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München: Nahtodforscher sondieren das Terrain am Ende des Lebens

München : Nahtodforscher sondieren das Terrain am Ende des Lebens

Alois Serwaty ist ein nüchterner Mensch, ein studierter Ingenieur, „sehr kopfgesteuert”, wie er selbst sagt. Doch vor 20 Jahren machte der damalige Berufsoffizier eine seltsame Erfahrung: Bei einer Herzkathederuntersuchung hatte er plötzlich den Eindruck, seinen Körper abzustreifen „wie einen lästigen Mantel”.

Unvermittelt fand er sich halbhoch schwebend über dem OP-Tisch wieder, wo noch sein „alter Körper” lag. Das Erlebnis bescherte Serwaty „die felsenfeste Überzeugung, dass ich weiterlebe”, und nahm ihm jegliche Angst vor dem Tod.

Nahtoderfahrungen, wie sie der 63-Jährige hatte, sind gar nicht so selten. Es gibt sie in allen Kulturen und Sprachräumen, das älteste schriftliche Zeugnis findet sich im babylonischen Gilgamesch-Epos. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens vier Prozent aller Deutschen schon eine solche Erfahrung gemacht haben, sei es bei einem Unfall oder einer Operation. Das wären immerhin mehr als drei Millionen Menschen.

Erlebnisberichte liegen inzwischen in großer Zahl vor, und sie weisen bestimmte Kernelemente auf: Dazu zählt eine Lichtvision, oft am Ende eines Tunnels. Manche begegnen Verstorbenen, die ihnen sagen, dass sie zurückmüssen. Das Ganze ist meist mit großen Glücksgefühlen und der Empfindung tiefen Angenommenseins verbunden, sehr selten aber auch mit einem Schreckenserlebnis.

Handelt es sich um letzte Fantasien eines verlöschenden Gehirns oder um erste Schritte ins Jenseits? Eine gesicherte Antwort brächte manches Weltbild zum Einsturz, auch manche naturwissenschaftliche Theorie. So geht der holländische Kardiologe Pim van Lommel mittlerweile davon aus, dass es ein von Gehirnaktivitäten unabhängiges „endloses Bewusstsein” gibt. Neurowissenschaftler und Hirnforscher bestreiten dies vehement.

Das wissenschaftliche Interesse konzentriert sich heute weniger auf vorhandene Erfahrungsberichte, deren Details kaum überprüfbar sind. Im Fokus steht die Beobachtung und Befragung von Patienten, die nach einem Herzstillstand im Krankenhaus unter kontrollierten Bedingungen wiederbelebt werden. Mehreren Studien zufolge hat jeder Fünfte bis Zehnte, der klinisch tot war, in diesem Zusammenhang ein spezifisches Nahtoderlebnis.

Mit die größten Rätsel werfen dabei außerkörperliche Erfahrungen auf, wie sich auch Serwaty machte. Sogar Blinde schildern, wie sie klar und deutlich Details der Operation an ihnen selbst „sehen” konnten. Erinnert werden Dialoge zwischen Ärzten und Schwestern, die stattgefunden haben, als das Gehirn schwerstens beeinträchtigt war. Wie kann das sein? Die britische Universität Southampton startete vor zwei Jahren die bis dato größte internationale Untersuchung zum Thema. Beteiligt sind mehr als 25 Kliniken. Mit ersten Ergebnissen wird im Frühjahr 2011 gerechnet.

Auch Serwaty, der Soldat, suchte nach einer rationalen Erklärung für das, was ihm widerfahren war. Vier Jahre lang konnte er nicht einmal mit seiner Familie darüber sprechen. Schließlich stieß er auf den Bochumer Mathematiker Günter Ewald, der zu dem Thema mehrere Bücher verfasst hat.

Ewald brachte ihn mit anderen „Nahtoderfahrenen” zusammen. Man traf sich in kleiner Runde am Bodensee. Daraus entstand 2004 das „Netzwerk Nahtoderfahrung”. Der Verein versteht sich als weltanschaulich unabhängiges Forum, das den interdisziplinären Dialog über Nahtoderlebnisse fördert, durch Vorträge, wie dieser Tage bei der Katholischen Akademie in Bayern, durch eigene Tagungen und ein breites Informationsangebot im Internet.

Einen Beweis für ein Leben nach dem Tod liefert die Forschung nicht, sagt der Innsbrucker Philosoph und Jesuit Hans Goller. Auch wer dem Tod sehr nahe gekommen ist, war noch nicht jenseits der Grenze, von wo aus es keine Wiederkehr gibt. Dennoch scheinen die Erfahrungen „für einen begründeten Glauben an etwas danach, an ein Leben jenseits von Raum und Zeit, zu sprechen”, formuliert er vorsichtig.