder durch den Leistenkanal gedrückt werden.” Das ist dann ein Leistenbruch.
Möglich seien aber auch mechanische Belastungen. „Bei Fettleibigen ist der Bauchumfang sehr groß und das Gewebe wird geweitet, so dass kleine vorhandene Lücken am Leistenkanal sich weiten und Darmschlingen durchlassen können”, sagt der niedergelassene Arzt aus München. Außerdem könne es einige Sportler wie Gewichtheber treffen. „Bei ihnen wird ein Teil des Drucks der Gewichte auf die Bauchmuskeln übertragen, was den Druck im Bauchinnenraum erhöht und ebenfalls Darm in den Leistenkanal drücken kann.”
Wie so ein Bruch behandelt wird, ist unterschiedlich. „Tritt durch die Bruchstelle nur etwas Bauchfell, aber nichts vom Darm aus, besteht kein Operationsbedarf”, berichtet Prof. Hans-Peter Bruch, Präsident des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen. Anders ist es, wenn es doch sogenannten Bruchinhalt - also Darmschlingen - gibt. Dann muss operiert werden.
Wie schnell man in den OP-Saal muss, hängt von den Beschwerden ab. „Wenn jemand keine größeren Beschwerden hat und keine Teile des Darms eingeklemmt sind, dann reicht es meist, erst in einigen Wochen oder Monaten zu operieren”, so Bruch. So glimpflich läuft es aber nicht immer: „Hat man Schmerzen oder ist die Durchblutung des Darms beeinträchtigt, muss man möglichst bald operieren”, sagt der Experte. „Und wenn der Darm sich so gedreht hat, dass er nicht mehr durchblutet wird, muss man sofort eine Notoperation durchführen, weil der betroffene Teil des Darms sonst absterben kann.”
Auch für eine Operation gibt es Bruch zufolge verschiedene Möglichkeiten. „Man unterscheidet zwischen Eingriffen mit und ohne Netz, die jeweils offen oder laparoskopisch durchgeführt werden können.” Ohne Netz - bis vor einiger Zeit die Haupt-OP-Variante - heißt, dass der Leistenbruch behoben und die Bruchstelle so verschlossen wird, dass sie möglichst nicht unter Spannung steht und wieder reißen kann.
„Mittlerweile wird bei vielen Operationen aber eine Art Kunststoffnetz verwendet, mit dem die Bruchstelle verschlossen und die Bauchdecke verstärkt werden”, berichtet der Fachmann. Und während bei einem laparoskopischen Eingriff nur kleine Schnittstellen am Bauch entstehen, bleiben von einer offenen OP größere Narben.
Wie bei allen Operationen kann es laut Birkner Komplikationen geben, neben Wundinfektionen zum Beispiel die Abstoßung körperfremder Stoffe wie dem Kunststoffnetz. Deswegen rät der Gastroenterologe, wirklich nur dann zu operieren, wenn es dafür ein medizinisches Indiz gibt. „Ist nur ein Loch ohne Inhalt zu tasten, muss man noch lange nicht operieren.”
Wer also unter unspezifischen Unterbauchschmerzen leidet, sollte sich nicht auf die Diagnose verlassen, wenn es nach Ausschluss anderer Ursachen heißt, dass ein Leistenbruch dahinter stecken könnte. „Gerade kleinere Vorfälle sind nicht sichtbar und nur sehr schwer zu tasten. Die Diagnose ist nicht einfach.” Wer sich unsicher sei, sollte dann daher einen zweiten Arzt zurate ziehen.
Meist bekommen Erwachsene einen Leistenbruch, doch auch Säuglinge können betroffen sein. „Einige Babys kommen mit einem angeborenen Leistenbruch zur Welt”, sagt der Internist Wolfgang Wesiack. Wenn sie dann schreien, könne Darm durch diese Bruchstelle gedrückt werden. Eine Operation ist dann meist unumgänglich.